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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Croaten den Anfang des Endes der dualistischen Epoche gekommen wähnen.
Aengstliche Gemüther bringen den Schluß des Reichstags bereits mit Wand¬
lungen des k. k. Willens in Zusammenhang, und als der Telegraph den
Reichskanzler nach Prag beruft, können sich selbst die Börsen ernsthafter
Gedanken nicht erwehren. Die "neueste" Krisis in Oestreich wird das Thema
aller großen europäischen Zeitungen und schwarzsichtige wiener Corresponden-
ten melden nach Ost- und West, es sei nicht unwahrscheinlich, daß der nach
Hause geschickte Reichstag den Rückweg in das Land, da konstitutioneller
Honig und parlamentarische Milch fließen, nicht wiederfinden werde.

Die Einzelheiten des kaiserlichen Besuches in der böhmischen Hauptstadt
sind dem Leser in zu frischem Gedächtniß, als daß sie recapitulirt zu werden brauch¬
ten. Alle Welt weiß, daß die Anzahlungen, welche der Reichskanzler den Herren
Palazky und Rieger angeboten, zurückgewiesen worden sind, und die leichtblü¬
tige wiener Journalistik, welche noch eben unter einem Damoklesschwert seufzte,
sie hat bereits lächelnd verkündet, die schwere Krisis, welche den Kaiserstaat
bedroht, sei siegreich überwunden, das Gespenst des Föderalismus für immer
in sein frisches Grab zurückgekehrt. -- Zu dem Glauben an diese Lösung wird
sich Niemand aufzuschwingen vermögen, wer auch nur für die Geschichte der
letzten Jahre ein Gedächtniß hat. Die siegesgewisse Miene, welche das
Czechenthum zeigt, steht in bedeutungsvollen Gegensatz zu den ange¬
griffenen, von wechselnden Affecten beherrschten Zügen des deutsch-öst¬
reichischen Constitutionalismus. Wenn Demonstrationen so äußerlicher und
theatralischer Art, wie die der letzten beiden Monate hingereicht haben, den
Gleichmuth der Lenker des Kaiserstaats zu erschüttern und ein Angebot von
der Tragweite dessen zu erzwingen, das Herr v. Beust den czechischen
Führern vorlegt zu haben scheint, wie soll einer Partei von dem agita-
rischen Geschick, dem Scharfblick und der Kühnheit der czechischen, ein frei-
williger Rückzug, ein gehorsamer Verzicht auf Güter, welche sie bereits ein
Mal in Händen hielten, zugemuthet werden? Ist es denn nicht wahr, was
Palazky rühmend am Geburtstage des prager Museums verkündete, daß die
Czechen es in wenig mehr als einem Menschenalter zu thatsächlicher Parität
mit den Deutschen und zu einem politischen Einfluß gebracht haben, der
den unserer Stammeszenossen bereits überragt? Kann man sich über die
Siegesgewißheit einer Partei wundern, die es mit Demonstrationen, wie sie
in Deutschland jahrelang und in vergrößertem Maßstabe ohne jede Wirkung
inscenirt worden sind, dahin gebracht hat, ein ganzes Volk in Aufregung zu
versetzen, die Regierung eines großen Staats ins Schwanken zu bringen und
den halben Weltthetl zu beschäftigen? Daß die beiden czechischen Sprecher
sich geweigert haben, auch nur ein Titelchen von ihren Forderungen zu ver¬
geben, ist unter solchen Umständen durchaus in der Ordnung. Mit größerem


Croaten den Anfang des Endes der dualistischen Epoche gekommen wähnen.
Aengstliche Gemüther bringen den Schluß des Reichstags bereits mit Wand¬
lungen des k. k. Willens in Zusammenhang, und als der Telegraph den
Reichskanzler nach Prag beruft, können sich selbst die Börsen ernsthafter
Gedanken nicht erwehren. Die „neueste" Krisis in Oestreich wird das Thema
aller großen europäischen Zeitungen und schwarzsichtige wiener Corresponden-
ten melden nach Ost- und West, es sei nicht unwahrscheinlich, daß der nach
Hause geschickte Reichstag den Rückweg in das Land, da konstitutioneller
Honig und parlamentarische Milch fließen, nicht wiederfinden werde.

Die Einzelheiten des kaiserlichen Besuches in der böhmischen Hauptstadt
sind dem Leser in zu frischem Gedächtniß, als daß sie recapitulirt zu werden brauch¬
ten. Alle Welt weiß, daß die Anzahlungen, welche der Reichskanzler den Herren
Palazky und Rieger angeboten, zurückgewiesen worden sind, und die leichtblü¬
tige wiener Journalistik, welche noch eben unter einem Damoklesschwert seufzte,
sie hat bereits lächelnd verkündet, die schwere Krisis, welche den Kaiserstaat
bedroht, sei siegreich überwunden, das Gespenst des Föderalismus für immer
in sein frisches Grab zurückgekehrt. — Zu dem Glauben an diese Lösung wird
sich Niemand aufzuschwingen vermögen, wer auch nur für die Geschichte der
letzten Jahre ein Gedächtniß hat. Die siegesgewisse Miene, welche das
Czechenthum zeigt, steht in bedeutungsvollen Gegensatz zu den ange¬
griffenen, von wechselnden Affecten beherrschten Zügen des deutsch-öst¬
reichischen Constitutionalismus. Wenn Demonstrationen so äußerlicher und
theatralischer Art, wie die der letzten beiden Monate hingereicht haben, den
Gleichmuth der Lenker des Kaiserstaats zu erschüttern und ein Angebot von
der Tragweite dessen zu erzwingen, das Herr v. Beust den czechischen
Führern vorlegt zu haben scheint, wie soll einer Partei von dem agita-
rischen Geschick, dem Scharfblick und der Kühnheit der czechischen, ein frei-
williger Rückzug, ein gehorsamer Verzicht auf Güter, welche sie bereits ein
Mal in Händen hielten, zugemuthet werden? Ist es denn nicht wahr, was
Palazky rühmend am Geburtstage des prager Museums verkündete, daß die
Czechen es in wenig mehr als einem Menschenalter zu thatsächlicher Parität
mit den Deutschen und zu einem politischen Einfluß gebracht haben, der
den unserer Stammeszenossen bereits überragt? Kann man sich über die
Siegesgewißheit einer Partei wundern, die es mit Demonstrationen, wie sie
in Deutschland jahrelang und in vergrößertem Maßstabe ohne jede Wirkung
inscenirt worden sind, dahin gebracht hat, ein ganzes Volk in Aufregung zu
versetzen, die Regierung eines großen Staats ins Schwanken zu bringen und
den halben Weltthetl zu beschäftigen? Daß die beiden czechischen Sprecher
sich geweigert haben, auch nur ein Titelchen von ihren Forderungen zu ver¬
geben, ist unter solchen Umständen durchaus in der Ordnung. Mit größerem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/59>, abgerufen am 02.07.2024.