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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Herrschaften, begnügt sich damit, durch innigste Anlehnung an Personal und
Richtung der berliner "Volkszeitung" die Partei der Opposition, der De¬
mokratie, der grundsätzlichen Verstimmung zu vertreten. Eine nicht ab¬
reißende Reihe höchst unerquicklicher Preßproeesse muß in Kiel den kleinen
Krieg hauptsächlich ernähren. Von den beiden altonaer Blättern ist der
"Merkur" der reine Ableger der berliner Centralpreßstelle geworden, zwar
durch die Jnsertionsgebühren der Behörden unterstützt, sonst aber auch officiös
etwas stiefmütterlich behandelt, ohne Abonnenten und ohne jeden Einfluß.
Die "Altonaer Nachrichten" zeigen manchmal eine AnWandelung, in den Ton
der "Kieler Zeitung" zu verfallen, lassen sich aber doch überwiegend von den
wirthschaftlichen Interessen der möglichst größten Abonnentenzahl und der mög¬
lichst meisten Annoncen leiten und repräsentiren daher das städtische Klatschblatt
pur sang. -- Trotzdem ist das große Publikum mit seiner Schleswig-hol-
steinischen Zeitungslectüre vollkommen zufrieden, und so wird es keine bessere
verdienen.

Zu verwundern ist dann freilich auch nicht die unerhörte Gleichgiltig-
keit, mit der die Bevölkerung sich in die eigentlich preußische Administra¬
tion einschweißen ließ. Kam es einmal darauf an, die Verwaltung nach
irgend einem vorhandenen Muster einzurichten, dann war sicherlich die han-
noversche Aemterverfassung das gegebene Vorbild und nicht die altpreußische
Landraths- und Kreisordnung. Wir haben weder die ritterschaftlich-kreis¬
ständischen Elemente, auf denen in den guten Zeiten das Landrathsamt ge¬
sund ruhte, noch die starken bureaukratischen Bedürfnisse, welche in schlechten
Zeiten die Landräthe zu Kreispräfecten degradirt haben. Wohl aber be¬
durften wir in Schleswig-Holstein bei völlig unentwickelten Städtewesen und
ebenso reich wie mannigfaltig ausgebreiteter Land- und Fleckensgemeinde einer
guten Zahl tüchtig organisirter localer Verwaltungsämter mit möglichst de-
centralisirtem selbständigen Wirkungskreise. Indessen mußte Herr v. Scheel-
Plessen mehr dabei interessirt sein, dem Grafen Eulenburg keine Weiterungen
zu verursachen, und den Brockdorff's. Reventlow's, Baudissin's, Levetzow's
u. s. f. ihre respectablen. wohldotirten Stellungen zu erhalten, als sich mit
sonstigen Eigenthümlichkeiten des Landes herumzuplagen. Und so wurde
kurzer Hand Schleswig-Holstein in eine Zahl sehr ausgedehnter Kreise ver¬
theilt, aus jenen Herrn Amtmännern wurden Landräthe gemacht, diese den
Kreisen vorgesetzt, aus den alten Provinzen einige Kreisseeretäre zu Hilfe her¬
beigezogen und die Organisation war im Wesentlichen fertig. Nach unten hin
hatte man dann freilich noch den Einfall, im Anschluß ein früher bestandene
Jurisdictionsbezirke in jedem Kreise Arrondissements zu bilden, und diesen
besondere Verwaltungsbeamte unter den wohlklingenden Namen von "Kirch¬
spielvögten" in Holstein, "Hardesvögten" in Schleswig vorzustellen -- natürlich


Grenzboten III. 1868. 63

Herrschaften, begnügt sich damit, durch innigste Anlehnung an Personal und
Richtung der berliner „Volkszeitung" die Partei der Opposition, der De¬
mokratie, der grundsätzlichen Verstimmung zu vertreten. Eine nicht ab¬
reißende Reihe höchst unerquicklicher Preßproeesse muß in Kiel den kleinen
Krieg hauptsächlich ernähren. Von den beiden altonaer Blättern ist der
„Merkur" der reine Ableger der berliner Centralpreßstelle geworden, zwar
durch die Jnsertionsgebühren der Behörden unterstützt, sonst aber auch officiös
etwas stiefmütterlich behandelt, ohne Abonnenten und ohne jeden Einfluß.
Die »Altonaer Nachrichten" zeigen manchmal eine AnWandelung, in den Ton
der „Kieler Zeitung" zu verfallen, lassen sich aber doch überwiegend von den
wirthschaftlichen Interessen der möglichst größten Abonnentenzahl und der mög¬
lichst meisten Annoncen leiten und repräsentiren daher das städtische Klatschblatt
pur sang. — Trotzdem ist das große Publikum mit seiner Schleswig-hol-
steinischen Zeitungslectüre vollkommen zufrieden, und so wird es keine bessere
verdienen.

Zu verwundern ist dann freilich auch nicht die unerhörte Gleichgiltig-
keit, mit der die Bevölkerung sich in die eigentlich preußische Administra¬
tion einschweißen ließ. Kam es einmal darauf an, die Verwaltung nach
irgend einem vorhandenen Muster einzurichten, dann war sicherlich die han-
noversche Aemterverfassung das gegebene Vorbild und nicht die altpreußische
Landraths- und Kreisordnung. Wir haben weder die ritterschaftlich-kreis¬
ständischen Elemente, auf denen in den guten Zeiten das Landrathsamt ge¬
sund ruhte, noch die starken bureaukratischen Bedürfnisse, welche in schlechten
Zeiten die Landräthe zu Kreispräfecten degradirt haben. Wohl aber be¬
durften wir in Schleswig-Holstein bei völlig unentwickelten Städtewesen und
ebenso reich wie mannigfaltig ausgebreiteter Land- und Fleckensgemeinde einer
guten Zahl tüchtig organisirter localer Verwaltungsämter mit möglichst de-
centralisirtem selbständigen Wirkungskreise. Indessen mußte Herr v. Scheel-
Plessen mehr dabei interessirt sein, dem Grafen Eulenburg keine Weiterungen
zu verursachen, und den Brockdorff's. Reventlow's, Baudissin's, Levetzow's
u. s. f. ihre respectablen. wohldotirten Stellungen zu erhalten, als sich mit
sonstigen Eigenthümlichkeiten des Landes herumzuplagen. Und so wurde
kurzer Hand Schleswig-Holstein in eine Zahl sehr ausgedehnter Kreise ver¬
theilt, aus jenen Herrn Amtmännern wurden Landräthe gemacht, diese den
Kreisen vorgesetzt, aus den alten Provinzen einige Kreisseeretäre zu Hilfe her¬
beigezogen und die Organisation war im Wesentlichen fertig. Nach unten hin
hatte man dann freilich noch den Einfall, im Anschluß ein früher bestandene
Jurisdictionsbezirke in jedem Kreise Arrondissements zu bilden, und diesen
besondere Verwaltungsbeamte unter den wohlklingenden Namen von „Kirch¬
spielvögten" in Holstein, „Hardesvögten" in Schleswig vorzustellen — natürlich


Grenzboten III. 1868. 63
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[0531] Herrschaften, begnügt sich damit, durch innigste Anlehnung an Personal und Richtung der berliner „Volkszeitung" die Partei der Opposition, der De¬ mokratie, der grundsätzlichen Verstimmung zu vertreten. Eine nicht ab¬ reißende Reihe höchst unerquicklicher Preßproeesse muß in Kiel den kleinen Krieg hauptsächlich ernähren. Von den beiden altonaer Blättern ist der „Merkur" der reine Ableger der berliner Centralpreßstelle geworden, zwar durch die Jnsertionsgebühren der Behörden unterstützt, sonst aber auch officiös etwas stiefmütterlich behandelt, ohne Abonnenten und ohne jeden Einfluß. Die »Altonaer Nachrichten" zeigen manchmal eine AnWandelung, in den Ton der „Kieler Zeitung" zu verfallen, lassen sich aber doch überwiegend von den wirthschaftlichen Interessen der möglichst größten Abonnentenzahl und der mög¬ lichst meisten Annoncen leiten und repräsentiren daher das städtische Klatschblatt pur sang. — Trotzdem ist das große Publikum mit seiner Schleswig-hol- steinischen Zeitungslectüre vollkommen zufrieden, und so wird es keine bessere verdienen. Zu verwundern ist dann freilich auch nicht die unerhörte Gleichgiltig- keit, mit der die Bevölkerung sich in die eigentlich preußische Administra¬ tion einschweißen ließ. Kam es einmal darauf an, die Verwaltung nach irgend einem vorhandenen Muster einzurichten, dann war sicherlich die han- noversche Aemterverfassung das gegebene Vorbild und nicht die altpreußische Landraths- und Kreisordnung. Wir haben weder die ritterschaftlich-kreis¬ ständischen Elemente, auf denen in den guten Zeiten das Landrathsamt ge¬ sund ruhte, noch die starken bureaukratischen Bedürfnisse, welche in schlechten Zeiten die Landräthe zu Kreispräfecten degradirt haben. Wohl aber be¬ durften wir in Schleswig-Holstein bei völlig unentwickelten Städtewesen und ebenso reich wie mannigfaltig ausgebreiteter Land- und Fleckensgemeinde einer guten Zahl tüchtig organisirter localer Verwaltungsämter mit möglichst de- centralisirtem selbständigen Wirkungskreise. Indessen mußte Herr v. Scheel- Plessen mehr dabei interessirt sein, dem Grafen Eulenburg keine Weiterungen zu verursachen, und den Brockdorff's. Reventlow's, Baudissin's, Levetzow's u. s. f. ihre respectablen. wohldotirten Stellungen zu erhalten, als sich mit sonstigen Eigenthümlichkeiten des Landes herumzuplagen. Und so wurde kurzer Hand Schleswig-Holstein in eine Zahl sehr ausgedehnter Kreise ver¬ theilt, aus jenen Herrn Amtmännern wurden Landräthe gemacht, diese den Kreisen vorgesetzt, aus den alten Provinzen einige Kreisseeretäre zu Hilfe her¬ beigezogen und die Organisation war im Wesentlichen fertig. Nach unten hin hatte man dann freilich noch den Einfall, im Anschluß ein früher bestandene Jurisdictionsbezirke in jedem Kreise Arrondissements zu bilden, und diesen besondere Verwaltungsbeamte unter den wohlklingenden Namen von „Kirch¬ spielvögten" in Holstein, „Hardesvögten" in Schleswig vorzustellen — natürlich Grenzboten III. 1868. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/531>, abgerufen am 04.07.2024.