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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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unter unbedingter Botmäßigkeit des Landraths. Hier sind vielverheißende
Entwickelungskeime modernster Bureaukratie gelegt. So lange diese etat¬
mäßig schlecht dotirter Vogteien sich noch meist in den Händen älterer, zum
großen Theil studtrter, persönlich gut besoldeter Beamter befinden, werden
sie sich einige locale Unabhängigkeit bewahren. Nach dem Zurücktreten der
jetzigen Inhaber muß sich unfehlbar hier dieselbe Art subalternen Schreiber¬
wesens ablagern, wie es die Provinz Posen in ihren Districtscommissarien
kennt. -- Da wir einmal mit Oberpräsidenten und Landräthen ausgestattet
waren, mußten wir auch Provinzial- und Kreisstände erhalten. Das be¬
währte Muster war in den alten Provinzen vorhanden, und daß die letz¬
teren seine Wiederbelebung dem Ministerium Raumer-Westfalen verdanken,
konnte füglich kein Bedenken abgeben; vielleicht hat man in Berlin und
Kiel nur bedauert, daß wir eigentlich kein genügendes Material an Ritter¬
gutsbesitzern haben, um dem Muster ganz nahe zu kommen. Was man
weiter mit den Kreisständen, denen fast überall schlechterdings jede Basis
gemeinsamer Interessen abgeht, anfangen soll, darüber ist man sich wahr¬
scheinlich noch ziemlich unklar. Der Provinziallandtag soll im nächsten Monat
eröffnet werden. Bringen persönliche Verstimmungen nicht etwas Lebhaftig¬
keit in die Verhandlungen, so wird er schwerlich über die übliche Beschäfti¬
gung mit einigen Provinzialinstituten und einigen Landtagsdiners hinaus¬
kommen. Auf den Provinzialfonds können wir uns noch weniger Aussicht
machen, als irgend eine andere Provinz, da wir dem Staate gar keine
baaren Activa und übermäßig viel Passiva zugebracht haben. -- Welche
Art von Verfassung unseren Städten und den in Holstein ebenso wichtigen
Flecken schließlich vorbehalten ist, darüber machen wir uns wenig Kummer.
Inzwischen werden "Fleckenordnungen" nach kurzer summarischer Vorbe¬
rathung mit den bisherigen Gemeindevorständen von Kiel aus octroyirt, die
Stadtstatute aus der dänischen Zeit meist belassen, mitunter auch etwas aus¬
geflickt, Bürgermeister ein- und abgesetzt, und Magistrate wie Deputirten-
collegien grundsätzlich nur als Executivbehörden der Provinzialregierung
behandelt. Ob und wann einmal die Wahl aller Magistratsmitglieder der
Bürgerschaft zufallen, ob und wo die Polizeiverwaltung-der Stadt verbleiben
oder ob sie für den Staat reservirt werden wird, für derartige wichtigste
Lebensfragen ist kaum ein reges Verständniß bemerkbar. In Altona wird
nach einem von der Regierung a<I Iwo genehmigten Wahlmodus von der
Bürgerschaft Dr. Schleiden zum Syndicus erwählt. Er vertritt die Stadt im
Reichstage, und, wie man auch über die hanseatisch-partieularistischen An¬
schauungen des Mannes denken mag. an seiner Begabung und geschäftlichen
Tüchtigkeit ist kein Zweifel; für die durch die Oligarchie einer Familien-
Clique und unfähige Magistrate aufs Aeußerste verwahrloste Stadtverwaltung


unter unbedingter Botmäßigkeit des Landraths. Hier sind vielverheißende
Entwickelungskeime modernster Bureaukratie gelegt. So lange diese etat¬
mäßig schlecht dotirter Vogteien sich noch meist in den Händen älterer, zum
großen Theil studtrter, persönlich gut besoldeter Beamter befinden, werden
sie sich einige locale Unabhängigkeit bewahren. Nach dem Zurücktreten der
jetzigen Inhaber muß sich unfehlbar hier dieselbe Art subalternen Schreiber¬
wesens ablagern, wie es die Provinz Posen in ihren Districtscommissarien
kennt. — Da wir einmal mit Oberpräsidenten und Landräthen ausgestattet
waren, mußten wir auch Provinzial- und Kreisstände erhalten. Das be¬
währte Muster war in den alten Provinzen vorhanden, und daß die letz¬
teren seine Wiederbelebung dem Ministerium Raumer-Westfalen verdanken,
konnte füglich kein Bedenken abgeben; vielleicht hat man in Berlin und
Kiel nur bedauert, daß wir eigentlich kein genügendes Material an Ritter¬
gutsbesitzern haben, um dem Muster ganz nahe zu kommen. Was man
weiter mit den Kreisständen, denen fast überall schlechterdings jede Basis
gemeinsamer Interessen abgeht, anfangen soll, darüber ist man sich wahr¬
scheinlich noch ziemlich unklar. Der Provinziallandtag soll im nächsten Monat
eröffnet werden. Bringen persönliche Verstimmungen nicht etwas Lebhaftig¬
keit in die Verhandlungen, so wird er schwerlich über die übliche Beschäfti¬
gung mit einigen Provinzialinstituten und einigen Landtagsdiners hinaus¬
kommen. Auf den Provinzialfonds können wir uns noch weniger Aussicht
machen, als irgend eine andere Provinz, da wir dem Staate gar keine
baaren Activa und übermäßig viel Passiva zugebracht haben. — Welche
Art von Verfassung unseren Städten und den in Holstein ebenso wichtigen
Flecken schließlich vorbehalten ist, darüber machen wir uns wenig Kummer.
Inzwischen werden „Fleckenordnungen" nach kurzer summarischer Vorbe¬
rathung mit den bisherigen Gemeindevorständen von Kiel aus octroyirt, die
Stadtstatute aus der dänischen Zeit meist belassen, mitunter auch etwas aus¬
geflickt, Bürgermeister ein- und abgesetzt, und Magistrate wie Deputirten-
collegien grundsätzlich nur als Executivbehörden der Provinzialregierung
behandelt. Ob und wann einmal die Wahl aller Magistratsmitglieder der
Bürgerschaft zufallen, ob und wo die Polizeiverwaltung-der Stadt verbleiben
oder ob sie für den Staat reservirt werden wird, für derartige wichtigste
Lebensfragen ist kaum ein reges Verständniß bemerkbar. In Altona wird
nach einem von der Regierung a<I Iwo genehmigten Wahlmodus von der
Bürgerschaft Dr. Schleiden zum Syndicus erwählt. Er vertritt die Stadt im
Reichstage, und, wie man auch über die hanseatisch-partieularistischen An¬
schauungen des Mannes denken mag. an seiner Begabung und geschäftlichen
Tüchtigkeit ist kein Zweifel; für die durch die Oligarchie einer Familien-
Clique und unfähige Magistrate aufs Aeußerste verwahrloste Stadtverwaltung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/532>, abgerufen am 04.07.2024.