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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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zu den seltenen Ausnahmen. Von den hohen Steuern sind vor allen Din¬
gen die arbeitenden Klassen schwer bedrückt und es gilt, deren Interessen
vor nachhaltiger Schädigung zu beschützen. Der Industrie ist aber nicht,
wie viele meinen, durch weitere Zollerhöhung aufzuhelfen, sondern zunächst
durch Reduction der Zölle auf die industriellen Zwecken dienenden Rohstoffe
und Hilfsfabrikate. Sollte eine Erhöhung in einigen Punkten gleichwohl,
geboten erscheinen, so sollte man aber doch auf alle Fälle Maß üben, über¬
haupt das Uebergangsstadium, in welchem sich Handel und Industrie der
Union zur Zeit befinden, nicht durch allzuhäufiges legislatorisches Eingreifen
in die wirthschaftliche Thätigkeit des Volkes ungebührlich verlängern.

Allen mit der Sachlage Vertrauten ist übrigens bekannt, daß einer¬
seits das amerikanische Tarifsystem durchaus nicht principiell wirthschaft¬
lichen, sondern mindestens ebenso sehr finanziellen und politischen Motiven
seine Entstehung verdankt, und daß es eben aus diesem Grunde ein wieder¬
holt wechselndes und schwankendes gewesen ist, sowie daß andererseits die
Nachtheile der gegenwärtig bis aufs äußerste hinaufgeschraubten Erhöhung
des Prohibitiv-Schutzsystems sich bereits in, dem ganzen Wirthschaftsorganis¬
mus der Vereinigten Staaten so empfindlich fühlbar gemacht haben, daß deren
Beseitigung nur als eine Frage der nächsten Zukunft betrachtet werden kann.

Neuerdings ist nun in dieser Richtung ein Urtheil abgegeben worden,
das sowohl der Persönlichkeit wegen, die dasselbe ausgesprochen hat, als des
Ortes wegen, an dem es, wie wir hören, unter Beifallbezeugungen veröffent¬
licht wurde, von Bedeutung erscheint. Im niederöstreichischen Ge¬
werbeverein, der in der Majorität seiner Mitglieder freihändlerischen An¬
schauungen keinesweges huldigt, hat Herr C. F. Loosey, k. k. östreich. General-
consul in Newyork am 21. Februar d. I. einen Vortrag über die Han¬
delsbeziehungen zwischen Oestreich und den Vereinigten Staaten von Nord¬
amerika gehalten, der in jeder Zeile nicht nur den über amerikanische Ver¬
hältnisse wohlunterrichteten Fachmann, sondern auch den denkenden, umsichtigen
Volkswirth verräth. In diesem wenig bekannt gewordenen, aber sehr interes¬
santen Vortrage sprach sich Herr Loosey über die Wirkungen der amerika¬
nischen Zolltarispolitik folgendermaßen qus:

"In landwirthschaftlicher Beziehung sind die Vereinigten Staaten
das produktivste Land der Welt, deren Korn- und Fleischkammer sie geworden,
die sie mit der größten Quantität der unentbehrlichen Baumwolle und mit
großen Quantitäten Tabak, Farbhölzern, Fischen und anderen Producten
der See versehen. Dieser Export ist, wie der Gewinn der denselben bilden¬
den Artikel, naturwüchsig und die wahre Quelle des großen Reichthums
des Landes.

Ganz anders verhält es sich mit dem Gewinn von eigentlichen Artikeln


zu den seltenen Ausnahmen. Von den hohen Steuern sind vor allen Din¬
gen die arbeitenden Klassen schwer bedrückt und es gilt, deren Interessen
vor nachhaltiger Schädigung zu beschützen. Der Industrie ist aber nicht,
wie viele meinen, durch weitere Zollerhöhung aufzuhelfen, sondern zunächst
durch Reduction der Zölle auf die industriellen Zwecken dienenden Rohstoffe
und Hilfsfabrikate. Sollte eine Erhöhung in einigen Punkten gleichwohl,
geboten erscheinen, so sollte man aber doch auf alle Fälle Maß üben, über¬
haupt das Uebergangsstadium, in welchem sich Handel und Industrie der
Union zur Zeit befinden, nicht durch allzuhäufiges legislatorisches Eingreifen
in die wirthschaftliche Thätigkeit des Volkes ungebührlich verlängern.

Allen mit der Sachlage Vertrauten ist übrigens bekannt, daß einer¬
seits das amerikanische Tarifsystem durchaus nicht principiell wirthschaft¬
lichen, sondern mindestens ebenso sehr finanziellen und politischen Motiven
seine Entstehung verdankt, und daß es eben aus diesem Grunde ein wieder¬
holt wechselndes und schwankendes gewesen ist, sowie daß andererseits die
Nachtheile der gegenwärtig bis aufs äußerste hinaufgeschraubten Erhöhung
des Prohibitiv-Schutzsystems sich bereits in, dem ganzen Wirthschaftsorganis¬
mus der Vereinigten Staaten so empfindlich fühlbar gemacht haben, daß deren
Beseitigung nur als eine Frage der nächsten Zukunft betrachtet werden kann.

Neuerdings ist nun in dieser Richtung ein Urtheil abgegeben worden,
das sowohl der Persönlichkeit wegen, die dasselbe ausgesprochen hat, als des
Ortes wegen, an dem es, wie wir hören, unter Beifallbezeugungen veröffent¬
licht wurde, von Bedeutung erscheint. Im niederöstreichischen Ge¬
werbeverein, der in der Majorität seiner Mitglieder freihändlerischen An¬
schauungen keinesweges huldigt, hat Herr C. F. Loosey, k. k. östreich. General-
consul in Newyork am 21. Februar d. I. einen Vortrag über die Han¬
delsbeziehungen zwischen Oestreich und den Vereinigten Staaten von Nord¬
amerika gehalten, der in jeder Zeile nicht nur den über amerikanische Ver¬
hältnisse wohlunterrichteten Fachmann, sondern auch den denkenden, umsichtigen
Volkswirth verräth. In diesem wenig bekannt gewordenen, aber sehr interes¬
santen Vortrage sprach sich Herr Loosey über die Wirkungen der amerika¬
nischen Zolltarispolitik folgendermaßen qus:

„In landwirthschaftlicher Beziehung sind die Vereinigten Staaten
das produktivste Land der Welt, deren Korn- und Fleischkammer sie geworden,
die sie mit der größten Quantität der unentbehrlichen Baumwolle und mit
großen Quantitäten Tabak, Farbhölzern, Fischen und anderen Producten
der See versehen. Dieser Export ist, wie der Gewinn der denselben bilden¬
den Artikel, naturwüchsig und die wahre Quelle des großen Reichthums
des Landes.

Ganz anders verhält es sich mit dem Gewinn von eigentlichen Artikeln


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[0072] zu den seltenen Ausnahmen. Von den hohen Steuern sind vor allen Din¬ gen die arbeitenden Klassen schwer bedrückt und es gilt, deren Interessen vor nachhaltiger Schädigung zu beschützen. Der Industrie ist aber nicht, wie viele meinen, durch weitere Zollerhöhung aufzuhelfen, sondern zunächst durch Reduction der Zölle auf die industriellen Zwecken dienenden Rohstoffe und Hilfsfabrikate. Sollte eine Erhöhung in einigen Punkten gleichwohl, geboten erscheinen, so sollte man aber doch auf alle Fälle Maß üben, über¬ haupt das Uebergangsstadium, in welchem sich Handel und Industrie der Union zur Zeit befinden, nicht durch allzuhäufiges legislatorisches Eingreifen in die wirthschaftliche Thätigkeit des Volkes ungebührlich verlängern. Allen mit der Sachlage Vertrauten ist übrigens bekannt, daß einer¬ seits das amerikanische Tarifsystem durchaus nicht principiell wirthschaft¬ lichen, sondern mindestens ebenso sehr finanziellen und politischen Motiven seine Entstehung verdankt, und daß es eben aus diesem Grunde ein wieder¬ holt wechselndes und schwankendes gewesen ist, sowie daß andererseits die Nachtheile der gegenwärtig bis aufs äußerste hinaufgeschraubten Erhöhung des Prohibitiv-Schutzsystems sich bereits in, dem ganzen Wirthschaftsorganis¬ mus der Vereinigten Staaten so empfindlich fühlbar gemacht haben, daß deren Beseitigung nur als eine Frage der nächsten Zukunft betrachtet werden kann. Neuerdings ist nun in dieser Richtung ein Urtheil abgegeben worden, das sowohl der Persönlichkeit wegen, die dasselbe ausgesprochen hat, als des Ortes wegen, an dem es, wie wir hören, unter Beifallbezeugungen veröffent¬ licht wurde, von Bedeutung erscheint. Im niederöstreichischen Ge¬ werbeverein, der in der Majorität seiner Mitglieder freihändlerischen An¬ schauungen keinesweges huldigt, hat Herr C. F. Loosey, k. k. östreich. General- consul in Newyork am 21. Februar d. I. einen Vortrag über die Han¬ delsbeziehungen zwischen Oestreich und den Vereinigten Staaten von Nord¬ amerika gehalten, der in jeder Zeile nicht nur den über amerikanische Ver¬ hältnisse wohlunterrichteten Fachmann, sondern auch den denkenden, umsichtigen Volkswirth verräth. In diesem wenig bekannt gewordenen, aber sehr interes¬ santen Vortrage sprach sich Herr Loosey über die Wirkungen der amerika¬ nischen Zolltarispolitik folgendermaßen qus: „In landwirthschaftlicher Beziehung sind die Vereinigten Staaten das produktivste Land der Welt, deren Korn- und Fleischkammer sie geworden, die sie mit der größten Quantität der unentbehrlichen Baumwolle und mit großen Quantitäten Tabak, Farbhölzern, Fischen und anderen Producten der See versehen. Dieser Export ist, wie der Gewinn der denselben bilden¬ den Artikel, naturwüchsig und die wahre Quelle des großen Reichthums des Landes. Ganz anders verhält es sich mit dem Gewinn von eigentlichen Artikeln

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/72>, abgerufen am 26.08.2024.