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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Das mühte Jedem auffällig werden, der am Abend des 14. September die
erleuchtete Stadt betrat. Die Illumination war gerade so reich und voll¬
ständig, als sie bei ähnlichen Gelegenheiten in altpreußischen Städten zu sein
pflegt, einige Häuser am Markt und wenige auf den Straßen demonstrirten
durch Lichtlosigkeit. Von den meisten Häusern wehten Flaggen, in der Regel
die populäre dreifarbige der Marine neben der Schleswig-holsteinschen, dar¬
über auch häufig die ernsten Farben Altpreußens. Das Gewühl auf den
Straßen war so arg, daß man kaum durchzuringen vermochte, die Stim¬
mung nicht enthusiastisch, aber heiter und behaglich angeregt. Wer einige
Uebung hat, aus solchen Straßendemonstrationen auf die Meinung der Be¬
völkerung zu schließen, der konnte, wenn er Preuße war, sehr zufrieden seine
Herberge aufsuchen. -- In den nächsten Tagen erhöhte der persönliche Ein¬
druck, welchen der greise König machte, wie in Kiel, so aus allen Stationen
seines Aufenthaltes die gute Stimmung. Seine Worte wurden eifrig nach¬
erzählt und sie gefielen; auch die feste Antwort, welche der König, afficirt
durch die phrasenhafte Friedensbitte des Universitätsrectors gab und die
seitdem in den stoffarmen Zeitungen endlose Commentare gefunden hat.
Ferner wurde lebhaft gerühmt, daß der Monarch sich um so Vieles kümmerte, mit
so Vielen sprach und nach allen Seiten fürstlichen Antheil zu erweisen wußte.
Dazu kam bei Allen, auch den Mißvergnügten, der Gedanke, welch ein mäch¬
tiger Herr es war, den sie jetzt als ihren König begrüßten, ein Kriegsmann
und in der ganzen Welt respectirt.

Es hätte dieser Gedanken kaum bedurft. Der Deutsche hat ein untilg¬
bares Bedürfniß, zu lieben und zu verehren. Wird ihm die Gelegenheit dazu
völlig genommen, so wird er mißvergnügt und aussätzig, findet er irgend
etwas Hohes, dem er sich hingeben kann , so entwickelt sich in ihm eine sehr
achtungswerthe Gemüthswärme. Mögen die Holsteiner uns verzeihen, wenn
wir ihnen auf den Kopf zusagen, daß sie darin grade so vielversprechend sind,
als irgend ein anderer deutscher Mann. Sie sind jetzt freilich im Uebergange
begriffen von einem Ideal zum andern und das fordert eine anständige Zeit,
die sie, wie zu hoffen ist, uns nicht allzulang bemessen werden. Denn sie
stehen jetzt unter einem Zwange, der ihnen mit unwiderstehlicher Gewalt
ihre realen Interessen und durch diese auch Stimmungen und Gemüth um¬
formt. Unter allen neuen Provinzen ist grade Schleswig-Holstein diejenige,
welche am schnellsten und stärksten den Segen fühlt, einem großen, starken
Staate anzugehören. Kiel ist in so kräftigem Aufblühen wie wenig Städte,
die Zahl der Neubauten, auch privater, ist ganz unverhältnißmäßig groß,
ganze Straßen sind entstanden, die noch auf dem letzten Plan des wackern
Bädeker nicht zu finden sind. Der Tagelohn in der Provinz ist hoch, an
beiden Meeren so hoch wie in den größten Städten des Binnenlandes, Ver-


Das mühte Jedem auffällig werden, der am Abend des 14. September die
erleuchtete Stadt betrat. Die Illumination war gerade so reich und voll¬
ständig, als sie bei ähnlichen Gelegenheiten in altpreußischen Städten zu sein
pflegt, einige Häuser am Markt und wenige auf den Straßen demonstrirten
durch Lichtlosigkeit. Von den meisten Häusern wehten Flaggen, in der Regel
die populäre dreifarbige der Marine neben der Schleswig-holsteinschen, dar¬
über auch häufig die ernsten Farben Altpreußens. Das Gewühl auf den
Straßen war so arg, daß man kaum durchzuringen vermochte, die Stim¬
mung nicht enthusiastisch, aber heiter und behaglich angeregt. Wer einige
Uebung hat, aus solchen Straßendemonstrationen auf die Meinung der Be¬
völkerung zu schließen, der konnte, wenn er Preuße war, sehr zufrieden seine
Herberge aufsuchen. — In den nächsten Tagen erhöhte der persönliche Ein¬
druck, welchen der greise König machte, wie in Kiel, so aus allen Stationen
seines Aufenthaltes die gute Stimmung. Seine Worte wurden eifrig nach¬
erzählt und sie gefielen; auch die feste Antwort, welche der König, afficirt
durch die phrasenhafte Friedensbitte des Universitätsrectors gab und die
seitdem in den stoffarmen Zeitungen endlose Commentare gefunden hat.
Ferner wurde lebhaft gerühmt, daß der Monarch sich um so Vieles kümmerte, mit
so Vielen sprach und nach allen Seiten fürstlichen Antheil zu erweisen wußte.
Dazu kam bei Allen, auch den Mißvergnügten, der Gedanke, welch ein mäch¬
tiger Herr es war, den sie jetzt als ihren König begrüßten, ein Kriegsmann
und in der ganzen Welt respectirt.

Es hätte dieser Gedanken kaum bedurft. Der Deutsche hat ein untilg¬
bares Bedürfniß, zu lieben und zu verehren. Wird ihm die Gelegenheit dazu
völlig genommen, so wird er mißvergnügt und aussätzig, findet er irgend
etwas Hohes, dem er sich hingeben kann , so entwickelt sich in ihm eine sehr
achtungswerthe Gemüthswärme. Mögen die Holsteiner uns verzeihen, wenn
wir ihnen auf den Kopf zusagen, daß sie darin grade so vielversprechend sind,
als irgend ein anderer deutscher Mann. Sie sind jetzt freilich im Uebergange
begriffen von einem Ideal zum andern und das fordert eine anständige Zeit,
die sie, wie zu hoffen ist, uns nicht allzulang bemessen werden. Denn sie
stehen jetzt unter einem Zwange, der ihnen mit unwiderstehlicher Gewalt
ihre realen Interessen und durch diese auch Stimmungen und Gemüth um¬
formt. Unter allen neuen Provinzen ist grade Schleswig-Holstein diejenige,
welche am schnellsten und stärksten den Segen fühlt, einem großen, starken
Staate anzugehören. Kiel ist in so kräftigem Aufblühen wie wenig Städte,
die Zahl der Neubauten, auch privater, ist ganz unverhältnißmäßig groß,
ganze Straßen sind entstanden, die noch auf dem letzten Plan des wackern
Bädeker nicht zu finden sind. Der Tagelohn in der Provinz ist hoch, an
beiden Meeren so hoch wie in den größten Städten des Binnenlandes, Ver-


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[0538] Das mühte Jedem auffällig werden, der am Abend des 14. September die erleuchtete Stadt betrat. Die Illumination war gerade so reich und voll¬ ständig, als sie bei ähnlichen Gelegenheiten in altpreußischen Städten zu sein pflegt, einige Häuser am Markt und wenige auf den Straßen demonstrirten durch Lichtlosigkeit. Von den meisten Häusern wehten Flaggen, in der Regel die populäre dreifarbige der Marine neben der Schleswig-holsteinschen, dar¬ über auch häufig die ernsten Farben Altpreußens. Das Gewühl auf den Straßen war so arg, daß man kaum durchzuringen vermochte, die Stim¬ mung nicht enthusiastisch, aber heiter und behaglich angeregt. Wer einige Uebung hat, aus solchen Straßendemonstrationen auf die Meinung der Be¬ völkerung zu schließen, der konnte, wenn er Preuße war, sehr zufrieden seine Herberge aufsuchen. — In den nächsten Tagen erhöhte der persönliche Ein¬ druck, welchen der greise König machte, wie in Kiel, so aus allen Stationen seines Aufenthaltes die gute Stimmung. Seine Worte wurden eifrig nach¬ erzählt und sie gefielen; auch die feste Antwort, welche der König, afficirt durch die phrasenhafte Friedensbitte des Universitätsrectors gab und die seitdem in den stoffarmen Zeitungen endlose Commentare gefunden hat. Ferner wurde lebhaft gerühmt, daß der Monarch sich um so Vieles kümmerte, mit so Vielen sprach und nach allen Seiten fürstlichen Antheil zu erweisen wußte. Dazu kam bei Allen, auch den Mißvergnügten, der Gedanke, welch ein mäch¬ tiger Herr es war, den sie jetzt als ihren König begrüßten, ein Kriegsmann und in der ganzen Welt respectirt. Es hätte dieser Gedanken kaum bedurft. Der Deutsche hat ein untilg¬ bares Bedürfniß, zu lieben und zu verehren. Wird ihm die Gelegenheit dazu völlig genommen, so wird er mißvergnügt und aussätzig, findet er irgend etwas Hohes, dem er sich hingeben kann , so entwickelt sich in ihm eine sehr achtungswerthe Gemüthswärme. Mögen die Holsteiner uns verzeihen, wenn wir ihnen auf den Kopf zusagen, daß sie darin grade so vielversprechend sind, als irgend ein anderer deutscher Mann. Sie sind jetzt freilich im Uebergange begriffen von einem Ideal zum andern und das fordert eine anständige Zeit, die sie, wie zu hoffen ist, uns nicht allzulang bemessen werden. Denn sie stehen jetzt unter einem Zwange, der ihnen mit unwiderstehlicher Gewalt ihre realen Interessen und durch diese auch Stimmungen und Gemüth um¬ formt. Unter allen neuen Provinzen ist grade Schleswig-Holstein diejenige, welche am schnellsten und stärksten den Segen fühlt, einem großen, starken Staate anzugehören. Kiel ist in so kräftigem Aufblühen wie wenig Städte, die Zahl der Neubauten, auch privater, ist ganz unverhältnißmäßig groß, ganze Straßen sind entstanden, die noch auf dem letzten Plan des wackern Bädeker nicht zu finden sind. Der Tagelohn in der Provinz ist hoch, an beiden Meeren so hoch wie in den größten Städten des Binnenlandes, Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/538>, abgerufen am 02.07.2024.