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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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sind, um baden, turnen und zu Biere zu gehen; und wenn dasselbe Horn
Abends um 10, halb 11 erklingt, so weiß man, daß sie von ihren vaterländi¬
schen Anstrengungen glücklich heimkehren. Also die Sokolaci sind Mitglieder
eines "Sokol"; und Sokol (Falke) ist der Vogel, den sich die czechischen
Turnvereine als Sinnbild und Titel erkoren haben; daher auch die Hühner¬
feder auf den Podiebratkas. die den nationalsten Theil der neuczechischen
Nationaltracht bilden, denn die "Schamara" scheint Vater Jahn's altdeut¬
schem Rock nachgebildet. Was den Gruß "Na zdar" betrifft, dessen sich
jetzt alle Classen in verschiedenstem Sinne bedienen, so ist er eine Ueber¬
setzung des deutschen "Gut Heil!"

Nun ging eines Tages ein Mann von der städtischen Polizei umher
und trat in gewisse Häuser und Gewölbe, die im Geruch lauer Gesinnung
stehen, und sagte: Morgen hat Palacky Geburtstag. Ihr fragt, wer das ist?
Palacky ist unser Tatinek (Väterchen), also müßt Ihr heut Abend beleuchten.
-- Wir müssen? -- Ja. wenn Ihr dem Glaser nicht Arbeit geben wollt,
meinte er achselzuckend. Dies war eine Anspielung auf die jungen Herrn von
der Hühnerfeder. Ganz Czechien beleuchtete, und in Königgrätz wurden Papa
Palacky wenigstens 11,000 dünne Talglichter geopfert. Eine Schaar Stu¬
denten stieg durch die Straßen, um nach dunklen Fenstern zu spähen und
kam auf den Johannisplatz, wo sich die "Beseda" befindet, die auch "deut¬
sches Casino" heißt. Letzteren Namen führt sie, weil dort außer den zahl¬
reichen Bürgerbällen und Concerten, bei denen das "Ilez^ Llovs-us" erschallt,
auch manchmal ein Offiziers- oder Beamtenball gegeben wird, und zweitens
weil im Lesezimmer neben den slavischen Organen einige deutsch-östreichische
Organe aufliegen. Die Höflichkeit der Lesegäste läßt nichts zu wünschen,
denn beim Kommen und Gehen heißt es immer: ,Mg. utMg," oder "Ich
habe die Ehre"; d^n Rest der Unterhaltung beherrscht der Grundsatz, daß
Schweigen Gold ist. Weiß doch Niemand, ob er neben Feind oder Freund
sitzt, oder gar neben Einem, der stets mit den Wölfen heult. Täuschen ein
paar gute Bekannte ein halblautes Wort aus, so ist es häufiger ein czechi-
sches als ein deutsches. Aber die zwei auf den Platz gehenden Fenster dieses
"deutschen Casino" waren finster! Die Schuld muß an den Gästen liegen,
rief ein Student; denn Hollinka, der Casinowirth, ist ein strammer Patriot.
Hinauf! Donnernd und wetternd stürmten sie in den ersten Stock und auf
eine Thüre los, aus deren Ritzen ein Lichtstrahl drang, als sie plötzlich etwas
hörten -- was war das? Gerassel! Wahrhaftig. Geklirr von Säbelscheiden!
,Es saßen Offiziere darin. Verrath! Eine Falle! Rechtsum, kehrt! Und flugs
und leise schwebten die Falkenritter wieder die Treppe hinab. Nicht immer
indeß gewinnt die kaiserliche Uniform, die hier allein das Deutschthum ver¬
tritt, so leichte Siege. In einem Wirthshausgarten verlangten ein paar


sind, um baden, turnen und zu Biere zu gehen; und wenn dasselbe Horn
Abends um 10, halb 11 erklingt, so weiß man, daß sie von ihren vaterländi¬
schen Anstrengungen glücklich heimkehren. Also die Sokolaci sind Mitglieder
eines „Sokol"; und Sokol (Falke) ist der Vogel, den sich die czechischen
Turnvereine als Sinnbild und Titel erkoren haben; daher auch die Hühner¬
feder auf den Podiebratkas. die den nationalsten Theil der neuczechischen
Nationaltracht bilden, denn die „Schamara" scheint Vater Jahn's altdeut¬
schem Rock nachgebildet. Was den Gruß „Na zdar" betrifft, dessen sich
jetzt alle Classen in verschiedenstem Sinne bedienen, so ist er eine Ueber¬
setzung des deutschen „Gut Heil!"

Nun ging eines Tages ein Mann von der städtischen Polizei umher
und trat in gewisse Häuser und Gewölbe, die im Geruch lauer Gesinnung
stehen, und sagte: Morgen hat Palacky Geburtstag. Ihr fragt, wer das ist?
Palacky ist unser Tatinek (Väterchen), also müßt Ihr heut Abend beleuchten.
— Wir müssen? — Ja. wenn Ihr dem Glaser nicht Arbeit geben wollt,
meinte er achselzuckend. Dies war eine Anspielung auf die jungen Herrn von
der Hühnerfeder. Ganz Czechien beleuchtete, und in Königgrätz wurden Papa
Palacky wenigstens 11,000 dünne Talglichter geopfert. Eine Schaar Stu¬
denten stieg durch die Straßen, um nach dunklen Fenstern zu spähen und
kam auf den Johannisplatz, wo sich die „Beseda" befindet, die auch „deut¬
sches Casino" heißt. Letzteren Namen führt sie, weil dort außer den zahl¬
reichen Bürgerbällen und Concerten, bei denen das „Ilez^ Llovs-us" erschallt,
auch manchmal ein Offiziers- oder Beamtenball gegeben wird, und zweitens
weil im Lesezimmer neben den slavischen Organen einige deutsch-östreichische
Organe aufliegen. Die Höflichkeit der Lesegäste läßt nichts zu wünschen,
denn beim Kommen und Gehen heißt es immer: ,Mg. utMg," oder „Ich
habe die Ehre"; d^n Rest der Unterhaltung beherrscht der Grundsatz, daß
Schweigen Gold ist. Weiß doch Niemand, ob er neben Feind oder Freund
sitzt, oder gar neben Einem, der stets mit den Wölfen heult. Täuschen ein
paar gute Bekannte ein halblautes Wort aus, so ist es häufiger ein czechi-
sches als ein deutsches. Aber die zwei auf den Platz gehenden Fenster dieses
„deutschen Casino" waren finster! Die Schuld muß an den Gästen liegen,
rief ein Student; denn Hollinka, der Casinowirth, ist ein strammer Patriot.
Hinauf! Donnernd und wetternd stürmten sie in den ersten Stock und auf
eine Thüre los, aus deren Ritzen ein Lichtstrahl drang, als sie plötzlich etwas
hörten — was war das? Gerassel! Wahrhaftig. Geklirr von Säbelscheiden!
,Es saßen Offiziere darin. Verrath! Eine Falle! Rechtsum, kehrt! Und flugs
und leise schwebten die Falkenritter wieder die Treppe hinab. Nicht immer
indeß gewinnt die kaiserliche Uniform, die hier allein das Deutschthum ver¬
tritt, so leichte Siege. In einem Wirthshausgarten verlangten ein paar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/542>, abgerufen am 02.07.2024.