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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Unterdessen hatten die militärischen Vorbereitungen in Italien, deren
Charakter ohne Zweifel von den östreichischen Agenten in Italien sehr über¬
trieben wurde, das wiener Cabinet in Unruhe versetzt. Mittelst eines jener
raschen Entschlüsse, welche wiederholt seine Stellung in Italien gefährdeten.
Warf Oestreich plötzlich eine große Zahl Regimenter mit der Eisenbahn ins
Venetianische und gab dadurch der italienischen Regierung den (formell wohl
begründeten) Anlaß zu einer diplomatischen Beschwerde, die in einem Rund¬
schreiben an die Vertreter Italiens im Auslande ü. Z. 27. April nieder¬
gelegt war. Die italienische Regierung kündigte darin gleichzeitig an. daß
sie sich genöthigt sehe, ebenfalls im Interesse der Sicherheit des Königreichs
ihre Streitkräfte zu Wasser und zu Land zu erhöhen. Zugleich nahm der
italienische Ministerpräsident Anlaß, der preußischen Regierung die Gefahr zu
schildern, welche Italien lief, wenn es unvermuthet von Oestreich angegriffen
würde. Graf Bismarck antwortete am 2. Mai, er glaube, die preußische
Negierung habe kraft des Allianzvertrags, der nicht für beide Theile gleich
gegenseitig sei, keine strenge Verpflichtung, zur Vertheidigung Italiens
einzutreten; allein persönlich halte er jedenfalls dafür, daß es im Interesse
Preußens liege zu verhindern, daß Oestreich Italien überwältige. Da dies
seine feste Ueberzeugung sei, würde er eine Cabinetsfrage daraus machen,
Italien nicht allein zu lassen.

Dies ist nun der Punkt, aus welchen die Italiener ihre Beschwerden
gegen Preußen gründen. Es ist insbesondere der Punkt, welchen Lamar-
wora wiederholt, namentlich in seinem Briefe an die Wähler vyn Biella,
empfindlich hervorhob. Die Italiener beriefen sich darauf, daß der geheime
Vertrag ausdrücklich als ein "offensiver, und defensiver Allianzvertrag" abge¬
schlossen war. Nur im Fall eines Angriffs von Seiten Italiens war der
Vertrag nicht unbedingt gegenseitig, aber im Fall Italien binnen drei Mo¬
naten angegriffen würde, war Preußen vertragsmäßig zu seiner Hilfe ver¬
pflichtet. Preußen andererseits berief sich darauf, daß es sich überhaupt nicht in
absoluter Weise zum Krieg verbindlich gemacht und die Initiative binnen drei
Atonalen sich ausschließlich vorbehalten hatte. Es ist keine Frage, es war
dies ein Moment, wo die Italiener die Ungleichheit des Vertragsverhält-
"isses peinlich empfanden, um so peinlicher, als sie ein unbedingtes Interesse
Krieg hatten, während Preußen noch immer die Hoffnung nicht aus"
^loß, seine Ziele durch Nachgiebigkeit des Gegners zu erreichen. Der Man-
oel an Gegenseitigkeit bestand unleugbar. Allein es ist nicht zu verkennen,
er doch nur der Ausdruck der wirklichen Lage war. Der Krieg war
sür Preußen ein so ungeheures Wagniß, daß es nur in durchaus selbständi¬
ger Weise, lediglich nach den eigenen Interessen und nach Erschöpfung aller
anderen Mittel den Entschluß zu demselben fassen konnte. Für Preußen


Unterdessen hatten die militärischen Vorbereitungen in Italien, deren
Charakter ohne Zweifel von den östreichischen Agenten in Italien sehr über¬
trieben wurde, das wiener Cabinet in Unruhe versetzt. Mittelst eines jener
raschen Entschlüsse, welche wiederholt seine Stellung in Italien gefährdeten.
Warf Oestreich plötzlich eine große Zahl Regimenter mit der Eisenbahn ins
Venetianische und gab dadurch der italienischen Regierung den (formell wohl
begründeten) Anlaß zu einer diplomatischen Beschwerde, die in einem Rund¬
schreiben an die Vertreter Italiens im Auslande ü. Z. 27. April nieder¬
gelegt war. Die italienische Regierung kündigte darin gleichzeitig an. daß
sie sich genöthigt sehe, ebenfalls im Interesse der Sicherheit des Königreichs
ihre Streitkräfte zu Wasser und zu Land zu erhöhen. Zugleich nahm der
italienische Ministerpräsident Anlaß, der preußischen Regierung die Gefahr zu
schildern, welche Italien lief, wenn es unvermuthet von Oestreich angegriffen
würde. Graf Bismarck antwortete am 2. Mai, er glaube, die preußische
Negierung habe kraft des Allianzvertrags, der nicht für beide Theile gleich
gegenseitig sei, keine strenge Verpflichtung, zur Vertheidigung Italiens
einzutreten; allein persönlich halte er jedenfalls dafür, daß es im Interesse
Preußens liege zu verhindern, daß Oestreich Italien überwältige. Da dies
seine feste Ueberzeugung sei, würde er eine Cabinetsfrage daraus machen,
Italien nicht allein zu lassen.

Dies ist nun der Punkt, aus welchen die Italiener ihre Beschwerden
gegen Preußen gründen. Es ist insbesondere der Punkt, welchen Lamar-
wora wiederholt, namentlich in seinem Briefe an die Wähler vyn Biella,
empfindlich hervorhob. Die Italiener beriefen sich darauf, daß der geheime
Vertrag ausdrücklich als ein „offensiver, und defensiver Allianzvertrag" abge¬
schlossen war. Nur im Fall eines Angriffs von Seiten Italiens war der
Vertrag nicht unbedingt gegenseitig, aber im Fall Italien binnen drei Mo¬
naten angegriffen würde, war Preußen vertragsmäßig zu seiner Hilfe ver¬
pflichtet. Preußen andererseits berief sich darauf, daß es sich überhaupt nicht in
absoluter Weise zum Krieg verbindlich gemacht und die Initiative binnen drei
Atonalen sich ausschließlich vorbehalten hatte. Es ist keine Frage, es war
dies ein Moment, wo die Italiener die Ungleichheit des Vertragsverhält-
"isses peinlich empfanden, um so peinlicher, als sie ein unbedingtes Interesse
Krieg hatten, während Preußen noch immer die Hoffnung nicht aus»
^loß, seine Ziele durch Nachgiebigkeit des Gegners zu erreichen. Der Man-
oel an Gegenseitigkeit bestand unleugbar. Allein es ist nicht zu verkennen,
er doch nur der Ausdruck der wirklichen Lage war. Der Krieg war
sür Preußen ein so ungeheures Wagniß, daß es nur in durchaus selbständi¬
ger Weise, lediglich nach den eigenen Interessen und nach Erschöpfung aller
anderen Mittel den Entschluß zu demselben fassen konnte. Für Preußen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/453>, abgerufen am 04.07.2024.