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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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und damit aller sicheren und bindenden religiösen Wahrheit. Das Christen¬
thum sei vielmehr die Religion der Intoleranz, sein Keim die Exclusivität,
seine Wirkungsart die Aggression gegen alle anderen Religionen, die Propa¬
ganda unter allen Völkern. Es sei genug, daß jeder Mensch für seine Person
seines Glaubens leben könne, unbeschadet seines menschlichen Rechtes und
seiner menschlichen Ehre. Etwas ganz Anderes als diese persönliche Reli¬
gionsfreiheit sei die Freiheit der religiösen Vereinigung, welche das Gebiet
der öffentlichen Lebensordnung berühre; hier sei die Obrigkeit befugt und
verpflichtet, die richtige Ausgleichung je nach dem Inhalt der betreffenden
Religion und je nach den Verhältnissen des Landes zu treffen.

Gegen diese Sätze erhebt sich Bunsen, um die Toleranz als eine echt
christliche Tugend zu vertheidigen. Christus sei für die Freiheit, nicht für die
Knechtung der Menschen gestorben, seine Jünger hätten nicht durch, sondern
unter Verfolgungen bekehrt. Die christliche Toleranz verlange nicht blos, daß
Menschen "für seine Person" gestattet sei. seines Glaubens zu leben, son¬
dern auch, daß er Gott nach seiner Weise öffentlich verehren dürfe, dazu
treibe jede lebendige religiöse Ueberzeugung. -- Auch hier sucht Bunsen die
Rettung in der Neubelebung des christlichen Gemeindebewußtseins; dem
schroffen Confessionalismus wird die freie Form kirchlicher Genossenschaft ent¬
gegengestellt, in welcher weniger das Bekenntniß, als die religiöse Durch¬
dringung der Einzelnen zu betonen sei.

Es läßt sich gewiß nicht behaupten, daß Bunsen die Lösung der Schwie¬
rigkeit gefunden, und es liegt manches Begründete in den Vorwürfen der
Stahl'schen Gegenschrift, aber die "Zeichen der Zeit" übten doch eine gewaltige
Wirkung. Bunsen hatte früher für einen Mann der kirchlichen Reaction ge¬
golten, der für die Übertragung des hochkirchlichen Systems auf Deutsch¬
land arbeite, darum ward er mit Stahl in einer Linie genannt. Er hatte
dann freilich schon in seiner "Verfassung der Kirche der Zukunft" eine Differenz
mit der anglicanischen Kirche dargelegt, indem er die Nationalkirche der
Staatskirche gegenüberstellte, und sich noch bestimmter in seinem Hippolytus
gegen die wiederauflebenden hierarchischen Gelüste ausgesprochen, aber ein Angriff
von dieser Schärfe auf die herrschende Stimmung, und gar von einem persön¬
lichen Freunde Friedrich Wilhelm's IV. ward mit Recht als ein bedeut¬
sames Ereigniß betrachtet und die Form des Buches in zwanglosen Briefen
voll Schwung und Frische föroerte seine rasche Verbreitung nicht wenig.
Bunsen selbst war über den Erfolg im höchsten Grade überrascht; aber
derselbe verleitete ihn nicht, die Polemik zu verfolgen, er wandte sich viel¬
mehr mit ganzer Kraft auf die positiven Aufgaben, die er sich gestellt. Nach¬
dem er das große Werk über Egypten abgeschlossen, ging er an seine Offen¬
barungsphilosophie, welche 1857 und 1858 unter dem Titel "Gott in der


und damit aller sicheren und bindenden religiösen Wahrheit. Das Christen¬
thum sei vielmehr die Religion der Intoleranz, sein Keim die Exclusivität,
seine Wirkungsart die Aggression gegen alle anderen Religionen, die Propa¬
ganda unter allen Völkern. Es sei genug, daß jeder Mensch für seine Person
seines Glaubens leben könne, unbeschadet seines menschlichen Rechtes und
seiner menschlichen Ehre. Etwas ganz Anderes als diese persönliche Reli¬
gionsfreiheit sei die Freiheit der religiösen Vereinigung, welche das Gebiet
der öffentlichen Lebensordnung berühre; hier sei die Obrigkeit befugt und
verpflichtet, die richtige Ausgleichung je nach dem Inhalt der betreffenden
Religion und je nach den Verhältnissen des Landes zu treffen.

Gegen diese Sätze erhebt sich Bunsen, um die Toleranz als eine echt
christliche Tugend zu vertheidigen. Christus sei für die Freiheit, nicht für die
Knechtung der Menschen gestorben, seine Jünger hätten nicht durch, sondern
unter Verfolgungen bekehrt. Die christliche Toleranz verlange nicht blos, daß
Menschen „für seine Person" gestattet sei. seines Glaubens zu leben, son¬
dern auch, daß er Gott nach seiner Weise öffentlich verehren dürfe, dazu
treibe jede lebendige religiöse Ueberzeugung. — Auch hier sucht Bunsen die
Rettung in der Neubelebung des christlichen Gemeindebewußtseins; dem
schroffen Confessionalismus wird die freie Form kirchlicher Genossenschaft ent¬
gegengestellt, in welcher weniger das Bekenntniß, als die religiöse Durch¬
dringung der Einzelnen zu betonen sei.

Es läßt sich gewiß nicht behaupten, daß Bunsen die Lösung der Schwie¬
rigkeit gefunden, und es liegt manches Begründete in den Vorwürfen der
Stahl'schen Gegenschrift, aber die „Zeichen der Zeit" übten doch eine gewaltige
Wirkung. Bunsen hatte früher für einen Mann der kirchlichen Reaction ge¬
golten, der für die Übertragung des hochkirchlichen Systems auf Deutsch¬
land arbeite, darum ward er mit Stahl in einer Linie genannt. Er hatte
dann freilich schon in seiner „Verfassung der Kirche der Zukunft" eine Differenz
mit der anglicanischen Kirche dargelegt, indem er die Nationalkirche der
Staatskirche gegenüberstellte, und sich noch bestimmter in seinem Hippolytus
gegen die wiederauflebenden hierarchischen Gelüste ausgesprochen, aber ein Angriff
von dieser Schärfe auf die herrschende Stimmung, und gar von einem persön¬
lichen Freunde Friedrich Wilhelm's IV. ward mit Recht als ein bedeut¬
sames Ereigniß betrachtet und die Form des Buches in zwanglosen Briefen
voll Schwung und Frische föroerte seine rasche Verbreitung nicht wenig.
Bunsen selbst war über den Erfolg im höchsten Grade überrascht; aber
derselbe verleitete ihn nicht, die Polemik zu verfolgen, er wandte sich viel¬
mehr mit ganzer Kraft auf die positiven Aufgaben, die er sich gestellt. Nach¬
dem er das große Werk über Egypten abgeschlossen, ging er an seine Offen¬
barungsphilosophie, welche 1857 und 1858 unter dem Titel „Gott in der


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[0524] und damit aller sicheren und bindenden religiösen Wahrheit. Das Christen¬ thum sei vielmehr die Religion der Intoleranz, sein Keim die Exclusivität, seine Wirkungsart die Aggression gegen alle anderen Religionen, die Propa¬ ganda unter allen Völkern. Es sei genug, daß jeder Mensch für seine Person seines Glaubens leben könne, unbeschadet seines menschlichen Rechtes und seiner menschlichen Ehre. Etwas ganz Anderes als diese persönliche Reli¬ gionsfreiheit sei die Freiheit der religiösen Vereinigung, welche das Gebiet der öffentlichen Lebensordnung berühre; hier sei die Obrigkeit befugt und verpflichtet, die richtige Ausgleichung je nach dem Inhalt der betreffenden Religion und je nach den Verhältnissen des Landes zu treffen. Gegen diese Sätze erhebt sich Bunsen, um die Toleranz als eine echt christliche Tugend zu vertheidigen. Christus sei für die Freiheit, nicht für die Knechtung der Menschen gestorben, seine Jünger hätten nicht durch, sondern unter Verfolgungen bekehrt. Die christliche Toleranz verlange nicht blos, daß Menschen „für seine Person" gestattet sei. seines Glaubens zu leben, son¬ dern auch, daß er Gott nach seiner Weise öffentlich verehren dürfe, dazu treibe jede lebendige religiöse Ueberzeugung. — Auch hier sucht Bunsen die Rettung in der Neubelebung des christlichen Gemeindebewußtseins; dem schroffen Confessionalismus wird die freie Form kirchlicher Genossenschaft ent¬ gegengestellt, in welcher weniger das Bekenntniß, als die religiöse Durch¬ dringung der Einzelnen zu betonen sei. Es läßt sich gewiß nicht behaupten, daß Bunsen die Lösung der Schwie¬ rigkeit gefunden, und es liegt manches Begründete in den Vorwürfen der Stahl'schen Gegenschrift, aber die „Zeichen der Zeit" übten doch eine gewaltige Wirkung. Bunsen hatte früher für einen Mann der kirchlichen Reaction ge¬ golten, der für die Übertragung des hochkirchlichen Systems auf Deutsch¬ land arbeite, darum ward er mit Stahl in einer Linie genannt. Er hatte dann freilich schon in seiner „Verfassung der Kirche der Zukunft" eine Differenz mit der anglicanischen Kirche dargelegt, indem er die Nationalkirche der Staatskirche gegenüberstellte, und sich noch bestimmter in seinem Hippolytus gegen die wiederauflebenden hierarchischen Gelüste ausgesprochen, aber ein Angriff von dieser Schärfe auf die herrschende Stimmung, und gar von einem persön¬ lichen Freunde Friedrich Wilhelm's IV. ward mit Recht als ein bedeut¬ sames Ereigniß betrachtet und die Form des Buches in zwanglosen Briefen voll Schwung und Frische föroerte seine rasche Verbreitung nicht wenig. Bunsen selbst war über den Erfolg im höchsten Grade überrascht; aber derselbe verleitete ihn nicht, die Polemik zu verfolgen, er wandte sich viel¬ mehr mit ganzer Kraft auf die positiven Aufgaben, die er sich gestellt. Nach¬ dem er das große Werk über Egypten abgeschlossen, ging er an seine Offen¬ barungsphilosophie, welche 1857 und 1858 unter dem Titel „Gott in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/524>, abgerufen am 04.07.2024.