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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Rechte als weiland der Ritter von Schmerling können die Czechen von heute
jenes omineuse "Wir können warten" und "die Zukunft gehört uns" aus¬
sprechen im eigenen Lande sind sie unbestritten die Herren der Situation.

Von selbständigem politischen Vorgehen der Deutsch-Böhmen ist schon
seit lange nichts mehr zu hören. Diese haben es vielmehr geschehen lassen, daß
jene Feste, an denen nach Palazkys eigenem Ausspruch beide Stämme gleichen
Antheil haben sollten, zu ausschließlich czechischen Manövern wurden, während
ihre eigenen dem kaiserlichen Besuch gebrachten loyalen Kundgebungen ohne
jede größere Wirkung verliefen und einsach als Ausführungen eines officiellen
Programms registrirt wurden. Indessen der roheste czechische Bauer mit den
Schlagworten seiner Führer so genau bekannt ist, daß es nur eines leisen
Druckes bedarf, um ihn in Bewegung zu setzen, hat der östreichische Consti-
tutionalismus unter den Deutsch-Böhmen nicht tiefere Wurzel geschlagen,
als in den übrigen Theilen der Habsburgischen- Monarchie. Die czechische
Nationalpartei hat es dazu gebracht, bald als gebietende Majorität, bald als
unterdrückte Minorität, mit immer gleichem Erfolge aufzutreten: von dieser
hat sie die Rücksichtslosigkeit gegen durch "Vergewaltigung" festgesetzte Ord¬
nungen und das feste Zusammenstehen erborgt, welches unterdrückten Völkern
eigen ist, von jener den Schein eines guten, auf den thatsächlichen Volks¬
willen gestützten Rechts. Jene unschätzbare Eigenschaft politischer Folgsam¬
keit, aus welche die Engländer die feste Structur ihres Parlamentarismus
zurückführen, ist dem czechischen Volk in so hohem Grade eigen, daß die
Polazky, Rieger, Braun, Harrach :c., mit der Sicherheit bevollmächtigter
Mandatare handeln und verhandeln, je nach Belieben Fluth und Ebbe decre-
tiren können. Gegenüber der Zusammenhanglosigkeit, an der die Factoren des,
deutsch-östreichischen Staatslebens noch gegenwärtig laboriren und welche sie
von unberechenbaren Wechselfällen der äußeren und inneren Politik abhängig
macht, ist schon dieser eine Umstand von unschätzbarem Werth, und man
braucht nur die Festigkeit und glückliche Aufstellung der hinter den czechischen
Führern stehenden Plebs ins Auge zu fassen, um die Wiederkehr der an¬
geblich beendeten böhmischen Krisis vorausberechnen zu können.

Noch sind die letzten Spuren des Schmuckes, den die Hauptstadt Prag
ihrem Kaiser-König zu Ehren anlegen mußte, nicht entfernt, die zum Grafen
Clam-Gallas gesprochenen Warnungsworte Franz Josephs nicht verhallt und
jenes Schlußstück der Demonstrations-Trias, welches sich nach dem ursprüng¬
lichen Programm direct der Palazkyfeier anschließen sollte, ist schon in Angriff
genommen. Die Nachkommen der Streiter Ziskas und Podiebrads, die Enkel
der Gefallenen vom weißen Berge rüsten sich, das Andenken des zugleich
nationalen und religiösen Märtyrers Huß durch Errichtung eines mächtigen
Gedenksteins zu ehren. Ist diese Feier vorüber, so werden sich Gelegenheiten


Rechte als weiland der Ritter von Schmerling können die Czechen von heute
jenes omineuse „Wir können warten" und „die Zukunft gehört uns" aus¬
sprechen im eigenen Lande sind sie unbestritten die Herren der Situation.

Von selbständigem politischen Vorgehen der Deutsch-Böhmen ist schon
seit lange nichts mehr zu hören. Diese haben es vielmehr geschehen lassen, daß
jene Feste, an denen nach Palazkys eigenem Ausspruch beide Stämme gleichen
Antheil haben sollten, zu ausschließlich czechischen Manövern wurden, während
ihre eigenen dem kaiserlichen Besuch gebrachten loyalen Kundgebungen ohne
jede größere Wirkung verliefen und einsach als Ausführungen eines officiellen
Programms registrirt wurden. Indessen der roheste czechische Bauer mit den
Schlagworten seiner Führer so genau bekannt ist, daß es nur eines leisen
Druckes bedarf, um ihn in Bewegung zu setzen, hat der östreichische Consti-
tutionalismus unter den Deutsch-Böhmen nicht tiefere Wurzel geschlagen,
als in den übrigen Theilen der Habsburgischen- Monarchie. Die czechische
Nationalpartei hat es dazu gebracht, bald als gebietende Majorität, bald als
unterdrückte Minorität, mit immer gleichem Erfolge aufzutreten: von dieser
hat sie die Rücksichtslosigkeit gegen durch „Vergewaltigung" festgesetzte Ord¬
nungen und das feste Zusammenstehen erborgt, welches unterdrückten Völkern
eigen ist, von jener den Schein eines guten, auf den thatsächlichen Volks¬
willen gestützten Rechts. Jene unschätzbare Eigenschaft politischer Folgsam¬
keit, aus welche die Engländer die feste Structur ihres Parlamentarismus
zurückführen, ist dem czechischen Volk in so hohem Grade eigen, daß die
Polazky, Rieger, Braun, Harrach :c., mit der Sicherheit bevollmächtigter
Mandatare handeln und verhandeln, je nach Belieben Fluth und Ebbe decre-
tiren können. Gegenüber der Zusammenhanglosigkeit, an der die Factoren des,
deutsch-östreichischen Staatslebens noch gegenwärtig laboriren und welche sie
von unberechenbaren Wechselfällen der äußeren und inneren Politik abhängig
macht, ist schon dieser eine Umstand von unschätzbarem Werth, und man
braucht nur die Festigkeit und glückliche Aufstellung der hinter den czechischen
Führern stehenden Plebs ins Auge zu fassen, um die Wiederkehr der an¬
geblich beendeten böhmischen Krisis vorausberechnen zu können.

Noch sind die letzten Spuren des Schmuckes, den die Hauptstadt Prag
ihrem Kaiser-König zu Ehren anlegen mußte, nicht entfernt, die zum Grafen
Clam-Gallas gesprochenen Warnungsworte Franz Josephs nicht verhallt und
jenes Schlußstück der Demonstrations-Trias, welches sich nach dem ursprüng¬
lichen Programm direct der Palazkyfeier anschließen sollte, ist schon in Angriff
genommen. Die Nachkommen der Streiter Ziskas und Podiebrads, die Enkel
der Gefallenen vom weißen Berge rüsten sich, das Andenken des zugleich
nationalen und religiösen Märtyrers Huß durch Errichtung eines mächtigen
Gedenksteins zu ehren. Ist diese Feier vorüber, so werden sich Gelegenheiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/60>, abgerufen am 30.06.2024.