Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Frankreich, England. Belgien, Italien und Spanien verfertigt, die lüt-
ticher und Mailänder haben sich schlecht bewährt, die englischen und spa¬
nischen vorzüglich. Der Soldat setzt unbedingtes Vertrauen in diese Waffe,
welche nach französischer Angabe 400 Metres weiter trägt, als das Zünd¬
nadelgewehr; es wird zugegeben, daß das Chassepot complicirt ist, aber man
versichert, es werde eine Campagne dauern, ohne einer Reparatur zu bedürfen.
Die Mobilgarde wird mit den zu Hinterladern umgearbeiteten alten Gewehren
bewaffnet; die Anfertigung der famosen "Mitrailleuse" wird mit großem
Geheimniß umgeben, alle dabei Beschäftigten müssen den Eid auf Geheim¬
haltung ablegen, ihre Wirkungen werden als mörderisch geschildert. Und
nicht weniger Sorgfalt wird auf die Flotte verwendet, weil in ihr Frank¬
reich seine stärkste Seite gegen Deutschland haben würde. Alles das sieht
wenig friedlich aus; wenn man sagen darf, daß Frankreich vielleicht noch
niemals so gerüstet war, als es jetzt ist, und wenn man auf der andern Seite
in Betracht nimmt, mit welchen ungeheuren Kosten dieser Zustand zu Wege
gebracht und aufrecht gehalten wird, so wird man doch zu dem Resultat
kommen, daß die offiziösen Versicherungen, wonach alles dies nur zur Er¬
haltung des berechtigten Einflusses Frankreichs bestimmt sein solle, keinen
Augenblick ruhiger Prüfung aushalten. Solche Rüstungen können im Gegen¬
theil nur den Zweck haben, plötzlich activ einzugreifen; wenn sich dazu die
Gelegenheit findet, ist allerdings noch nicht abzusehen und weiß der Kaiser
wahrscheinlich ebensowenig, aber er liegt auf der Lauer und im gegebenen
Moment wird auch die Stimmung des Heeres in Frage kommen; das Eisen
zieht den Mann an; wozu, wird es heißen, sind die Millarden ausgegeben,
wenn die Armee nicht gebraucht werden soll? --

Wichtiger aber als dies ist die innere Lage überhaupt. Napoleon hat
von Anfang an das instinktive Gefühl gehabt, daß sein persönliches Regi¬
ment keine ernsthafte Discussion ertragen könne, wiederholt hat er befreun¬
deten auswärtigen Staatsmännern erklärt, er könne sich niemals zu einer
wirklich constitutionellen Regierung verstehen, die Franzosen würden die Frei¬
heit nur brauchen, um ihn zu stürzen. Dennoch hat er sich zu Concessionen
veranlaßt gesehen, welche nicht mehr zurückzunehmen sind, charakteristisch ge¬
nug haben die Mameluken, die Imperialisten der Rue as l'^reaäe im Corps
legislatif wie im Senat heftig gegen die neuen Gesetze opponire, sie
haben das Gefühl, daß das Kaiserthum sich nicht mit der Freiheit ver¬
trägt, selbst wenn sie in homöopathischen Dosen zugemessen wird, aber
die Regierung war zu weit gegangen, um mit Ehren zurück zu können.
Das Preß- und das Vereinsgesetz sind in Kraft getreten und werden trotz
aller Restriktionen eine große Wirkung üben; man muß es den Franzosen
lassen, daß sie die Kunst verstehen, in Ketten zu tanzen und muß hier gesehen


Frankreich, England. Belgien, Italien und Spanien verfertigt, die lüt-
ticher und Mailänder haben sich schlecht bewährt, die englischen und spa¬
nischen vorzüglich. Der Soldat setzt unbedingtes Vertrauen in diese Waffe,
welche nach französischer Angabe 400 Metres weiter trägt, als das Zünd¬
nadelgewehr; es wird zugegeben, daß das Chassepot complicirt ist, aber man
versichert, es werde eine Campagne dauern, ohne einer Reparatur zu bedürfen.
Die Mobilgarde wird mit den zu Hinterladern umgearbeiteten alten Gewehren
bewaffnet; die Anfertigung der famosen „Mitrailleuse" wird mit großem
Geheimniß umgeben, alle dabei Beschäftigten müssen den Eid auf Geheim¬
haltung ablegen, ihre Wirkungen werden als mörderisch geschildert. Und
nicht weniger Sorgfalt wird auf die Flotte verwendet, weil in ihr Frank¬
reich seine stärkste Seite gegen Deutschland haben würde. Alles das sieht
wenig friedlich aus; wenn man sagen darf, daß Frankreich vielleicht noch
niemals so gerüstet war, als es jetzt ist, und wenn man auf der andern Seite
in Betracht nimmt, mit welchen ungeheuren Kosten dieser Zustand zu Wege
gebracht und aufrecht gehalten wird, so wird man doch zu dem Resultat
kommen, daß die offiziösen Versicherungen, wonach alles dies nur zur Er¬
haltung des berechtigten Einflusses Frankreichs bestimmt sein solle, keinen
Augenblick ruhiger Prüfung aushalten. Solche Rüstungen können im Gegen¬
theil nur den Zweck haben, plötzlich activ einzugreifen; wenn sich dazu die
Gelegenheit findet, ist allerdings noch nicht abzusehen und weiß der Kaiser
wahrscheinlich ebensowenig, aber er liegt auf der Lauer und im gegebenen
Moment wird auch die Stimmung des Heeres in Frage kommen; das Eisen
zieht den Mann an; wozu, wird es heißen, sind die Millarden ausgegeben,
wenn die Armee nicht gebraucht werden soll? —

Wichtiger aber als dies ist die innere Lage überhaupt. Napoleon hat
von Anfang an das instinktive Gefühl gehabt, daß sein persönliches Regi¬
ment keine ernsthafte Discussion ertragen könne, wiederholt hat er befreun¬
deten auswärtigen Staatsmännern erklärt, er könne sich niemals zu einer
wirklich constitutionellen Regierung verstehen, die Franzosen würden die Frei¬
heit nur brauchen, um ihn zu stürzen. Dennoch hat er sich zu Concessionen
veranlaßt gesehen, welche nicht mehr zurückzunehmen sind, charakteristisch ge¬
nug haben die Mameluken, die Imperialisten der Rue as l'^reaäe im Corps
legislatif wie im Senat heftig gegen die neuen Gesetze opponire, sie
haben das Gefühl, daß das Kaiserthum sich nicht mit der Freiheit ver¬
trägt, selbst wenn sie in homöopathischen Dosen zugemessen wird, aber
die Regierung war zu weit gegangen, um mit Ehren zurück zu können.
Das Preß- und das Vereinsgesetz sind in Kraft getreten und werden trotz
aller Restriktionen eine große Wirkung üben; man muß es den Franzosen
lassen, daß sie die Kunst verstehen, in Ketten zu tanzen und muß hier gesehen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0048" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286760"/>
          <p xml:id="ID_99" prev="#ID_98"> Frankreich, England. Belgien, Italien und Spanien verfertigt, die lüt-<lb/>
ticher und Mailänder haben sich schlecht bewährt, die englischen und spa¬<lb/>
nischen vorzüglich. Der Soldat setzt unbedingtes Vertrauen in diese Waffe,<lb/>
welche nach französischer Angabe 400 Metres weiter trägt, als das Zünd¬<lb/>
nadelgewehr; es wird zugegeben, daß das Chassepot complicirt ist, aber man<lb/>
versichert, es werde eine Campagne dauern, ohne einer Reparatur zu bedürfen.<lb/>
Die Mobilgarde wird mit den zu Hinterladern umgearbeiteten alten Gewehren<lb/>
bewaffnet; die Anfertigung der famosen &#x201E;Mitrailleuse" wird mit großem<lb/>
Geheimniß umgeben, alle dabei Beschäftigten müssen den Eid auf Geheim¬<lb/>
haltung ablegen, ihre Wirkungen werden als mörderisch geschildert. Und<lb/>
nicht weniger Sorgfalt wird auf die Flotte verwendet, weil in ihr Frank¬<lb/>
reich seine stärkste Seite gegen Deutschland haben würde. Alles das sieht<lb/>
wenig friedlich aus; wenn man sagen darf, daß Frankreich vielleicht noch<lb/>
niemals so gerüstet war, als es jetzt ist, und wenn man auf der andern Seite<lb/>
in Betracht nimmt, mit welchen ungeheuren Kosten dieser Zustand zu Wege<lb/>
gebracht und aufrecht gehalten wird, so wird man doch zu dem Resultat<lb/>
kommen, daß die offiziösen Versicherungen, wonach alles dies nur zur Er¬<lb/>
haltung des berechtigten Einflusses Frankreichs bestimmt sein solle, keinen<lb/>
Augenblick ruhiger Prüfung aushalten. Solche Rüstungen können im Gegen¬<lb/>
theil nur den Zweck haben, plötzlich activ einzugreifen; wenn sich dazu die<lb/>
Gelegenheit findet, ist allerdings noch nicht abzusehen und weiß der Kaiser<lb/>
wahrscheinlich ebensowenig, aber er liegt auf der Lauer und im gegebenen<lb/>
Moment wird auch die Stimmung des Heeres in Frage kommen; das Eisen<lb/>
zieht den Mann an; wozu, wird es heißen, sind die Millarden ausgegeben,<lb/>
wenn die Armee nicht gebraucht werden soll? &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_100" next="#ID_101"> Wichtiger aber als dies ist die innere Lage überhaupt. Napoleon hat<lb/>
von Anfang an das instinktive Gefühl gehabt, daß sein persönliches Regi¬<lb/>
ment keine ernsthafte Discussion ertragen könne, wiederholt hat er befreun¬<lb/>
deten auswärtigen Staatsmännern erklärt, er könne sich niemals zu einer<lb/>
wirklich constitutionellen Regierung verstehen, die Franzosen würden die Frei¬<lb/>
heit nur brauchen, um ihn zu stürzen. Dennoch hat er sich zu Concessionen<lb/>
veranlaßt gesehen, welche nicht mehr zurückzunehmen sind, charakteristisch ge¬<lb/>
nug haben die Mameluken, die Imperialisten der Rue as l'^reaäe im Corps<lb/>
legislatif wie im Senat heftig gegen die neuen Gesetze opponire, sie<lb/>
haben das Gefühl, daß das Kaiserthum sich nicht mit der Freiheit ver¬<lb/>
trägt, selbst wenn sie in homöopathischen Dosen zugemessen wird, aber<lb/>
die Regierung war zu weit gegangen, um mit Ehren zurück zu können.<lb/>
Das Preß- und das Vereinsgesetz sind in Kraft getreten und werden trotz<lb/>
aller Restriktionen eine große Wirkung üben; man muß es den Franzosen<lb/>
lassen, daß sie die Kunst verstehen, in Ketten zu tanzen und muß hier gesehen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0048] Frankreich, England. Belgien, Italien und Spanien verfertigt, die lüt- ticher und Mailänder haben sich schlecht bewährt, die englischen und spa¬ nischen vorzüglich. Der Soldat setzt unbedingtes Vertrauen in diese Waffe, welche nach französischer Angabe 400 Metres weiter trägt, als das Zünd¬ nadelgewehr; es wird zugegeben, daß das Chassepot complicirt ist, aber man versichert, es werde eine Campagne dauern, ohne einer Reparatur zu bedürfen. Die Mobilgarde wird mit den zu Hinterladern umgearbeiteten alten Gewehren bewaffnet; die Anfertigung der famosen „Mitrailleuse" wird mit großem Geheimniß umgeben, alle dabei Beschäftigten müssen den Eid auf Geheim¬ haltung ablegen, ihre Wirkungen werden als mörderisch geschildert. Und nicht weniger Sorgfalt wird auf die Flotte verwendet, weil in ihr Frank¬ reich seine stärkste Seite gegen Deutschland haben würde. Alles das sieht wenig friedlich aus; wenn man sagen darf, daß Frankreich vielleicht noch niemals so gerüstet war, als es jetzt ist, und wenn man auf der andern Seite in Betracht nimmt, mit welchen ungeheuren Kosten dieser Zustand zu Wege gebracht und aufrecht gehalten wird, so wird man doch zu dem Resultat kommen, daß die offiziösen Versicherungen, wonach alles dies nur zur Er¬ haltung des berechtigten Einflusses Frankreichs bestimmt sein solle, keinen Augenblick ruhiger Prüfung aushalten. Solche Rüstungen können im Gegen¬ theil nur den Zweck haben, plötzlich activ einzugreifen; wenn sich dazu die Gelegenheit findet, ist allerdings noch nicht abzusehen und weiß der Kaiser wahrscheinlich ebensowenig, aber er liegt auf der Lauer und im gegebenen Moment wird auch die Stimmung des Heeres in Frage kommen; das Eisen zieht den Mann an; wozu, wird es heißen, sind die Millarden ausgegeben, wenn die Armee nicht gebraucht werden soll? — Wichtiger aber als dies ist die innere Lage überhaupt. Napoleon hat von Anfang an das instinktive Gefühl gehabt, daß sein persönliches Regi¬ ment keine ernsthafte Discussion ertragen könne, wiederholt hat er befreun¬ deten auswärtigen Staatsmännern erklärt, er könne sich niemals zu einer wirklich constitutionellen Regierung verstehen, die Franzosen würden die Frei¬ heit nur brauchen, um ihn zu stürzen. Dennoch hat er sich zu Concessionen veranlaßt gesehen, welche nicht mehr zurückzunehmen sind, charakteristisch ge¬ nug haben die Mameluken, die Imperialisten der Rue as l'^reaäe im Corps legislatif wie im Senat heftig gegen die neuen Gesetze opponire, sie haben das Gefühl, daß das Kaiserthum sich nicht mit der Freiheit ver¬ trägt, selbst wenn sie in homöopathischen Dosen zugemessen wird, aber die Regierung war zu weit gegangen, um mit Ehren zurück zu können. Das Preß- und das Vereinsgesetz sind in Kraft getreten und werden trotz aller Restriktionen eine große Wirkung üben; man muß es den Franzosen lassen, daß sie die Kunst verstehen, in Ketten zu tanzen und muß hier gesehen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/48
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/48>, abgerufen am 30.06.2024.