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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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samen Melodien weniger durch den Reiz der Frische und Neuheit, als viel¬
mehr durch ihr sporadisches Erscheinen und den Reichthum ihres Accompag-
nements. Wagner weiß mit seinem Orchester unbegreifliche Effecte zu erzielen,
sowohl Klänge, die der Natur abgelauscht scheinen, als sphärenhafte, wahrhaft
ätherische Tonverbindungen, aber alles dies eint sich nicht zu einem vollende¬
ten,^ in sich abgeschlossenen, nach Außen befriedigenden Kunstwerke, welches sich
mit innerer Nothwendigkeit vor unsrer Empfindung entfaltet. Alles ist
künstlich gezwungen und verräth schwere Geburt. Die theilweise Originalität,
die einzelnen Effecte vermögen für den Mangel an geistiger Freiheit und
ursprünglichem Leben nicht zu entschädigen. Wir bewundern den Fleiß und
die Sorgfalt, beklagen aber die geringe Summe wahrhaft genialer Be¬
gabung des Komponisten, der, ohne dieselbe zu besitzen und nachdem ihm so
viele geniale, ihn weit überragende Meister vorausgegangen sind, es doch
wagte, sich zum Reformator der Tonkunst aufzuwerfen. Ein Spruch, den
Wagner seinem Hans Sachs in den Mund legt, darf ihm selbst zur Be¬
herzigung empfohlen werden:


"Wollt Ihr nach Regeln messen,
Was nicht nach Eurer Regeln Lauf,
Der eignen Spur vergessen: --
Sucht davon erst die Regeln auf!" --



Pariser Brief.

Sie geben in Ihrem Aufsatz "Frankreich und der Friede" (Ur. 24) die
Nachricht, daß der Kaiser Napoleon wenige Wochen vor Eröffnung des Zoll¬
parlaments an das auswärtige Amt in London die Zumuthung gerichtet
habe, sich mit Frankreich zu einem Protest gegen die Uebergriffe Preußens
in Süddeutschland zu vereinigen. Ueber diese Anfrage möchte ich nach glaub¬
würdigen Autoritäten nur bemerken, daß sie nicht in officieller Form beim
auswärtigen Amt gemacht sein dürfte, weil der Kaiser nach dem ausge¬
sprochenen friedlichen und deutschfreundlichen Charakter der Stanley'schen
Politik von vornherein auf eine ablehnende Antwort gefaßt sein mußte.
Nichtsdestoweniger stimme ich der Ausfassung französischer Politik, wie sie in
dem betreffenden Artikel, sowie früher in "die Rüstungen des Kaisers Napo-


samen Melodien weniger durch den Reiz der Frische und Neuheit, als viel¬
mehr durch ihr sporadisches Erscheinen und den Reichthum ihres Accompag-
nements. Wagner weiß mit seinem Orchester unbegreifliche Effecte zu erzielen,
sowohl Klänge, die der Natur abgelauscht scheinen, als sphärenhafte, wahrhaft
ätherische Tonverbindungen, aber alles dies eint sich nicht zu einem vollende¬
ten,^ in sich abgeschlossenen, nach Außen befriedigenden Kunstwerke, welches sich
mit innerer Nothwendigkeit vor unsrer Empfindung entfaltet. Alles ist
künstlich gezwungen und verräth schwere Geburt. Die theilweise Originalität,
die einzelnen Effecte vermögen für den Mangel an geistiger Freiheit und
ursprünglichem Leben nicht zu entschädigen. Wir bewundern den Fleiß und
die Sorgfalt, beklagen aber die geringe Summe wahrhaft genialer Be¬
gabung des Komponisten, der, ohne dieselbe zu besitzen und nachdem ihm so
viele geniale, ihn weit überragende Meister vorausgegangen sind, es doch
wagte, sich zum Reformator der Tonkunst aufzuwerfen. Ein Spruch, den
Wagner seinem Hans Sachs in den Mund legt, darf ihm selbst zur Be¬
herzigung empfohlen werden:


„Wollt Ihr nach Regeln messen,
Was nicht nach Eurer Regeln Lauf,
Der eignen Spur vergessen: —
Sucht davon erst die Regeln auf!" —



Pariser Brief.

Sie geben in Ihrem Aufsatz „Frankreich und der Friede" (Ur. 24) die
Nachricht, daß der Kaiser Napoleon wenige Wochen vor Eröffnung des Zoll¬
parlaments an das auswärtige Amt in London die Zumuthung gerichtet
habe, sich mit Frankreich zu einem Protest gegen die Uebergriffe Preußens
in Süddeutschland zu vereinigen. Ueber diese Anfrage möchte ich nach glaub¬
würdigen Autoritäten nur bemerken, daß sie nicht in officieller Form beim
auswärtigen Amt gemacht sein dürfte, weil der Kaiser nach dem ausge¬
sprochenen friedlichen und deutschfreundlichen Charakter der Stanley'schen
Politik von vornherein auf eine ablehnende Antwort gefaßt sein mußte.
Nichtsdestoweniger stimme ich der Ausfassung französischer Politik, wie sie in
dem betreffenden Artikel, sowie früher in „die Rüstungen des Kaisers Napo-


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[0046] samen Melodien weniger durch den Reiz der Frische und Neuheit, als viel¬ mehr durch ihr sporadisches Erscheinen und den Reichthum ihres Accompag- nements. Wagner weiß mit seinem Orchester unbegreifliche Effecte zu erzielen, sowohl Klänge, die der Natur abgelauscht scheinen, als sphärenhafte, wahrhaft ätherische Tonverbindungen, aber alles dies eint sich nicht zu einem vollende¬ ten,^ in sich abgeschlossenen, nach Außen befriedigenden Kunstwerke, welches sich mit innerer Nothwendigkeit vor unsrer Empfindung entfaltet. Alles ist künstlich gezwungen und verräth schwere Geburt. Die theilweise Originalität, die einzelnen Effecte vermögen für den Mangel an geistiger Freiheit und ursprünglichem Leben nicht zu entschädigen. Wir bewundern den Fleiß und die Sorgfalt, beklagen aber die geringe Summe wahrhaft genialer Be¬ gabung des Komponisten, der, ohne dieselbe zu besitzen und nachdem ihm so viele geniale, ihn weit überragende Meister vorausgegangen sind, es doch wagte, sich zum Reformator der Tonkunst aufzuwerfen. Ein Spruch, den Wagner seinem Hans Sachs in den Mund legt, darf ihm selbst zur Be¬ herzigung empfohlen werden: „Wollt Ihr nach Regeln messen, Was nicht nach Eurer Regeln Lauf, Der eignen Spur vergessen: — Sucht davon erst die Regeln auf!" — Pariser Brief. Sie geben in Ihrem Aufsatz „Frankreich und der Friede" (Ur. 24) die Nachricht, daß der Kaiser Napoleon wenige Wochen vor Eröffnung des Zoll¬ parlaments an das auswärtige Amt in London die Zumuthung gerichtet habe, sich mit Frankreich zu einem Protest gegen die Uebergriffe Preußens in Süddeutschland zu vereinigen. Ueber diese Anfrage möchte ich nach glaub¬ würdigen Autoritäten nur bemerken, daß sie nicht in officieller Form beim auswärtigen Amt gemacht sein dürfte, weil der Kaiser nach dem ausge¬ sprochenen friedlichen und deutschfreundlichen Charakter der Stanley'schen Politik von vornherein auf eine ablehnende Antwort gefaßt sein mußte. Nichtsdestoweniger stimme ich der Ausfassung französischer Politik, wie sie in dem betreffenden Artikel, sowie früher in „die Rüstungen des Kaisers Napo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/46>, abgerufen am 30.06.2024.