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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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gnug Christi verglich. Bunsen beleuchtete nun an der Hand der Geschichte
die Stellung des Bonifacius, welcher nicht sowohl der Apostel der Deutschen
als der Begründer der Hierarchie in Deutschland gewesen und dessen wesent¬
liches Verdienst nur darin bestanden, daß er dem Despotismus der weltlichen
Fürsten entgegengetreten sei, um die Hierarchie zur Erbin der christlichen
Gemeindesreiheit zu bestellen. Die Entwickelung dieses Verhältnisses im Lauf
der folgenden Jahrhunderte leitete dann auf den Kampf der Gegenwart über,
wie er sich vornehmlich um die Forderungen des Episcopats entsponnen hat.
Bunsen stellt sich demselben gegenüber unzweideutig auf die Seite des Staa.
tes,'dessen gutes Recht in Ehesachen, in der Frage der Erziehung und des
Unterrichts und der Ueberwachung des Vermögens von kirchlichen Corpora-
tionen er mit Wärme vertheidigt. Aber er rechtfertigt darum nicht die Mittel,
die der Staat für sein Recht gebraucht. Man soll nicht einen Despotismus
gegen den anderen setzen; was einst als schützende Bevormundung erschien,
wird jetzt als drückender Eingriff in die individuelle Freiheit angesehen. Die
einzige christliche Abwehr hierarchischer Uebergriffe ist gesetzliches Recht und
Freiheit sür Alle; der tiefere Grund des Streites liegt in dem Unrecht beider
Gewalten, der Unterdrückung des Rechtes der kirchlichen wie der staatlichen
Gemeinde, welches wiederhergestellt und umgebildet werden muß, weil nur
in der Freiheit das Heilmittel für die Schäden der Unterdrückung liegt.
Bunsen spricht hier aus eigener Erfahrung, er wußte vom kölner Kirchen¬
streit, daß Rom im Kampf mit fremden Cabineten nicht leicht in Nachtheil
kommen wird, daß seine Schwäche vielmehr nur dem entschiedenen Willen
einer Nation gegenüber zu Tage kommt, wie dies sich in Belgien und Sar¬
dinien zeigte.

Der Verfasser aber läßt es nicht bei den Angriffen gegen den Ultramon.
tanismus bewenden, er kehrt sich auch gegen die protestantische Intoleranz,
welche er in Stahl als ihrem bedeutendsten Repräsentanten angreift. Merk-
würdig genug war gerade Bunsen es gewesen, der Stahl aus seinem be¬
schränkten Wirkungskreise in Erlangen auf den größeren Schauplatz in Berlin
gebracht hatte. Brandes warnte ihn, der Mann sei doch eigentlich ein
Sophist; doch Bunsen war so voll von Stahl's Schrift über die protestan¬
tische Kirchenverfassung, welche sich seinen damaligen episcopalistischen An¬
sichten anschloß, daß er beim König die Berufung durchsetzte. Aber während
Bunsen sich in den Kämpfen der Zeit zu einer freien Auffassung durchge¬
arbeitet, war jener begabte Mann immer mehr zum Werkzeug der Kreuz¬
zeitungspartei geworden und trieb diese Richtung in einer vor dem Hose
gehaltenen Rede über Toleranz auf die Spitze.

Die Toleranz, sagte Stahl, sei ein Kind des Unglaubens, ihr innerster
Beweggrund kein anderer, als der Zweifel an der göttlichen Offenbarung


Grenzboten III. 1868. 62

gnug Christi verglich. Bunsen beleuchtete nun an der Hand der Geschichte
die Stellung des Bonifacius, welcher nicht sowohl der Apostel der Deutschen
als der Begründer der Hierarchie in Deutschland gewesen und dessen wesent¬
liches Verdienst nur darin bestanden, daß er dem Despotismus der weltlichen
Fürsten entgegengetreten sei, um die Hierarchie zur Erbin der christlichen
Gemeindesreiheit zu bestellen. Die Entwickelung dieses Verhältnisses im Lauf
der folgenden Jahrhunderte leitete dann auf den Kampf der Gegenwart über,
wie er sich vornehmlich um die Forderungen des Episcopats entsponnen hat.
Bunsen stellt sich demselben gegenüber unzweideutig auf die Seite des Staa.
tes,'dessen gutes Recht in Ehesachen, in der Frage der Erziehung und des
Unterrichts und der Ueberwachung des Vermögens von kirchlichen Corpora-
tionen er mit Wärme vertheidigt. Aber er rechtfertigt darum nicht die Mittel,
die der Staat für sein Recht gebraucht. Man soll nicht einen Despotismus
gegen den anderen setzen; was einst als schützende Bevormundung erschien,
wird jetzt als drückender Eingriff in die individuelle Freiheit angesehen. Die
einzige christliche Abwehr hierarchischer Uebergriffe ist gesetzliches Recht und
Freiheit sür Alle; der tiefere Grund des Streites liegt in dem Unrecht beider
Gewalten, der Unterdrückung des Rechtes der kirchlichen wie der staatlichen
Gemeinde, welches wiederhergestellt und umgebildet werden muß, weil nur
in der Freiheit das Heilmittel für die Schäden der Unterdrückung liegt.
Bunsen spricht hier aus eigener Erfahrung, er wußte vom kölner Kirchen¬
streit, daß Rom im Kampf mit fremden Cabineten nicht leicht in Nachtheil
kommen wird, daß seine Schwäche vielmehr nur dem entschiedenen Willen
einer Nation gegenüber zu Tage kommt, wie dies sich in Belgien und Sar¬
dinien zeigte.

Der Verfasser aber läßt es nicht bei den Angriffen gegen den Ultramon.
tanismus bewenden, er kehrt sich auch gegen die protestantische Intoleranz,
welche er in Stahl als ihrem bedeutendsten Repräsentanten angreift. Merk-
würdig genug war gerade Bunsen es gewesen, der Stahl aus seinem be¬
schränkten Wirkungskreise in Erlangen auf den größeren Schauplatz in Berlin
gebracht hatte. Brandes warnte ihn, der Mann sei doch eigentlich ein
Sophist; doch Bunsen war so voll von Stahl's Schrift über die protestan¬
tische Kirchenverfassung, welche sich seinen damaligen episcopalistischen An¬
sichten anschloß, daß er beim König die Berufung durchsetzte. Aber während
Bunsen sich in den Kämpfen der Zeit zu einer freien Auffassung durchge¬
arbeitet, war jener begabte Mann immer mehr zum Werkzeug der Kreuz¬
zeitungspartei geworden und trieb diese Richtung in einer vor dem Hose
gehaltenen Rede über Toleranz auf die Spitze.

Die Toleranz, sagte Stahl, sei ein Kind des Unglaubens, ihr innerster
Beweggrund kein anderer, als der Zweifel an der göttlichen Offenbarung


Grenzboten III. 1868. 62
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[0523] gnug Christi verglich. Bunsen beleuchtete nun an der Hand der Geschichte die Stellung des Bonifacius, welcher nicht sowohl der Apostel der Deutschen als der Begründer der Hierarchie in Deutschland gewesen und dessen wesent¬ liches Verdienst nur darin bestanden, daß er dem Despotismus der weltlichen Fürsten entgegengetreten sei, um die Hierarchie zur Erbin der christlichen Gemeindesreiheit zu bestellen. Die Entwickelung dieses Verhältnisses im Lauf der folgenden Jahrhunderte leitete dann auf den Kampf der Gegenwart über, wie er sich vornehmlich um die Forderungen des Episcopats entsponnen hat. Bunsen stellt sich demselben gegenüber unzweideutig auf die Seite des Staa. tes,'dessen gutes Recht in Ehesachen, in der Frage der Erziehung und des Unterrichts und der Ueberwachung des Vermögens von kirchlichen Corpora- tionen er mit Wärme vertheidigt. Aber er rechtfertigt darum nicht die Mittel, die der Staat für sein Recht gebraucht. Man soll nicht einen Despotismus gegen den anderen setzen; was einst als schützende Bevormundung erschien, wird jetzt als drückender Eingriff in die individuelle Freiheit angesehen. Die einzige christliche Abwehr hierarchischer Uebergriffe ist gesetzliches Recht und Freiheit sür Alle; der tiefere Grund des Streites liegt in dem Unrecht beider Gewalten, der Unterdrückung des Rechtes der kirchlichen wie der staatlichen Gemeinde, welches wiederhergestellt und umgebildet werden muß, weil nur in der Freiheit das Heilmittel für die Schäden der Unterdrückung liegt. Bunsen spricht hier aus eigener Erfahrung, er wußte vom kölner Kirchen¬ streit, daß Rom im Kampf mit fremden Cabineten nicht leicht in Nachtheil kommen wird, daß seine Schwäche vielmehr nur dem entschiedenen Willen einer Nation gegenüber zu Tage kommt, wie dies sich in Belgien und Sar¬ dinien zeigte. Der Verfasser aber läßt es nicht bei den Angriffen gegen den Ultramon. tanismus bewenden, er kehrt sich auch gegen die protestantische Intoleranz, welche er in Stahl als ihrem bedeutendsten Repräsentanten angreift. Merk- würdig genug war gerade Bunsen es gewesen, der Stahl aus seinem be¬ schränkten Wirkungskreise in Erlangen auf den größeren Schauplatz in Berlin gebracht hatte. Brandes warnte ihn, der Mann sei doch eigentlich ein Sophist; doch Bunsen war so voll von Stahl's Schrift über die protestan¬ tische Kirchenverfassung, welche sich seinen damaligen episcopalistischen An¬ sichten anschloß, daß er beim König die Berufung durchsetzte. Aber während Bunsen sich in den Kämpfen der Zeit zu einer freien Auffassung durchge¬ arbeitet, war jener begabte Mann immer mehr zum Werkzeug der Kreuz¬ zeitungspartei geworden und trieb diese Richtung in einer vor dem Hose gehaltenen Rede über Toleranz auf die Spitze. Die Toleranz, sagte Stahl, sei ein Kind des Unglaubens, ihr innerster Beweggrund kein anderer, als der Zweifel an der göttlichen Offenbarung Grenzboten III. 1868. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/523>, abgerufen am 04.07.2024.