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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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in das fröhliche Treiben des Volkes versetzt. Die Gesänge der Gevatter
Schneider und Handschuhmacher sind, wenn auch geschraubt und karikirt.
doch nicht ungenießbar. Der Tanz, obwohl im Orchester mit allen Kunst¬
mittelchen aufgeputzt, kommt zu keinem glücklichen Zug, dagegen ist der Fest¬
marsch wieder sehr gelungen und ein Chor: "Wach auf, es nahet gar der
Tag" würde bei geringerer Steifheit des Textes eine der wirkungsvollsten
Nummern der Oper sein. Wir haben nun noch zwei Reden Sachsens, die
Parodie Beckmessers und das schon bekannte Lied Walthers, sowie einige jener
nebelhaften Chöre zu hören, die so häufig in der Oper vorkommen, und der
Kunstgenuß ist ^- überstanden.

Man hat sofort behauptet, daß das Werk die Runde auf allen deutschen
Bühnen machen würde. In Anbetracht der ungeheuren Schwierigkeiten, die
sich der Aufführung entgegenstellen, bezweifeln wir das. Ueberall zwar
kann man die öffentliche Meinung zum Voraus bearbeiten, wie in München
geschehen ist, aber nicht überall dürfte es Erfolg haben, und noch seltener
wird sich ein König finden, der den Componisten während der ganzen Auf¬
führung mit Auszeichnung überhäuft, an seiner Seite Platz nehmen läßt
und dadurch schon .jede Opposition unmöglich macht; nicht allerwärts ist
das Haus mit begeisterten Freunden des Tonsetzers, mit Personen, die aus
den verschiedensten Gründen sich ihm gefällig erweisen möchten, mit einer
durch Dick und Dünn ihm zujauchzenden Jugend zu füllen. Der während der
Aufführung selbst gespendete Applaus galt wohl zumeist den vortrefflichen
Gesangsleistungen: dem Fräulein Mollinger (Eva), einer reich begabten
Sängerin, die alles, was sie berührt, mit dem Hauche lebendiger Poesie
erfüllt, Herrn Nachbauer, der die dankbarste Partie (Walther) zu voller
Geltung brachte, Herrn Be ez, (Sachs) dem ausgezeichneten Baritonisten der
berliner Oper. Herr Hölzl (Beckmesser) wußte allen an ihn zu stellenden
Anforderungen gerecht zu werden, wurde aber im letzten Akte so heiser, daß
er seine Aufgabe kaum zu Ende zu führen vermochte, Frau Diez (Mag-
dalene) half undankbaren Rolle durch ihre Persönlichkeit auf, den Uebri-
gen wurde je nach ihren Aufgaben reichlicher Dank. So viel man davon
hören konnte, sangen auch die Meistersinger ganz wacker. Der Chor leistete
Vorzügliches, das Orchester war vollendet. --

Wenn das Endresultat eines unbefangenen und nicht im Voraus ein¬
genommenen Urtheils trotzdem ungünstig lautet, so liegt die Ursache einzig
am Werke des Dichtercomponisten. der keinem der Hauptgesichtspunkte, nach
denen die Kritik ihren Spruch stets zu bemessen haben wird -- Maß, Form
und Schönheit -- gerecht zu werden wußte. Man hat oft behauptet, daß das¬
jenige, was an Wagners Musik originell erscheint, unschön, geschraubt, ja
häßlich, dagegen alles ansprechende nicht neu sei. So wirken auch die Aar-


in das fröhliche Treiben des Volkes versetzt. Die Gesänge der Gevatter
Schneider und Handschuhmacher sind, wenn auch geschraubt und karikirt.
doch nicht ungenießbar. Der Tanz, obwohl im Orchester mit allen Kunst¬
mittelchen aufgeputzt, kommt zu keinem glücklichen Zug, dagegen ist der Fest¬
marsch wieder sehr gelungen und ein Chor: „Wach auf, es nahet gar der
Tag" würde bei geringerer Steifheit des Textes eine der wirkungsvollsten
Nummern der Oper sein. Wir haben nun noch zwei Reden Sachsens, die
Parodie Beckmessers und das schon bekannte Lied Walthers, sowie einige jener
nebelhaften Chöre zu hören, die so häufig in der Oper vorkommen, und der
Kunstgenuß ist ^- überstanden.

Man hat sofort behauptet, daß das Werk die Runde auf allen deutschen
Bühnen machen würde. In Anbetracht der ungeheuren Schwierigkeiten, die
sich der Aufführung entgegenstellen, bezweifeln wir das. Ueberall zwar
kann man die öffentliche Meinung zum Voraus bearbeiten, wie in München
geschehen ist, aber nicht überall dürfte es Erfolg haben, und noch seltener
wird sich ein König finden, der den Componisten während der ganzen Auf¬
führung mit Auszeichnung überhäuft, an seiner Seite Platz nehmen läßt
und dadurch schon .jede Opposition unmöglich macht; nicht allerwärts ist
das Haus mit begeisterten Freunden des Tonsetzers, mit Personen, die aus
den verschiedensten Gründen sich ihm gefällig erweisen möchten, mit einer
durch Dick und Dünn ihm zujauchzenden Jugend zu füllen. Der während der
Aufführung selbst gespendete Applaus galt wohl zumeist den vortrefflichen
Gesangsleistungen: dem Fräulein Mollinger (Eva), einer reich begabten
Sängerin, die alles, was sie berührt, mit dem Hauche lebendiger Poesie
erfüllt, Herrn Nachbauer, der die dankbarste Partie (Walther) zu voller
Geltung brachte, Herrn Be ez, (Sachs) dem ausgezeichneten Baritonisten der
berliner Oper. Herr Hölzl (Beckmesser) wußte allen an ihn zu stellenden
Anforderungen gerecht zu werden, wurde aber im letzten Akte so heiser, daß
er seine Aufgabe kaum zu Ende zu führen vermochte, Frau Diez (Mag-
dalene) half undankbaren Rolle durch ihre Persönlichkeit auf, den Uebri-
gen wurde je nach ihren Aufgaben reichlicher Dank. So viel man davon
hören konnte, sangen auch die Meistersinger ganz wacker. Der Chor leistete
Vorzügliches, das Orchester war vollendet. —

Wenn das Endresultat eines unbefangenen und nicht im Voraus ein¬
genommenen Urtheils trotzdem ungünstig lautet, so liegt die Ursache einzig
am Werke des Dichtercomponisten. der keinem der Hauptgesichtspunkte, nach
denen die Kritik ihren Spruch stets zu bemessen haben wird — Maß, Form
und Schönheit — gerecht zu werden wußte. Man hat oft behauptet, daß das¬
jenige, was an Wagners Musik originell erscheint, unschön, geschraubt, ja
häßlich, dagegen alles ansprechende nicht neu sei. So wirken auch die Aar-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/45>, abgerufen am 30.06.2024.