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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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teor" dargelegt, vollkommen bei, nachdem ich mich hier orientirt. -- Zwar
was der Kaiser in letzter Instanz beabsichtigt, weiß niemand; konnte man
ihm schon früher nicht gerade Redseligkeit vorwerfen, so ist er jetzt voll¬
ständig stumm geworden, alle die geflügelten Worte, die ihm von Zeit zu
Zeit in den Mund gelegt werden und welche die Runde durch die Zeitungen machen,
sind mehr oder weniger gut erfunden, selbst die Minister wissen nicht, wohin
der Steuermann seinen Curs richten will. Man fragt sich, ist dies das alte
Brüten über weitangelegten Plänen, oder birgt sich hinter dieser Verschlossen¬
heit die Unentschlossenheit, von der Napoleon in neuerer Zeit so merkwürdige
Proben abgelegt hat? Für den Augenblick spricht Alles dafür, daß der
Kaiser das verhängnißvolle Würfelspiel, welches über die Zukunft seiner Dy¬
nastie entscheiden würde, zu vermeiden wünscht, denn darüber macht er sich
sicher am wenigsten Jllüssionen, daß der Thron der napoleoniden eine Nie-
derlage im Kriege mit Deutschland nicht überdauern würde. Aber die Frage
ist, ob er in seiner Lage glaubt, den Kampf auf die Länge vermeiden zu
können? Er weiß zu gut, daß die Franzosen ihm vorwerfen, durch seine zu¬
gleich hinterhaltige und unentschlossene Politik mehr als jemand zu der Bil'
dung jenes neuen Deutschland beigetragen zu haben, welches sie jetzt so sehr
beunruhigt. Man wird schwerlich irre gehen, wenn man die jetzige kaiser¬
liche Politik so interpretirt, daß sie den Ltatus <zuo acceptirt, daß sie aber
einem Weitergehen nicht mehr zusehen wird und eben weil der gegenwärtige
Zustand in Deutschland auf die Länge nicht haltbar ist, weil der unnatür¬
lichen Lage des Südens ein Ende gemacht werden muß, besteht die Kriegs¬
gefahr und lastet die Unsicherheit auf allen Gemüthern. Napoleon fühlt
seine europäische Stellung, welche ihm das Prestige in Frankreich gegeben,
tief erschüttert, er sinnt und wartet auf eine Gelegenheit, sie herzustellen, und als
Werkzeug dazu soll die neue Heeresorganisation, sollen die hiervon wohl zu unter¬
scheidenden Rüstungen dienen, welche Sie früher durchaus richtig charakterisirt
haben. Daß die französische Armee nach den Erfahrungen von 1866 umgestaltet
ward, brauchte noch nicht zu beunruhigen, aber die Rüstungen, welche seit
Anfang dieses Jahres stattgefunden haben, lassen sich kaum anders als durch
eventuell aggressive Absichten erklären. Der Pferdebestand, welcher allerdings
durch die mexikanische Expedition starke Ausfälle erlitten, ist mit unverhältniß-
mäßigen Kosten auf 95.000 gebracht, nur 13,000 hiervon sind an Landwirthe
zur zeitweiligen Benutzung ausgeliehen, 80,000 Pferde also füttert die
Regierung Tag für Tag! außerdem soll das Kriegsministerium mit den
Reffs-ALi-ich in der Stille einen Vertrag geschlossen haben, wodurch sich die¬
selben verpflichten, ihren ganzen Pferdebestand auf kurze Notiz zur Dis¬
position zu stellen. Die Armee ist mit neuen Chassepots versehen, bis Ende
dieses Jahres denkt man die zweite Garnitur fertig zu haben, sie sind in


teor" dargelegt, vollkommen bei, nachdem ich mich hier orientirt. — Zwar
was der Kaiser in letzter Instanz beabsichtigt, weiß niemand; konnte man
ihm schon früher nicht gerade Redseligkeit vorwerfen, so ist er jetzt voll¬
ständig stumm geworden, alle die geflügelten Worte, die ihm von Zeit zu
Zeit in den Mund gelegt werden und welche die Runde durch die Zeitungen machen,
sind mehr oder weniger gut erfunden, selbst die Minister wissen nicht, wohin
der Steuermann seinen Curs richten will. Man fragt sich, ist dies das alte
Brüten über weitangelegten Plänen, oder birgt sich hinter dieser Verschlossen¬
heit die Unentschlossenheit, von der Napoleon in neuerer Zeit so merkwürdige
Proben abgelegt hat? Für den Augenblick spricht Alles dafür, daß der
Kaiser das verhängnißvolle Würfelspiel, welches über die Zukunft seiner Dy¬
nastie entscheiden würde, zu vermeiden wünscht, denn darüber macht er sich
sicher am wenigsten Jllüssionen, daß der Thron der napoleoniden eine Nie-
derlage im Kriege mit Deutschland nicht überdauern würde. Aber die Frage
ist, ob er in seiner Lage glaubt, den Kampf auf die Länge vermeiden zu
können? Er weiß zu gut, daß die Franzosen ihm vorwerfen, durch seine zu¬
gleich hinterhaltige und unentschlossene Politik mehr als jemand zu der Bil'
dung jenes neuen Deutschland beigetragen zu haben, welches sie jetzt so sehr
beunruhigt. Man wird schwerlich irre gehen, wenn man die jetzige kaiser¬
liche Politik so interpretirt, daß sie den Ltatus <zuo acceptirt, daß sie aber
einem Weitergehen nicht mehr zusehen wird und eben weil der gegenwärtige
Zustand in Deutschland auf die Länge nicht haltbar ist, weil der unnatür¬
lichen Lage des Südens ein Ende gemacht werden muß, besteht die Kriegs¬
gefahr und lastet die Unsicherheit auf allen Gemüthern. Napoleon fühlt
seine europäische Stellung, welche ihm das Prestige in Frankreich gegeben,
tief erschüttert, er sinnt und wartet auf eine Gelegenheit, sie herzustellen, und als
Werkzeug dazu soll die neue Heeresorganisation, sollen die hiervon wohl zu unter¬
scheidenden Rüstungen dienen, welche Sie früher durchaus richtig charakterisirt
haben. Daß die französische Armee nach den Erfahrungen von 1866 umgestaltet
ward, brauchte noch nicht zu beunruhigen, aber die Rüstungen, welche seit
Anfang dieses Jahres stattgefunden haben, lassen sich kaum anders als durch
eventuell aggressive Absichten erklären. Der Pferdebestand, welcher allerdings
durch die mexikanische Expedition starke Ausfälle erlitten, ist mit unverhältniß-
mäßigen Kosten auf 95.000 gebracht, nur 13,000 hiervon sind an Landwirthe
zur zeitweiligen Benutzung ausgeliehen, 80,000 Pferde also füttert die
Regierung Tag für Tag! außerdem soll das Kriegsministerium mit den
Reffs-ALi-ich in der Stille einen Vertrag geschlossen haben, wodurch sich die¬
selben verpflichten, ihren ganzen Pferdebestand auf kurze Notiz zur Dis¬
position zu stellen. Die Armee ist mit neuen Chassepots versehen, bis Ende
dieses Jahres denkt man die zweite Garnitur fertig zu haben, sie sind in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/47>, abgerufen am 30.06.2024.