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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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eventuell eine mäßige und vorübergehende Steigerung einzelner Aufwand¬
steuern wie z. B. der Tabaksbesteuerung zuließ. Mehrere ältere Mitglieder
wie Böhmert, Emminghaus, Rentzsch u. s. w. glaubten, mit dieser letzteren
Clausel verlasse der Congreß seinen mehr idealen und principiellen Stand¬
punkt; er dürfe seinerseits von dem Ziele schließlicher vollständiger Abschaffung
aller indirecten Steuern keinen Rückschritt thun; er könne allenfalls einmal
sein kritisches Auge zudrücken, wenn eine Lage, wie der entwickelte Plan sie
voraussetze, Staatsmänner und Gesetzgeber zu einer solchen Maßregel nöthige,
aber er müsse sich enthalten, selber gleichsam dazu aufzufordern. Andere
Sprecher dagegen und mit ihnen die Mehrheit der Hamburger Versammlung
glaubten, daß es schon ein kleines Opfer wie die angedeutete Inconsequenz
verlohne, wenn man dafür in dem Augenblick, wo der deutsche Zolltarif erst
in Wahrheit beweglich und veränderbar würde, der öffentlichen Meinung den
Nachweis liefern könne, daß sich das finanzielle Interesse d. h. die Erzielung
gleich hoher Einnahmen auch in Deutschland mit einer durchgreifenden Re-
duction des Tarifs sowohl in den Nummern als in den Sätzen aufs beste
vertrage. Die Entscheidung wird richtig gewesen sein; denn man hat nicht
wahrgenommen, daß der Congreß seitdem an moralischem Credit verloren
hätte.

In Breslau jedoch lag diesmal der Fall wesentlich anders. Nicht der
ganze Tarif auf dem Hintergrund der allgemeinen Finanzlage, sondern ledig¬
lich einzelne Hauptzölle wie die auf Eisen, Zucker, Reis, Lumpen u. s. f.
sollten volkswirtschaftlich besprochen werden. Eine Uebersicht der Finanzlage
im norddeutschen Bunde oder in den einzelnen deutschen Staaten lag so
wenig vor, daß Dr. O. Wolff, als er zur Vertheidigung des von ihm ein¬
genommenen unhaltbaren Standpunkts in der Reiszoll-Frage etwas der¬
gleichen brauchte, das Gespenst des vom Zollparlament erstickten Petroleum-
Zolls aus seinem Grabe hervorscharren mußte, um darzuthun, weshalb er
der Aufhebung des Reiszolls keine besondere Wichtigkeit beilege. Die Ver¬
handlung war übrigens um so geeigneter, den schlummernden principiellen
Gegensatz aufzudecken, als der Berichterstatter, Dr. Alexander Meyer, durch
die gemäßigte Forderung bloßer Reduction auf die Hälfte zu einem Kampf
extremer Forderungen gar keinen Anlaß gegeben, ja durch die Darlegung,
daß damit voraussichtlich keine finanzielle Einbuße verknüpft sein werde, die
hievon hergenommenen Bedenken entkräftet hatte, ehe sie nur laut wurden.
Es war daher sozusagen eine Graels-Vorstellung robuster Gouvernementalität,
als dieselben beiden Freihändler aus Pommerland, welche in der Nealcredit-
Debatte der Nichteinmischung des Staates hauptsächlich den Sieg verschafft
hatten, die Herren v. Behr und Wolff nun für Fortdauer des Reiszolls
Plaidirten, weil seine Abschaffung den Regierungen im Augenblick möglicher


eventuell eine mäßige und vorübergehende Steigerung einzelner Aufwand¬
steuern wie z. B. der Tabaksbesteuerung zuließ. Mehrere ältere Mitglieder
wie Böhmert, Emminghaus, Rentzsch u. s. w. glaubten, mit dieser letzteren
Clausel verlasse der Congreß seinen mehr idealen und principiellen Stand¬
punkt; er dürfe seinerseits von dem Ziele schließlicher vollständiger Abschaffung
aller indirecten Steuern keinen Rückschritt thun; er könne allenfalls einmal
sein kritisches Auge zudrücken, wenn eine Lage, wie der entwickelte Plan sie
voraussetze, Staatsmänner und Gesetzgeber zu einer solchen Maßregel nöthige,
aber er müsse sich enthalten, selber gleichsam dazu aufzufordern. Andere
Sprecher dagegen und mit ihnen die Mehrheit der Hamburger Versammlung
glaubten, daß es schon ein kleines Opfer wie die angedeutete Inconsequenz
verlohne, wenn man dafür in dem Augenblick, wo der deutsche Zolltarif erst
in Wahrheit beweglich und veränderbar würde, der öffentlichen Meinung den
Nachweis liefern könne, daß sich das finanzielle Interesse d. h. die Erzielung
gleich hoher Einnahmen auch in Deutschland mit einer durchgreifenden Re-
duction des Tarifs sowohl in den Nummern als in den Sätzen aufs beste
vertrage. Die Entscheidung wird richtig gewesen sein; denn man hat nicht
wahrgenommen, daß der Congreß seitdem an moralischem Credit verloren
hätte.

In Breslau jedoch lag diesmal der Fall wesentlich anders. Nicht der
ganze Tarif auf dem Hintergrund der allgemeinen Finanzlage, sondern ledig¬
lich einzelne Hauptzölle wie die auf Eisen, Zucker, Reis, Lumpen u. s. f.
sollten volkswirtschaftlich besprochen werden. Eine Uebersicht der Finanzlage
im norddeutschen Bunde oder in den einzelnen deutschen Staaten lag so
wenig vor, daß Dr. O. Wolff, als er zur Vertheidigung des von ihm ein¬
genommenen unhaltbaren Standpunkts in der Reiszoll-Frage etwas der¬
gleichen brauchte, das Gespenst des vom Zollparlament erstickten Petroleum-
Zolls aus seinem Grabe hervorscharren mußte, um darzuthun, weshalb er
der Aufhebung des Reiszolls keine besondere Wichtigkeit beilege. Die Ver¬
handlung war übrigens um so geeigneter, den schlummernden principiellen
Gegensatz aufzudecken, als der Berichterstatter, Dr. Alexander Meyer, durch
die gemäßigte Forderung bloßer Reduction auf die Hälfte zu einem Kampf
extremer Forderungen gar keinen Anlaß gegeben, ja durch die Darlegung,
daß damit voraussichtlich keine finanzielle Einbuße verknüpft sein werde, die
hievon hergenommenen Bedenken entkräftet hatte, ehe sie nur laut wurden.
Es war daher sozusagen eine Graels-Vorstellung robuster Gouvernementalität,
als dieselben beiden Freihändler aus Pommerland, welche in der Nealcredit-
Debatte der Nichteinmischung des Staates hauptsächlich den Sieg verschafft
hatten, die Herren v. Behr und Wolff nun für Fortdauer des Reiszolls
Plaidirten, weil seine Abschaffung den Regierungen im Augenblick möglicher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/476>, abgerufen am 02.10.2024.