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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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dienst leicht und lohnend, arbeitende Hände sehr begehrt, der Landwirth
freut sich der guten Verwerthung seiner Producte nach dem Ausland,
Rhederei und Handel fühlen den dänischen Druck nicht mehr und merken
hoffnungsvoll die Vortheile ungehinderten Verkehrs mit den deutschen Hinter¬
ländern. Gerade dieser Provinz ist die Bundesflagge der Handelsmarine --
einige flensburger Rheder ausgenommen -- von unermeßlichen Werth. Nie¬
mand fühlt diese Wohlthaten mehr als der kleine Mann, der Landarbeiter
der Schiffer, der Handwerker, und der friesische Matrose sieht freudig dem
Tage entgegen, wo die stolzen Hamburger ihm nicht mehr ihre theure Steuer¬
mannsprüfung aufnöthigen werden, weil der Bund auch seine Interessen in
die Hand zu nehmen verheißen hat. Preußen hat dem Herzen der Schleswig-
Holsteiner in den Jahren des Erwerbes vielfach wehe gethan, aber es hat
dem Lande die drei höchsten Güter eines Volkes gebracht: durch Einver¬
leibung in den Großstaat einen weiten politischen Horizont und sür jede
Menschenkraft den freisten Spielraum, durch Einschluß in den Zollverein
einen großen, freien Markt, durch die norddeutsche Bundesflagge eine an¬
gesehene Stellung zu fremden Nationen. Dieser neue Gewinn aber ist einer
Generation geworden, welche bis jetzt die ausgezeichneten Tugenden ihres
Privatcharakters in provinzieller Abgeschlossenheit oder im Kampf gegen den
dänischen Staat entwickelt hat. -- Dieser Segen ist wirksam trotz der gehäuf¬
ten Mißgriffe, welche die preußische Regierung bei Besetzung wichtiger Stel¬
len auch in dieser Provinz gemacht hat. Diese Uebelstände, der Aerger über
Personen und einzelne verkehrte Maßregeln werden noch lange eine Verstim¬
mung erhalten, und diese Unzufriedenheit wird unvermeidlich gesteigert durch
das neue Ungewohnte vieler Einrichtungen, die an sich heilsam und ein Ge¬
winn sind. Aber all' dieses Störende vermag schwerlich den schnellen Verlauf
des Einverleibungsprocesses zu hindern, denn die Bewohner dieser Provinz
sind gescheute Leute und wie ein Jnselvolk gewöhnt, auf Wind und Welle
zu achten; sie sehen sich jetzt eingeschifft auf einem großen festgefügten Fahr¬
zeug von stolzem Bau und sie fühlen den günstigen Fahrwind- Schreiber
dieses reiste nach Schleswig-Holstein mit der Empfindung, in das schwierigste
und unbotmäßigste Gebiet des neuen Staates zu kommen, er hat in
Wahrheit Mißbehagen, aber weit mehr junges Gedeihen und widerwillige
Anerkennung gefunden, und er scheidet mit der Ueberzeugung, daß diese Pro¬
vinz trotz allen Sünden und Fehlern der preußischen Politik eher und voll¬
ständiger mit den alten Landschaften des Staates verwachsen wird, als der
größte Theil von Hannover und als Nassau. Sie wird noch eine Reihe von
Jahren oppositionell wählen, aus Gewohnheit und weil ihr politische Perso¬
nen überhaupt fehlen, aber in der Mehrzahl der Gewählten vollzieht sich in
aller Stille derselbe Umschwung wie in den Wählern.


Grenzboten III. 1LV8. 64

dienst leicht und lohnend, arbeitende Hände sehr begehrt, der Landwirth
freut sich der guten Verwerthung seiner Producte nach dem Ausland,
Rhederei und Handel fühlen den dänischen Druck nicht mehr und merken
hoffnungsvoll die Vortheile ungehinderten Verkehrs mit den deutschen Hinter¬
ländern. Gerade dieser Provinz ist die Bundesflagge der Handelsmarine —
einige flensburger Rheder ausgenommen — von unermeßlichen Werth. Nie¬
mand fühlt diese Wohlthaten mehr als der kleine Mann, der Landarbeiter
der Schiffer, der Handwerker, und der friesische Matrose sieht freudig dem
Tage entgegen, wo die stolzen Hamburger ihm nicht mehr ihre theure Steuer¬
mannsprüfung aufnöthigen werden, weil der Bund auch seine Interessen in
die Hand zu nehmen verheißen hat. Preußen hat dem Herzen der Schleswig-
Holsteiner in den Jahren des Erwerbes vielfach wehe gethan, aber es hat
dem Lande die drei höchsten Güter eines Volkes gebracht: durch Einver¬
leibung in den Großstaat einen weiten politischen Horizont und sür jede
Menschenkraft den freisten Spielraum, durch Einschluß in den Zollverein
einen großen, freien Markt, durch die norddeutsche Bundesflagge eine an¬
gesehene Stellung zu fremden Nationen. Dieser neue Gewinn aber ist einer
Generation geworden, welche bis jetzt die ausgezeichneten Tugenden ihres
Privatcharakters in provinzieller Abgeschlossenheit oder im Kampf gegen den
dänischen Staat entwickelt hat. — Dieser Segen ist wirksam trotz der gehäuf¬
ten Mißgriffe, welche die preußische Regierung bei Besetzung wichtiger Stel¬
len auch in dieser Provinz gemacht hat. Diese Uebelstände, der Aerger über
Personen und einzelne verkehrte Maßregeln werden noch lange eine Verstim¬
mung erhalten, und diese Unzufriedenheit wird unvermeidlich gesteigert durch
das neue Ungewohnte vieler Einrichtungen, die an sich heilsam und ein Ge¬
winn sind. Aber all' dieses Störende vermag schwerlich den schnellen Verlauf
des Einverleibungsprocesses zu hindern, denn die Bewohner dieser Provinz
sind gescheute Leute und wie ein Jnselvolk gewöhnt, auf Wind und Welle
zu achten; sie sehen sich jetzt eingeschifft auf einem großen festgefügten Fahr¬
zeug von stolzem Bau und sie fühlen den günstigen Fahrwind- Schreiber
dieses reiste nach Schleswig-Holstein mit der Empfindung, in das schwierigste
und unbotmäßigste Gebiet des neuen Staates zu kommen, er hat in
Wahrheit Mißbehagen, aber weit mehr junges Gedeihen und widerwillige
Anerkennung gefunden, und er scheidet mit der Ueberzeugung, daß diese Pro¬
vinz trotz allen Sünden und Fehlern der preußischen Politik eher und voll¬
ständiger mit den alten Landschaften des Staates verwachsen wird, als der
größte Theil von Hannover und als Nassau. Sie wird noch eine Reihe von
Jahren oppositionell wählen, aus Gewohnheit und weil ihr politische Perso¬
nen überhaupt fehlen, aber in der Mehrzahl der Gewählten vollzieht sich in
aller Stille derselbe Umschwung wie in den Wählern.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/539>, abgerufen am 30.06.2024.