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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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liegen, als ein Sporn, sich der gemeinen Naturnothwendigkeit durch die sitt¬
liche Kraft zu entziehen? Freilich, versteht man Malthus von dieser Seite,
so zeigt sich, daß Carey in seinen Ausführungen kaum zu einem wesentlich
andern Resultate kommt. Denn will man aus seiner ganzen Polemik über¬
haupt etwas Positives festhalten, so ist es eben dieses, daß der Mensch durch
seine bessere Natur davor bewahrt sei, das Opfer thierischer Triebe zu wer¬
den. Im Uebrigen aber fehlt allerdings jede Aehnlichkeit zwischen beiden und
sind die Wege ihrer Forschung einander diametral entgegengesetzt. Malthus
untersucht die Dinge, wie sie wirklich sind; sein Interesse concentrirt sich
auf eine gesellschaftliche Krankheitserscheinung, er enthüllt ihre Ursachen, zeigt
die Mittel, sie zu heilen, ihr vorzubeugen. Carey sieht die Dinge, wie er sie
seiner Theorie nach denkt; Krankheiten sind für seine Gesellschaft so zu
sagen organisch unmöglich; wo sie vorkommen, sind sie künstlich, durch
menschliche Willkür gemacht; der Zustand, mit welchem diese Theorie eigent¬
lich ausschließlich zu rechnen hat, ist der gesunde. Malthus nimmt einen
Standpunkt ein, den wir verallgemeinert den Darwinschen nennen könnten
seine Menschen stehen gegenüber ungünstigen Naturgesetzen, sie kämpfen den
Kampf um's Dasein. Carey's Standpunkt ist der eines kosmologischen
Optimismus, die Schöpfung ist untadelhaft, seine Menschen haben für alle
Ewigkeit die Hülle und Fülle. Folgerichtig stützt Malthus seine Beweise
auf die rein empirische Thatsache, Carey aber verfährt in den wichtigsten
Dingen teleologisch: wenn nichts anderes mehr verfangen will, so müssen
die weisen Absichten des Schöpfers, ja selbst die Gebote des Christenthums
aushelfen, um gegen Naturgesetze zu beweisen! Unsere Auffassung weit ent¬
fernt von einem Tadel der Vorsehung -- wie Carey ihn seinen Gegnern
gern unterschiebt -- achtet es vielmehr eines sittlich freien Wesens viel
würdiger, daß ihm die Aufgabe wird, sich durch eigene Kraft sein Dasein
erst zu erobern, als wenn ihm, wenigstens ohne sonderlich große Anstrengung,
die Güter des Lebens nach einem.unabänderlichen Naturgesetze in immer
wachsender Menge gewissermaßen in den Schooß fielen.

Wir können in der That kaum annehmen, daß Carey im Ernst geneigt
sein sollte, eine solche Consequenz seines Systems zu ziehen. Worin aber
unterscheiden sich dann die Resultate seiner Gesellschaftslehre von denen der
vielgeschmähten modernen Nationalökonomie? Zum mindesten sehen wir
nicht, was die Wissenschaft durch diese revolutionäre Polemik gewonnen
haben soll.

Und wie hier im Brennpunkte des Systems, so überall. Gewaltig viel
Aufhebens macht man von seiner Werththeorie. Daß sie zu derjenigen der
heutigen Volkswirthschaftslehre im energischsten Widerspruche steht, ist selbst¬
verständlich. Die scharfen Begriffsunterschiede, welche uns hier geläufig sind,


liegen, als ein Sporn, sich der gemeinen Naturnothwendigkeit durch die sitt¬
liche Kraft zu entziehen? Freilich, versteht man Malthus von dieser Seite,
so zeigt sich, daß Carey in seinen Ausführungen kaum zu einem wesentlich
andern Resultate kommt. Denn will man aus seiner ganzen Polemik über¬
haupt etwas Positives festhalten, so ist es eben dieses, daß der Mensch durch
seine bessere Natur davor bewahrt sei, das Opfer thierischer Triebe zu wer¬
den. Im Uebrigen aber fehlt allerdings jede Aehnlichkeit zwischen beiden und
sind die Wege ihrer Forschung einander diametral entgegengesetzt. Malthus
untersucht die Dinge, wie sie wirklich sind; sein Interesse concentrirt sich
auf eine gesellschaftliche Krankheitserscheinung, er enthüllt ihre Ursachen, zeigt
die Mittel, sie zu heilen, ihr vorzubeugen. Carey sieht die Dinge, wie er sie
seiner Theorie nach denkt; Krankheiten sind für seine Gesellschaft so zu
sagen organisch unmöglich; wo sie vorkommen, sind sie künstlich, durch
menschliche Willkür gemacht; der Zustand, mit welchem diese Theorie eigent¬
lich ausschließlich zu rechnen hat, ist der gesunde. Malthus nimmt einen
Standpunkt ein, den wir verallgemeinert den Darwinschen nennen könnten
seine Menschen stehen gegenüber ungünstigen Naturgesetzen, sie kämpfen den
Kampf um's Dasein. Carey's Standpunkt ist der eines kosmologischen
Optimismus, die Schöpfung ist untadelhaft, seine Menschen haben für alle
Ewigkeit die Hülle und Fülle. Folgerichtig stützt Malthus seine Beweise
auf die rein empirische Thatsache, Carey aber verfährt in den wichtigsten
Dingen teleologisch: wenn nichts anderes mehr verfangen will, so müssen
die weisen Absichten des Schöpfers, ja selbst die Gebote des Christenthums
aushelfen, um gegen Naturgesetze zu beweisen! Unsere Auffassung weit ent¬
fernt von einem Tadel der Vorsehung — wie Carey ihn seinen Gegnern
gern unterschiebt — achtet es vielmehr eines sittlich freien Wesens viel
würdiger, daß ihm die Aufgabe wird, sich durch eigene Kraft sein Dasein
erst zu erobern, als wenn ihm, wenigstens ohne sonderlich große Anstrengung,
die Güter des Lebens nach einem.unabänderlichen Naturgesetze in immer
wachsender Menge gewissermaßen in den Schooß fielen.

Wir können in der That kaum annehmen, daß Carey im Ernst geneigt
sein sollte, eine solche Consequenz seines Systems zu ziehen. Worin aber
unterscheiden sich dann die Resultate seiner Gesellschaftslehre von denen der
vielgeschmähten modernen Nationalökonomie? Zum mindesten sehen wir
nicht, was die Wissenschaft durch diese revolutionäre Polemik gewonnen
haben soll.

Und wie hier im Brennpunkte des Systems, so überall. Gewaltig viel
Aufhebens macht man von seiner Werththeorie. Daß sie zu derjenigen der
heutigen Volkswirthschaftslehre im energischsten Widerspruche steht, ist selbst¬
verständlich. Die scharfen Begriffsunterschiede, welche uns hier geläufig sind,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/78>, abgerufen am 23.07.2024.