Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

achtbaren Mannes hinter dem Accidens seiner Sonderbarkeiten für den ächten
Schönheitssinn durch. Ganz ungehörig wird die Welt des Scheins auf der
Bühne und die Welt der Wirklichkeit auf dem- Schauplatz vermischt, wenn
S. 232 bemerkt wird: "Die Neigung, sich in einer fremden oder eingebildeten
Welt zu bewegen, entsteht nur da. wo die gegebene Wirklichkeit nicht be¬
friedigt." Als ob die Bewegung in jenem und in diesem Gebiete nicht eine
ganz verschiedenartige, dort das Spiel der freien Kräfte der Imagination,
hier die Bethätigung der gebundenen Kräfte des Willens wäre und beide
Bewegungen sich nicht ganz füglich, gleich Arbeit und Erholung, successiv
ablösen dürften.

Im Uebrigen verdanken wir dem Herrn Verfasser seine ausführliche Be¬
sprechung des leicht zu übersehenden und doch für Rousseau's Gottesbegriff
und Lebensanschauung höchst wichtigen Briefs an Voltaire über das Erd¬
beben in Lissabon, sowie seine klare Auseinandersetzung der Anlage der neuen
Heloise und die mancherlei feinen und instructiven Bemerkungen darüber.
Ein Eingehen auf die Stellung, die dieser Roman in der Literaturgeschichte
überhaupt einnimmt, konnte in Anbetracht anderweitiger Erörterungen dieses
Punkts entbehrt werden.


E. F.


Deutsche Gesellschaft ?ur Rettung Schiffbrüchiger.

Die deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger hat in jüngster Zeit still
und unmerkbar erhebliche Fortschritte gemacht. Als im Mai 1865 das Unternehmen
begründet wurde, das seitdem schnell und sicher zu einem wirklich nationalen ent¬
wickelt worden ist, war es von den bestehenden Locälvereinen nur der bremische,
der dem großen Ganzen unverzüglich und ohne Bedenken sich anschloß. Die beiden
älteren Vereine hielten sich fern von der neuen Vereinigung, sowohl der ostfriesische,
März 1861 begründet, wie auch der hamburgische, August 1861 gestiftet; es war,
als solle sich trotz der Erhebung des Rettungswesens zu einem Nationalwerke die
alte Zersplitterung doch noch fortpflanzen; man hielt die Thätigkeit eines "Central-
Comite's" für überflüssig, glaubte sich selbst genug zu sein und gab dadurch ein
bedenkliches Beispiel, dem dann auch am 10. Novbr. 1L6S einer der neueren Ver¬
eine zur Rettung Schiffbrüchiger nachfolgte: der für Neuvorpommern und Rügen.

In unserem Berichte über die diesjährige Generalversammlung hoben wir her¬
vor, daß die dort gefaßten Beschlüsse voraussichtlich eine Einigung aller deutschen


achtbaren Mannes hinter dem Accidens seiner Sonderbarkeiten für den ächten
Schönheitssinn durch. Ganz ungehörig wird die Welt des Scheins auf der
Bühne und die Welt der Wirklichkeit auf dem- Schauplatz vermischt, wenn
S. 232 bemerkt wird: „Die Neigung, sich in einer fremden oder eingebildeten
Welt zu bewegen, entsteht nur da. wo die gegebene Wirklichkeit nicht be¬
friedigt." Als ob die Bewegung in jenem und in diesem Gebiete nicht eine
ganz verschiedenartige, dort das Spiel der freien Kräfte der Imagination,
hier die Bethätigung der gebundenen Kräfte des Willens wäre und beide
Bewegungen sich nicht ganz füglich, gleich Arbeit und Erholung, successiv
ablösen dürften.

Im Uebrigen verdanken wir dem Herrn Verfasser seine ausführliche Be¬
sprechung des leicht zu übersehenden und doch für Rousseau's Gottesbegriff
und Lebensanschauung höchst wichtigen Briefs an Voltaire über das Erd¬
beben in Lissabon, sowie seine klare Auseinandersetzung der Anlage der neuen
Heloise und die mancherlei feinen und instructiven Bemerkungen darüber.
Ein Eingehen auf die Stellung, die dieser Roman in der Literaturgeschichte
überhaupt einnimmt, konnte in Anbetracht anderweitiger Erörterungen dieses
Punkts entbehrt werden.


E. F.


Deutsche Gesellschaft ?ur Rettung Schiffbrüchiger.

Die deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger hat in jüngster Zeit still
und unmerkbar erhebliche Fortschritte gemacht. Als im Mai 1865 das Unternehmen
begründet wurde, das seitdem schnell und sicher zu einem wirklich nationalen ent¬
wickelt worden ist, war es von den bestehenden Locälvereinen nur der bremische,
der dem großen Ganzen unverzüglich und ohne Bedenken sich anschloß. Die beiden
älteren Vereine hielten sich fern von der neuen Vereinigung, sowohl der ostfriesische,
März 1861 begründet, wie auch der hamburgische, August 1861 gestiftet; es war,
als solle sich trotz der Erhebung des Rettungswesens zu einem Nationalwerke die
alte Zersplitterung doch noch fortpflanzen; man hielt die Thätigkeit eines „Central-
Comite's" für überflüssig, glaubte sich selbst genug zu sein und gab dadurch ein
bedenkliches Beispiel, dem dann auch am 10. Novbr. 1L6S einer der neueren Ver¬
eine zur Rettung Schiffbrüchiger nachfolgte: der für Neuvorpommern und Rügen.

In unserem Berichte über die diesjährige Generalversammlung hoben wir her¬
vor, daß die dort gefaßten Beschlüsse voraussichtlich eine Einigung aller deutschen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0552" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287264"/>
          <p xml:id="ID_1399" prev="#ID_1398"> achtbaren Mannes hinter dem Accidens seiner Sonderbarkeiten für den ächten<lb/>
Schönheitssinn durch. Ganz ungehörig wird die Welt des Scheins auf der<lb/>
Bühne und die Welt der Wirklichkeit auf dem- Schauplatz vermischt, wenn<lb/>
S. 232 bemerkt wird: &#x201E;Die Neigung, sich in einer fremden oder eingebildeten<lb/>
Welt zu bewegen, entsteht nur da. wo die gegebene Wirklichkeit nicht be¬<lb/>
friedigt." Als ob die Bewegung in jenem und in diesem Gebiete nicht eine<lb/>
ganz verschiedenartige, dort das Spiel der freien Kräfte der Imagination,<lb/>
hier die Bethätigung der gebundenen Kräfte des Willens wäre und beide<lb/>
Bewegungen sich nicht ganz füglich, gleich Arbeit und Erholung, successiv<lb/>
ablösen dürften.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1400"> Im Uebrigen verdanken wir dem Herrn Verfasser seine ausführliche Be¬<lb/>
sprechung des leicht zu übersehenden und doch für Rousseau's Gottesbegriff<lb/>
und Lebensanschauung höchst wichtigen Briefs an Voltaire über das Erd¬<lb/>
beben in Lissabon, sowie seine klare Auseinandersetzung der Anlage der neuen<lb/>
Heloise und die mancherlei feinen und instructiven Bemerkungen darüber.<lb/>
Ein Eingehen auf die Stellung, die dieser Roman in der Literaturgeschichte<lb/>
überhaupt einnimmt, konnte in Anbetracht anderweitiger Erörterungen dieses<lb/>
Punkts entbehrt werden.</p><lb/>
          <note type="byline"> E. F.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Deutsche Gesellschaft ?ur Rettung Schiffbrüchiger.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1401"> Die deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger hat in jüngster Zeit still<lb/>
und unmerkbar erhebliche Fortschritte gemacht. Als im Mai 1865 das Unternehmen<lb/>
begründet wurde, das seitdem schnell und sicher zu einem wirklich nationalen ent¬<lb/>
wickelt worden ist, war es von den bestehenden Locälvereinen nur der bremische,<lb/>
der dem großen Ganzen unverzüglich und ohne Bedenken sich anschloß. Die beiden<lb/>
älteren Vereine hielten sich fern von der neuen Vereinigung, sowohl der ostfriesische,<lb/>
März 1861 begründet, wie auch der hamburgische, August 1861 gestiftet; es war,<lb/>
als solle sich trotz der Erhebung des Rettungswesens zu einem Nationalwerke die<lb/>
alte Zersplitterung doch noch fortpflanzen; man hielt die Thätigkeit eines &#x201E;Central-<lb/>
Comite's" für überflüssig, glaubte sich selbst genug zu sein und gab dadurch ein<lb/>
bedenkliches Beispiel, dem dann auch am 10. Novbr. 1L6S einer der neueren Ver¬<lb/>
eine zur Rettung Schiffbrüchiger nachfolgte: der für Neuvorpommern und Rügen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1402" next="#ID_1403"> In unserem Berichte über die diesjährige Generalversammlung hoben wir her¬<lb/>
vor, daß die dort gefaßten Beschlüsse voraussichtlich eine Einigung aller deutschen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0552] achtbaren Mannes hinter dem Accidens seiner Sonderbarkeiten für den ächten Schönheitssinn durch. Ganz ungehörig wird die Welt des Scheins auf der Bühne und die Welt der Wirklichkeit auf dem- Schauplatz vermischt, wenn S. 232 bemerkt wird: „Die Neigung, sich in einer fremden oder eingebildeten Welt zu bewegen, entsteht nur da. wo die gegebene Wirklichkeit nicht be¬ friedigt." Als ob die Bewegung in jenem und in diesem Gebiete nicht eine ganz verschiedenartige, dort das Spiel der freien Kräfte der Imagination, hier die Bethätigung der gebundenen Kräfte des Willens wäre und beide Bewegungen sich nicht ganz füglich, gleich Arbeit und Erholung, successiv ablösen dürften. Im Uebrigen verdanken wir dem Herrn Verfasser seine ausführliche Be¬ sprechung des leicht zu übersehenden und doch für Rousseau's Gottesbegriff und Lebensanschauung höchst wichtigen Briefs an Voltaire über das Erd¬ beben in Lissabon, sowie seine klare Auseinandersetzung der Anlage der neuen Heloise und die mancherlei feinen und instructiven Bemerkungen darüber. Ein Eingehen auf die Stellung, die dieser Roman in der Literaturgeschichte überhaupt einnimmt, konnte in Anbetracht anderweitiger Erörterungen dieses Punkts entbehrt werden. E. F. Deutsche Gesellschaft ?ur Rettung Schiffbrüchiger. Die deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger hat in jüngster Zeit still und unmerkbar erhebliche Fortschritte gemacht. Als im Mai 1865 das Unternehmen begründet wurde, das seitdem schnell und sicher zu einem wirklich nationalen ent¬ wickelt worden ist, war es von den bestehenden Locälvereinen nur der bremische, der dem großen Ganzen unverzüglich und ohne Bedenken sich anschloß. Die beiden älteren Vereine hielten sich fern von der neuen Vereinigung, sowohl der ostfriesische, März 1861 begründet, wie auch der hamburgische, August 1861 gestiftet; es war, als solle sich trotz der Erhebung des Rettungswesens zu einem Nationalwerke die alte Zersplitterung doch noch fortpflanzen; man hielt die Thätigkeit eines „Central- Comite's" für überflüssig, glaubte sich selbst genug zu sein und gab dadurch ein bedenkliches Beispiel, dem dann auch am 10. Novbr. 1L6S einer der neueren Ver¬ eine zur Rettung Schiffbrüchiger nachfolgte: der für Neuvorpommern und Rügen. In unserem Berichte über die diesjährige Generalversammlung hoben wir her¬ vor, daß die dort gefaßten Beschlüsse voraussichtlich eine Einigung aller deutschen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/552
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/552>, abgerufen am 01.07.2024.