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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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stand die Existenz des Staats auf dem Spiel, Italien dagegen war in seinem
bisherigen Bestand ohne Frage schon durch Frankreich gedeckt, während es
andererseits den Krieg schlechterdings nur unter der Voraussetzung führen
konnte, daß es einen Bundesgenossen gegen Oestreich bekam; seine Action
war schlechterdings abhängig von der Action Preußens. Es war also,
wie Lamarmora klagte, daß Italien auf alle Fälle Preußen gegen Oestreich
beistehen sollte, während Preußen nicht das Gleiche Italien versprach. Allein
in Wirklichkeit war dies doch nur ein Unterschied in der Form, von dem
ein Staatsmann nicht wohl annehmen konnte, daß er praktisch werden würde,
wie er auch nicht praktisch geworden ist. Konnte Graf Bismarck in einem
Augenblick, da in Berlin noch die Kriegs - und Friedenstendenzen sich stritten,
nur seine persönliche Stellung einsetzen, damit Italien im Fall eines Ueber¬
falls nicht im Stich gelassen würde, so war dies für die italienische Regie¬
rung eine moralische Bürgschaft, die nur in dem jetzt undenkbaren Fall ver¬
sagt hätte, daß Preußen vor den Forderungen Oestreichs gänzlich zurück¬
gewichen wäre. Am 6. Mai kam eine weitere Bürgschaft: "eine sehr hohe
Persönlichkeit" in Preußen schrieb einen Brief an "eine sehr hohe Persön¬
lichkeit" in Italien, der zwar noch nicht die Gewißheit ausdrückte, daß
Preußen die Initiative eines Kriegs ergreifen würde, jedoch für den Fall
eines Angriffs Oestreichs auf Italien beruhigende Versicherungen gab. Ge¬
rade die versuchte Wendung Oestreichs, sich einzig aus Italien zu stürzen,
hatte den Entschluß zum Krieg in Berlin herbeigeführt. Die Note des Grasen
Mensdorff vom 26. April war für den Grafen Bismarck die wirksamste
Waffe gegen die Friedenspartei. Die preußische Depesche vom 30. April
lehnte jede Abrüstung ab, falls Oestreich nicht auch gleichzeitig gegen Italien
abrüste und in den ersten Tagen des Mai erfolgten die Befehle zur Mobi-
lisirung der Armee. Wirklich hatte sich auch durch die Anzeige vom 23. April
die italienische Negierung nicht ernstlich beirren lassen. Sie fuhr in ihren
kriegerischen Rüstungen fort. Das Heer concentrirte sich in einer Stärke von
200,000 Mann in der Emilia und der Lombardei.

Noch einmal trat ein ernster kritischer Moment ein. Am S. Mai 1866
wurde Lamarmora durch das Angebot einer freiwilligen Abtretung
Venetiens an Italien überrascht unter der einzigen Bedingung, daß Italien
einfach neutral bleibe. Die Versuchung trat an Italien heran, nachdem so¬
eben im Verhalten Preußens sich eine gewisse Abkühlung gezeigt hatte. Es
war, wie Jacini sagt, ein tLiribilv momento; Italien durfre sich die Aussicht
auf den Gewinn Venetiens nicht entgehen lassen, dies war eine Lebensfrage;
und doch war es immer noch nicht sicher, ob Preußen sich zum Krieg ent¬
schließen werde, an dem selbst in jenem Augenblick auch in Deutschland die
Meisten noch zweifelten. Der italienische Minister steht nicht an zu erklären,


stand die Existenz des Staats auf dem Spiel, Italien dagegen war in seinem
bisherigen Bestand ohne Frage schon durch Frankreich gedeckt, während es
andererseits den Krieg schlechterdings nur unter der Voraussetzung führen
konnte, daß es einen Bundesgenossen gegen Oestreich bekam; seine Action
war schlechterdings abhängig von der Action Preußens. Es war also,
wie Lamarmora klagte, daß Italien auf alle Fälle Preußen gegen Oestreich
beistehen sollte, während Preußen nicht das Gleiche Italien versprach. Allein
in Wirklichkeit war dies doch nur ein Unterschied in der Form, von dem
ein Staatsmann nicht wohl annehmen konnte, daß er praktisch werden würde,
wie er auch nicht praktisch geworden ist. Konnte Graf Bismarck in einem
Augenblick, da in Berlin noch die Kriegs - und Friedenstendenzen sich stritten,
nur seine persönliche Stellung einsetzen, damit Italien im Fall eines Ueber¬
falls nicht im Stich gelassen würde, so war dies für die italienische Regie¬
rung eine moralische Bürgschaft, die nur in dem jetzt undenkbaren Fall ver¬
sagt hätte, daß Preußen vor den Forderungen Oestreichs gänzlich zurück¬
gewichen wäre. Am 6. Mai kam eine weitere Bürgschaft: „eine sehr hohe
Persönlichkeit" in Preußen schrieb einen Brief an „eine sehr hohe Persön¬
lichkeit" in Italien, der zwar noch nicht die Gewißheit ausdrückte, daß
Preußen die Initiative eines Kriegs ergreifen würde, jedoch für den Fall
eines Angriffs Oestreichs auf Italien beruhigende Versicherungen gab. Ge¬
rade die versuchte Wendung Oestreichs, sich einzig aus Italien zu stürzen,
hatte den Entschluß zum Krieg in Berlin herbeigeführt. Die Note des Grasen
Mensdorff vom 26. April war für den Grafen Bismarck die wirksamste
Waffe gegen die Friedenspartei. Die preußische Depesche vom 30. April
lehnte jede Abrüstung ab, falls Oestreich nicht auch gleichzeitig gegen Italien
abrüste und in den ersten Tagen des Mai erfolgten die Befehle zur Mobi-
lisirung der Armee. Wirklich hatte sich auch durch die Anzeige vom 23. April
die italienische Negierung nicht ernstlich beirren lassen. Sie fuhr in ihren
kriegerischen Rüstungen fort. Das Heer concentrirte sich in einer Stärke von
200,000 Mann in der Emilia und der Lombardei.

Noch einmal trat ein ernster kritischer Moment ein. Am S. Mai 1866
wurde Lamarmora durch das Angebot einer freiwilligen Abtretung
Venetiens an Italien überrascht unter der einzigen Bedingung, daß Italien
einfach neutral bleibe. Die Versuchung trat an Italien heran, nachdem so¬
eben im Verhalten Preußens sich eine gewisse Abkühlung gezeigt hatte. Es
war, wie Jacini sagt, ein tLiribilv momento; Italien durfre sich die Aussicht
auf den Gewinn Venetiens nicht entgehen lassen, dies war eine Lebensfrage;
und doch war es immer noch nicht sicher, ob Preußen sich zum Krieg ent¬
schließen werde, an dem selbst in jenem Augenblick auch in Deutschland die
Meisten noch zweifelten. Der italienische Minister steht nicht an zu erklären,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/454>, abgerufen am 02.10.2024.