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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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welch bedrängter Lage Italien sich befinde, aus der es sich nur durch rasche
Vollendung der nationalen Unabhängigkeit zu retten vermöge. Nun scheine
eine günstige Gelegenheit zum Abschluß einer Allianz mit Preußen zu diesem
Zweck sich zu nähern, für Italien sei es geradezu eine Lebensfrage, diese Ge¬
legenheit zu benutzen und die italienische Regierung hoffe, daß Frankreich
bei einer solchen Eventualität nicht feindselig gegen seinen alten Verbündeten
auftreten werde. Der Eindruck, welchen der italienische Vertrauensmann
von seinen Unterredungen in Paris empfing, war der, daß die Gefühle des
Kaisers gegen Italien unverändert dieselben seien. Allerdings verhehlte dieser
nicht, daß er eine friedliche Lösung der venetianischen Frage vorziehen würde,
und er konnte hinzufügen, daß er noch vor Kurzem angelegentlich in den
wiener Hof gedrungen habe, damit dieser angesichts des drohenden Conflicts
in Deutschland sich zu einer solchen verstehen möge. Allein nachdem jeder
friedliche Rath vergeblich gewesen und Italien genöthigt sei, eine günstige
Gelegenheit benutzend zum Schwert zu greifen, werde Frankreich sich nicht
einmischen, um den Krieg von Seiten Italiens zu verhindern. Uebrigens er"
klärte der Kaiser auf die bestimmteste Weise, daß er sich die volle Freiheit
der Action vorbehalte für jegliche Eventualität, bei welcher die Interessen
Frankreichs irgendwie Gefahr laufen würden. Von diesem Vorbehalt schien
jeooch wenigstens nach dem Eindruck des officiösen Unterhändlers die Frage
Venetiens ausgeschlossen, in dessen Vereinigung mit Italien der Kaiser ein
Interesse des gesammten Europa erblickte. Preußen selbst würdigte vollkom¬
men diesen Schritt, zu dem sich der General Lamarmora einem alten Ver¬
bündeten gegenüber veranlaßt sah. Es war auch für Preußen von Wichtig¬
keit, daß die Beziehungen Italiens mit Frankreich freundschaftliche blieben.

In der so weit schon vorgerückten Lage trat nun eine Zögerung, ja
ein Rückschritt ein in Folge des Depeschenwechsels zwischen Preußen und
Oestreich über die Rüstungsfrage. Preußen hatte in der Depesche vom 21.
April den östreichischen Vorschlag einer Entwaffnung angenommen, unter der
Bedingung, daß Oestreich und die anderen deutschen Staaten ein Gleiches thun
sollten, und Vorschläge für die allmähliche und gleichzeitige Ausführung dieser
Maßregeln gemacht. Obwohl diese Depesche keine unbedingte Zustimmung
zu dem östreichischen Vorschlag bedeutete, so erblickten die italienischen Staats¬
männer darin doch ein Anzeichen, daß die Friedenspartei am preußischen
Hofe wieder an Terrain gewinne. -- Graf Bismarck war in jenen Tagen krank
und seinem Leiden schienen politische Gründe nicht fremd. Jedermann wußte,
daß ein Krieg gegen Oestreich in Preußen unpopulär war, selbst im Heer,
das sich lieber gegen jeden andern Feind geschlagen hätte. Am 26- April
machte das preußische Cabinet Anzeige von dieser neuen Lage und fügte nur
hinzu, daß die Befehle für die Entwaffnung langsam ausgeführt werden sollten.


welch bedrängter Lage Italien sich befinde, aus der es sich nur durch rasche
Vollendung der nationalen Unabhängigkeit zu retten vermöge. Nun scheine
eine günstige Gelegenheit zum Abschluß einer Allianz mit Preußen zu diesem
Zweck sich zu nähern, für Italien sei es geradezu eine Lebensfrage, diese Ge¬
legenheit zu benutzen und die italienische Regierung hoffe, daß Frankreich
bei einer solchen Eventualität nicht feindselig gegen seinen alten Verbündeten
auftreten werde. Der Eindruck, welchen der italienische Vertrauensmann
von seinen Unterredungen in Paris empfing, war der, daß die Gefühle des
Kaisers gegen Italien unverändert dieselben seien. Allerdings verhehlte dieser
nicht, daß er eine friedliche Lösung der venetianischen Frage vorziehen würde,
und er konnte hinzufügen, daß er noch vor Kurzem angelegentlich in den
wiener Hof gedrungen habe, damit dieser angesichts des drohenden Conflicts
in Deutschland sich zu einer solchen verstehen möge. Allein nachdem jeder
friedliche Rath vergeblich gewesen und Italien genöthigt sei, eine günstige
Gelegenheit benutzend zum Schwert zu greifen, werde Frankreich sich nicht
einmischen, um den Krieg von Seiten Italiens zu verhindern. Uebrigens er»
klärte der Kaiser auf die bestimmteste Weise, daß er sich die volle Freiheit
der Action vorbehalte für jegliche Eventualität, bei welcher die Interessen
Frankreichs irgendwie Gefahr laufen würden. Von diesem Vorbehalt schien
jeooch wenigstens nach dem Eindruck des officiösen Unterhändlers die Frage
Venetiens ausgeschlossen, in dessen Vereinigung mit Italien der Kaiser ein
Interesse des gesammten Europa erblickte. Preußen selbst würdigte vollkom¬
men diesen Schritt, zu dem sich der General Lamarmora einem alten Ver¬
bündeten gegenüber veranlaßt sah. Es war auch für Preußen von Wichtig¬
keit, daß die Beziehungen Italiens mit Frankreich freundschaftliche blieben.

In der so weit schon vorgerückten Lage trat nun eine Zögerung, ja
ein Rückschritt ein in Folge des Depeschenwechsels zwischen Preußen und
Oestreich über die Rüstungsfrage. Preußen hatte in der Depesche vom 21.
April den östreichischen Vorschlag einer Entwaffnung angenommen, unter der
Bedingung, daß Oestreich und die anderen deutschen Staaten ein Gleiches thun
sollten, und Vorschläge für die allmähliche und gleichzeitige Ausführung dieser
Maßregeln gemacht. Obwohl diese Depesche keine unbedingte Zustimmung
zu dem östreichischen Vorschlag bedeutete, so erblickten die italienischen Staats¬
männer darin doch ein Anzeichen, daß die Friedenspartei am preußischen
Hofe wieder an Terrain gewinne. — Graf Bismarck war in jenen Tagen krank
und seinem Leiden schienen politische Gründe nicht fremd. Jedermann wußte,
daß ein Krieg gegen Oestreich in Preußen unpopulär war, selbst im Heer,
das sich lieber gegen jeden andern Feind geschlagen hätte. Am 26- April
machte das preußische Cabinet Anzeige von dieser neuen Lage und fügte nur
hinzu, daß die Befehle für die Entwaffnung langsam ausgeführt werden sollten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/452>, abgerufen am 04.07.2024.