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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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von sie kommt an Spitze von Ministerium und dann wern wir sehen. Kaiser
muß Böhmen nachgeben, weil wir sind zu stark". -- Einem furchtbar großen
Bauernwagen gleicht die röthliche Wolke. Wilde Gestalten sitzen darauf; deut¬
lich sieht man sie mit Hacke, Messer und Sense drohen. -- "Nur zu deut¬
lich" seufzt der furchtsame Bürger; "gebt acht, es wird tausendmal schlim¬
mer als 1848. Bevor der erste Schnee fällt, haben wir blutige Krawatte
im Lande, Mord, Brand und Plünderung. Ach, und das Militär wird
überall zu spät kommen". -- Meiner Treu, das Gewölk sieht aus wie ein
beleibter Hanswurst, den Daumen an der Nase, vier Finger in die Luft
gestreckt. -- "Na. versteht sich" sagt der Herr Obrist. "Nichts als Flausen.
Ihr Civilisten macht zu viel Wesens von dem Wenzel. Wie er eine Hand
aufhebt, kriegt er ja eine Hinterladung ins Gesicht, die sich gewaschen hat.
Das weiß der Wenzel -- er wird sich hüten".

Die Volksstimmung, die so närrische Träume gebiert, dauert seit Jahr
und Tag, und genährt wird sie durch die czechische Oppositionspartei, die kein
Mittel oder Mittelchen spart, um sich in den Ruf hoher Macht und Gefähr¬
lichkeit zu setzen. Der czechomanischen Demonstrationen ist daher kein Ende,
und wenn sie dem Fernstehenden manchmal kindisch und harmlos genug er-,
scheinen, werden sie dem Deutschen, der mitten unter Slaven lebt, doch am
Ende etwas mehr als langweilig. Mit einiger Philosophie lernt er dies
kleine Ungemach verwinden, namentlich da ihm der Umstand zu Hilfe kommt,
daß es den Ausbrüchen des Stockczechenthums selten an einer burlesken Seite
fehlt. Eine Hauptrolle bei diesen Kundgebungen spielen gegenwärtig die
Sokolaci. Welche Seete oder Brüderschaft dieses Wort bezeichnet, sollen Sie
gleich erfahren. Vier, fünfmal die Woche werden die Straßen von König-
grätz Nachmittags durch ein mißtönendes Horn erschreckt. Das ist kein Al¬
penhorn und auch kein Waldhorn. Wenn der Kuhhirt seine Heerde aus¬
treibt, bläst er melodischer. Solch ein Mißklang im Lande Böhmen, wo ja
schon die Kindlein in der Wiegen sich selber die Geige stimmen? Aber, du
lieber Himmel, die Politik, deren Gewitterschläge die Milch der frömmsten
Denkungsart in Essig verwandeln, kann auch ein gutes höhnisches Instru¬
ment verderben, Wir treten ans Fenster, und siehe da: 20 oder 30 Mann,
junge Herrn und bejahrte marschiren mit ernster Miene in Reihe und Glied
einher; manche in prosaischer Philisterkleidung, andere die nationale "Scha-
mara" am Leibe und auf dem Haupt die "Podiebratka". eine polnisch aus¬
sehende Mütze, die mit einer kleinen Falken- oder gewöhnlichen Hühnerfeder
verziert wird, voran der schreckliche Trompeter, der selbst ein Sokolak, also
ein guter Czeche sein muß und dafür ein schlechter Musikant sein darf. Und
was bedeutet der feierliche Marsch, was der Fanfarenschall? Er verkün¬
digt das Ereigniß, daß die sämmtlichen Sokolaci wieder einmal ausgerückt


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von sie kommt an Spitze von Ministerium und dann wern wir sehen. Kaiser
muß Böhmen nachgeben, weil wir sind zu stark". — Einem furchtbar großen
Bauernwagen gleicht die röthliche Wolke. Wilde Gestalten sitzen darauf; deut¬
lich sieht man sie mit Hacke, Messer und Sense drohen. — „Nur zu deut¬
lich" seufzt der furchtsame Bürger; „gebt acht, es wird tausendmal schlim¬
mer als 1848. Bevor der erste Schnee fällt, haben wir blutige Krawatte
im Lande, Mord, Brand und Plünderung. Ach, und das Militär wird
überall zu spät kommen". — Meiner Treu, das Gewölk sieht aus wie ein
beleibter Hanswurst, den Daumen an der Nase, vier Finger in die Luft
gestreckt. — „Na. versteht sich" sagt der Herr Obrist. „Nichts als Flausen.
Ihr Civilisten macht zu viel Wesens von dem Wenzel. Wie er eine Hand
aufhebt, kriegt er ja eine Hinterladung ins Gesicht, die sich gewaschen hat.
Das weiß der Wenzel — er wird sich hüten".

Die Volksstimmung, die so närrische Träume gebiert, dauert seit Jahr
und Tag, und genährt wird sie durch die czechische Oppositionspartei, die kein
Mittel oder Mittelchen spart, um sich in den Ruf hoher Macht und Gefähr¬
lichkeit zu setzen. Der czechomanischen Demonstrationen ist daher kein Ende,
und wenn sie dem Fernstehenden manchmal kindisch und harmlos genug er-,
scheinen, werden sie dem Deutschen, der mitten unter Slaven lebt, doch am
Ende etwas mehr als langweilig. Mit einiger Philosophie lernt er dies
kleine Ungemach verwinden, namentlich da ihm der Umstand zu Hilfe kommt,
daß es den Ausbrüchen des Stockczechenthums selten an einer burlesken Seite
fehlt. Eine Hauptrolle bei diesen Kundgebungen spielen gegenwärtig die
Sokolaci. Welche Seete oder Brüderschaft dieses Wort bezeichnet, sollen Sie
gleich erfahren. Vier, fünfmal die Woche werden die Straßen von König-
grätz Nachmittags durch ein mißtönendes Horn erschreckt. Das ist kein Al¬
penhorn und auch kein Waldhorn. Wenn der Kuhhirt seine Heerde aus¬
treibt, bläst er melodischer. Solch ein Mißklang im Lande Böhmen, wo ja
schon die Kindlein in der Wiegen sich selber die Geige stimmen? Aber, du
lieber Himmel, die Politik, deren Gewitterschläge die Milch der frömmsten
Denkungsart in Essig verwandeln, kann auch ein gutes höhnisches Instru¬
ment verderben, Wir treten ans Fenster, und siehe da: 20 oder 30 Mann,
junge Herrn und bejahrte marschiren mit ernster Miene in Reihe und Glied
einher; manche in prosaischer Philisterkleidung, andere die nationale „Scha-
mara" am Leibe und auf dem Haupt die „Podiebratka". eine polnisch aus¬
sehende Mütze, die mit einer kleinen Falken- oder gewöhnlichen Hühnerfeder
verziert wird, voran der schreckliche Trompeter, der selbst ein Sokolak, also
ein guter Czeche sein muß und dafür ein schlechter Musikant sein darf. Und
was bedeutet der feierliche Marsch, was der Fanfarenschall? Er verkün¬
digt das Ereigniß, daß die sämmtlichen Sokolaci wieder einmal ausgerückt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/541>, abgerufen am 30.06.2024.