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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Prinz Napoleon sichtbar, der kein Auge von dem Auftritt verwendet, zu
welchem sich die Acteure des 13. Juni verbunden haben. An der Spitze
einer mächtigen Deputation betritt Bürgermeister or. Klaudy das Lokal der
Bezeda, um den Jubilar in wohlgesetzter Rede zu begrüßen, mit dem Jubel¬
ruf "hoch Vater Palazky, hoch das Vaterland, hoch der König" zu schließen
und Namens der Stadt eine Monstre-Adresse mit der Ueberschrift "An Vater
Palazky" zu überreichen. Der Gefeierte dankt der Deputation "mit sicht¬
licher Rührung" und tritt auf Rieger gestützt auf den Altan, um dem Volke
zu danken: "Ich werde mich bemühen Euren Erwartungen zu entsprechen.
Eure Hoffnungen, die auch die meinigen, sind zu verwirklichen" lautet der
Schluß seiner Ansprache. "Slava Palazky, Slava Rygr" -- und unter Ab¬
singung des Liedes "Hei Slovane" begibt sich der Zug auf den Rückweg;
vor dem Hause, an dessen Fenster der französische Prinz noch immer dasteht,
wird einen Augenblick Halt gemacht und zur Vermeidung von Mißverständ¬
nissen von einer Schaar gut dirigirter Arbeiter französisch demonstrirt:
"Horreur a la eouronns as LoKöme! (Aloirs! Vivs Is, liderts" schallt es zu
dem Vetter des Befreiers der Lombarden hinauf.*)

Das Stück hat eigentlich noch einen dritten Akt: durch diesen sollte auf
die hussitischen Reminiscenzen des Volks gewirkt und gleichzeitig das auf der
czechischen Sache ruhende Odium der Gevatterschaft mit den Ultramontanen
entfernt werden. Diese Bestimmung ist neuerdings durch die Umstände ver¬
ändert, aus dem dritten Akt ein Nachspiel gemacht worden. Denn noch bevor
die Regisseure selbst das Gesetz der möglichen Effectsteigerung erfüllt glaubten,
waren die Zuschauer bereits von jenen Empfindungen der Furcht und des
Mitleidens erfüllt, welche jede tragische Handlung erzeugen soll. Der Kaiser
selbst geht nach Prag, um zu versuchen, ob und in wie weit sein persönlicher
Einfluß die Aufregung Paralysiren kann, welche seine böhmischen Unterthanen
beherrscht. Das bloße Gerücht dieser Reise ist hinreichend, um diesseit wie
jenseit der Leitha Gerüchte, Hoffnungen und Befürchtungen aller Art ins
Leben zu rufen. Während das "Vaterland" einen durch das Dunkel des Ge¬
witterhimmels brechenden Lichtstrahl zu sehen glaubt, gerathen die Organe
der Deutschöstreicher in Verwirrung, fühlen ministerielle und liberale Anhän¬
ger der neugeschaffenen Verfassung den Boden unter ihren Füßen wanken.
Acht Tage lang erschöpfen die "Neue freie Presse" und deren Gesinnungs¬
genossen sich in Warnungen vor jedem Schritt, der auf den Cours der öst¬
reichischen Charte ungünstig wirken kann; in Ungarn werden die siegesge¬
wissesten Optimisten unruhig, während Slovenen, Slovaken, Ruthenen und



*) Sollte es dem Srin<!<z-voz>'s.Usur Wider Absicht fremd geblieben sein, so empfehlen wir
ihm zur Orientirung über den "wahren Sachverhalt" der böhmischen Geschichte das kürzlich
in Prag erschienene französische illustrirte Werk "Da Soneras", das in doppeltem Sinne in
usura clölMm verfaßt ist.

Prinz Napoleon sichtbar, der kein Auge von dem Auftritt verwendet, zu
welchem sich die Acteure des 13. Juni verbunden haben. An der Spitze
einer mächtigen Deputation betritt Bürgermeister or. Klaudy das Lokal der
Bezeda, um den Jubilar in wohlgesetzter Rede zu begrüßen, mit dem Jubel¬
ruf „hoch Vater Palazky, hoch das Vaterland, hoch der König" zu schließen
und Namens der Stadt eine Monstre-Adresse mit der Ueberschrift „An Vater
Palazky" zu überreichen. Der Gefeierte dankt der Deputation „mit sicht¬
licher Rührung" und tritt auf Rieger gestützt auf den Altan, um dem Volke
zu danken: „Ich werde mich bemühen Euren Erwartungen zu entsprechen.
Eure Hoffnungen, die auch die meinigen, sind zu verwirklichen" lautet der
Schluß seiner Ansprache. „Slava Palazky, Slava Rygr" — und unter Ab¬
singung des Liedes „Hei Slovane" begibt sich der Zug auf den Rückweg;
vor dem Hause, an dessen Fenster der französische Prinz noch immer dasteht,
wird einen Augenblick Halt gemacht und zur Vermeidung von Mißverständ¬
nissen von einer Schaar gut dirigirter Arbeiter französisch demonstrirt:
„Horreur a la eouronns as LoKöme! (Aloirs! Vivs Is, liderts" schallt es zu
dem Vetter des Befreiers der Lombarden hinauf.*)

Das Stück hat eigentlich noch einen dritten Akt: durch diesen sollte auf
die hussitischen Reminiscenzen des Volks gewirkt und gleichzeitig das auf der
czechischen Sache ruhende Odium der Gevatterschaft mit den Ultramontanen
entfernt werden. Diese Bestimmung ist neuerdings durch die Umstände ver¬
ändert, aus dem dritten Akt ein Nachspiel gemacht worden. Denn noch bevor
die Regisseure selbst das Gesetz der möglichen Effectsteigerung erfüllt glaubten,
waren die Zuschauer bereits von jenen Empfindungen der Furcht und des
Mitleidens erfüllt, welche jede tragische Handlung erzeugen soll. Der Kaiser
selbst geht nach Prag, um zu versuchen, ob und in wie weit sein persönlicher
Einfluß die Aufregung Paralysiren kann, welche seine böhmischen Unterthanen
beherrscht. Das bloße Gerücht dieser Reise ist hinreichend, um diesseit wie
jenseit der Leitha Gerüchte, Hoffnungen und Befürchtungen aller Art ins
Leben zu rufen. Während das „Vaterland" einen durch das Dunkel des Ge¬
witterhimmels brechenden Lichtstrahl zu sehen glaubt, gerathen die Organe
der Deutschöstreicher in Verwirrung, fühlen ministerielle und liberale Anhän¬
ger der neugeschaffenen Verfassung den Boden unter ihren Füßen wanken.
Acht Tage lang erschöpfen die „Neue freie Presse" und deren Gesinnungs¬
genossen sich in Warnungen vor jedem Schritt, der auf den Cours der öst¬
reichischen Charte ungünstig wirken kann; in Ungarn werden die siegesge¬
wissesten Optimisten unruhig, während Slovenen, Slovaken, Ruthenen und



*) Sollte es dem Srin<!<z-voz>'s.Usur Wider Absicht fremd geblieben sein, so empfehlen wir
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in Prag erschienene französische illustrirte Werk „Da Soneras", das in doppeltem Sinne in
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/58>, abgerufen am 04.07.2024.