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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Warnung nicht ganz überflüssig erscheinen. Im Bundeskanzleramt mag eine
noch so principielle und consequente liberale Gesinnung obenauf sein,
vorübergehend werden immer doch auch Gesichtspunkte einer untergeordneten
Zweckmäßigkeit seine Wünsche beherrschen. Diesen sich dann ebenfalls hinzu-
geben wäre für den Congreß, der alles was er ist, nur durch Ideen und
Principien geworden ist und werden konnte, geradezu der Anfang des Unter¬
ganges. Nun ist allerdings nicht von ferne anzunehmen, daß man im
Bundeskanzleramt mit Bewußtsein darauf ausgehen wird, den Congreß zu
einem Werkzeuge der laufenden Politik zu erniedrigen. Ebensowenig besorgen
wir, daß im Schoße dieser regierenden Behörde so bald der aufrichtige Glaube
an die Segnungen der Freiheit seine Kraft einbüßen wird, allein die ihm
entspringenden principiellen Forderungen müssen sich dort, um legale oder
administrative Praxis zu werden, mit der Schwerfälligkeit der überlieferten
thatsächlichen Zustände und dem Einspruch anders gewöhnter Beamtenkreise
auseinandersetzen, wobei es nicht ohne einzelne Zugeständnisse abzugehen
Wege. Wenn dann eine so zu Stande gekommene Gesetzvorlage an die
Oeffentlichkeit tritt, so macht der Wunsch, sie glücklich durchzubringen, leicht
selbst die überzeugtester Freiheitsfreunde für den Augenblick stumpf und rauh
gegen solche liberale Bedenken, welche Niemand eifriger sein würde vor¬
zubringen als sie, wenn ihre Rolle noch immer bloß eine parlamentarische
oder publieistische wäre. Sie identistciren sich dann nicht selten grade mit
den Einwänden, welche ihnen in einem früheren, verhüllten Stadium der
Angelegenheit von ganz anderer Seite her gemacht worden sind, ohne
ihnen innerlich zu imponiren. Die Widerstandskraft, welcher sie gewisse Con¬
cessionen zu machen nicht umhin gekonnt haben, wird von ihnen nun ins
<5eit geführt gegen die eigenen unabhängigen Freunde, welche sich nicht auf
bloße Autorität hin von der Verfechtung der gemeinschaftlichen Ideen ab¬
gingen lassen wollen, und es gewinnt den Anschein, als habe das Amt aus
dem Liberalen einen Conservativen, aus dem Freihändler einen Bureaukraten
gemacht. Solche sehr natürliche und in ähnlichen Fällen immer wiederkeh¬
rende Borgänge werden so lange nichts Arges bedeuten, als sie auf den
volkswirtschaftlichen Congreß nicht fälschend einwirken. Diesen von allen
kleinen und vorübergehenden Interessen gouvernementaler Praxis frei zu erhalten
^uß das Bestreben aller dem Beruf des Congresses wahrhaft zugethaner
Träger desselben sein.

Schon als ver Congreß im vorigen Sommer zu Hamburg die Zoll¬
tarif-Reform erörterte, ließ sich das Vorhandensein zweier Strömungen in
seinem Bette erkennen. Dr. Michaelis, dessen Berufung ins Bundeskanzleramt
damals noch nicht erfolgt war, legte einen auf umfassende Tarif-Reduction
begründeten Finanzplan vor, der zur Erhaltung gleichen Einnahmebetrags


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Warnung nicht ganz überflüssig erscheinen. Im Bundeskanzleramt mag eine
noch so principielle und consequente liberale Gesinnung obenauf sein,
vorübergehend werden immer doch auch Gesichtspunkte einer untergeordneten
Zweckmäßigkeit seine Wünsche beherrschen. Diesen sich dann ebenfalls hinzu-
geben wäre für den Congreß, der alles was er ist, nur durch Ideen und
Principien geworden ist und werden konnte, geradezu der Anfang des Unter¬
ganges. Nun ist allerdings nicht von ferne anzunehmen, daß man im
Bundeskanzleramt mit Bewußtsein darauf ausgehen wird, den Congreß zu
einem Werkzeuge der laufenden Politik zu erniedrigen. Ebensowenig besorgen
wir, daß im Schoße dieser regierenden Behörde so bald der aufrichtige Glaube
an die Segnungen der Freiheit seine Kraft einbüßen wird, allein die ihm
entspringenden principiellen Forderungen müssen sich dort, um legale oder
administrative Praxis zu werden, mit der Schwerfälligkeit der überlieferten
thatsächlichen Zustände und dem Einspruch anders gewöhnter Beamtenkreise
auseinandersetzen, wobei es nicht ohne einzelne Zugeständnisse abzugehen
Wege. Wenn dann eine so zu Stande gekommene Gesetzvorlage an die
Oeffentlichkeit tritt, so macht der Wunsch, sie glücklich durchzubringen, leicht
selbst die überzeugtester Freiheitsfreunde für den Augenblick stumpf und rauh
gegen solche liberale Bedenken, welche Niemand eifriger sein würde vor¬
zubringen als sie, wenn ihre Rolle noch immer bloß eine parlamentarische
oder publieistische wäre. Sie identistciren sich dann nicht selten grade mit
den Einwänden, welche ihnen in einem früheren, verhüllten Stadium der
Angelegenheit von ganz anderer Seite her gemacht worden sind, ohne
ihnen innerlich zu imponiren. Die Widerstandskraft, welcher sie gewisse Con¬
cessionen zu machen nicht umhin gekonnt haben, wird von ihnen nun ins
<5eit geführt gegen die eigenen unabhängigen Freunde, welche sich nicht auf
bloße Autorität hin von der Verfechtung der gemeinschaftlichen Ideen ab¬
gingen lassen wollen, und es gewinnt den Anschein, als habe das Amt aus
dem Liberalen einen Conservativen, aus dem Freihändler einen Bureaukraten
gemacht. Solche sehr natürliche und in ähnlichen Fällen immer wiederkeh¬
rende Borgänge werden so lange nichts Arges bedeuten, als sie auf den
volkswirtschaftlichen Congreß nicht fälschend einwirken. Diesen von allen
kleinen und vorübergehenden Interessen gouvernementaler Praxis frei zu erhalten
^uß das Bestreben aller dem Beruf des Congresses wahrhaft zugethaner
Träger desselben sein.

Schon als ver Congreß im vorigen Sommer zu Hamburg die Zoll¬
tarif-Reform erörterte, ließ sich das Vorhandensein zweier Strömungen in
seinem Bette erkennen. Dr. Michaelis, dessen Berufung ins Bundeskanzleramt
damals noch nicht erfolgt war, legte einen auf umfassende Tarif-Reduction
begründeten Finanzplan vor, der zur Erhaltung gleichen Einnahmebetrags


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[0475] Warnung nicht ganz überflüssig erscheinen. Im Bundeskanzleramt mag eine noch so principielle und consequente liberale Gesinnung obenauf sein, vorübergehend werden immer doch auch Gesichtspunkte einer untergeordneten Zweckmäßigkeit seine Wünsche beherrschen. Diesen sich dann ebenfalls hinzu- geben wäre für den Congreß, der alles was er ist, nur durch Ideen und Principien geworden ist und werden konnte, geradezu der Anfang des Unter¬ ganges. Nun ist allerdings nicht von ferne anzunehmen, daß man im Bundeskanzleramt mit Bewußtsein darauf ausgehen wird, den Congreß zu einem Werkzeuge der laufenden Politik zu erniedrigen. Ebensowenig besorgen wir, daß im Schoße dieser regierenden Behörde so bald der aufrichtige Glaube an die Segnungen der Freiheit seine Kraft einbüßen wird, allein die ihm entspringenden principiellen Forderungen müssen sich dort, um legale oder administrative Praxis zu werden, mit der Schwerfälligkeit der überlieferten thatsächlichen Zustände und dem Einspruch anders gewöhnter Beamtenkreise auseinandersetzen, wobei es nicht ohne einzelne Zugeständnisse abzugehen Wege. Wenn dann eine so zu Stande gekommene Gesetzvorlage an die Oeffentlichkeit tritt, so macht der Wunsch, sie glücklich durchzubringen, leicht selbst die überzeugtester Freiheitsfreunde für den Augenblick stumpf und rauh gegen solche liberale Bedenken, welche Niemand eifriger sein würde vor¬ zubringen als sie, wenn ihre Rolle noch immer bloß eine parlamentarische oder publieistische wäre. Sie identistciren sich dann nicht selten grade mit den Einwänden, welche ihnen in einem früheren, verhüllten Stadium der Angelegenheit von ganz anderer Seite her gemacht worden sind, ohne ihnen innerlich zu imponiren. Die Widerstandskraft, welcher sie gewisse Con¬ cessionen zu machen nicht umhin gekonnt haben, wird von ihnen nun ins <5eit geführt gegen die eigenen unabhängigen Freunde, welche sich nicht auf bloße Autorität hin von der Verfechtung der gemeinschaftlichen Ideen ab¬ gingen lassen wollen, und es gewinnt den Anschein, als habe das Amt aus dem Liberalen einen Conservativen, aus dem Freihändler einen Bureaukraten gemacht. Solche sehr natürliche und in ähnlichen Fällen immer wiederkeh¬ rende Borgänge werden so lange nichts Arges bedeuten, als sie auf den volkswirtschaftlichen Congreß nicht fälschend einwirken. Diesen von allen kleinen und vorübergehenden Interessen gouvernementaler Praxis frei zu erhalten ^uß das Bestreben aller dem Beruf des Congresses wahrhaft zugethaner Träger desselben sein. Schon als ver Congreß im vorigen Sommer zu Hamburg die Zoll¬ tarif-Reform erörterte, ließ sich das Vorhandensein zweier Strömungen in seinem Bette erkennen. Dr. Michaelis, dessen Berufung ins Bundeskanzleramt damals noch nicht erfolgt war, legte einen auf umfassende Tarif-Reduction begründeten Finanzplan vor, der zur Erhaltung gleichen Einnahmebetrags 56*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/475>, abgerufen am 04.07.2024.