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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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aber schwülstiges Lied beginnt: "Jerum! Jerum! Halla, hätta, je!" Die
folgende Scene könnte sehr amüsant sein, wäre sie nicht wieder in einer
Weise ausgedehnt, die jede Geduld erschöpft. Der Gesang Beckmessers "Den
Tag seh' ich erscheinen" hat unstreitig komische Elemente, aber das äußerlich
Barocke ist so übertrieben und so ausgesponnen, daß das Ganze zu einer
Carricatur wird. So. beträgt sich kein Liebhaber unter dem Fenster seiner
Angebeteten und wäre er selbst der beschränkteste Patron. Der Akt schließt
mit einer tumultuartschen Scene, die an musikalischen Lärm und Durcheinander
alles übertrifft, was selbst der erste Akt geboten.

Der dritte Akt führt uns in die Arbeits- und Poetenstube Sachsens.
Obwohl gerade diese Scene einige der ansprechendsten Gesänge hat, so wird
sie doch zum non plus ultra von Langweiligkeit und lächerlicher Uebertrei¬
bung. Man begreift wirklich nicht, wie man Derartiges einem Publikum
bieten konnte und gewiß ist Aehnliches noch nie dagewesen. Zuerst singt
David seinen geistesabwesenden Meister lange Zeit an, ohne gehört zu wer¬
den, dann beginnt Sachs einen endlosen Monolog, darauf folgt ein Zwiege¬
spräch zwischen Sachs und Walther, dessen Schluß man nicht zu erleben
fürchtet und in dem sich nur ein ironischer Vers auszeichnet:


Sachs: Nur mit der Melodei
seid ihr ein wenig frei;
doch sag' ich nicht, daß es ein Fehler sei;
nur ist's nicht leicht zu behalten,
und das ärgert unsre Alten.

Um das Maß voll zu machen, kommt noch Beckmesser und hat eine
lange Unterredung mit Sachs. Er wird von Eva abgelöst, welche die neuen
Schuhe drücken, die ihr der "Schuh'-- nacher und Poet dazu" gefertigt hat.
Eva auf einem Fuße festgebannt stehend, -- (bezaubert, bewegungslos, --
bis Sachs dem größten Mangel abgeholfen) muß so die glühenden Liebeser-
güsse Walthers anhören. In dieser langen Scene (28 Seiten) findet der
Geist glücklicherweise einige Ruhepunkte. Zuerst ein kleines volkstümliches
Liedchen Davids: "Am Jordan Se. Johannis stand," das bestconstruirte er¬
quicklichste Gesangstück der ganzen Oper. Minder glücklich verläuft Sachsens
Weise: "Mein Freund! in solcher Jugendzeit." Dagegen ist Walthers Preis¬
lied "Morgenlicht leuchtend in rosigem Schein" sehr ansprechend, nur schade,
daß es so oft wiederkehrt und noch dazu in einem und demselben Akte. Von
weicher und erfolgreicher Tonsärbung ist das Quintett, womit diese Scene
schließt- "Selig, wie die Sonne meines Glückes lacht," -- es hat zudem den
Vorzug der Kürze, nur wird es in seiner Complicirtheit nie klar und deut¬
lich vorzutragen sein. ^

Wie durch Zauber sehen wir uns hiernach auf die Festwiese und mitten


aber schwülstiges Lied beginnt: „Jerum! Jerum! Halla, hätta, je!" Die
folgende Scene könnte sehr amüsant sein, wäre sie nicht wieder in einer
Weise ausgedehnt, die jede Geduld erschöpft. Der Gesang Beckmessers „Den
Tag seh' ich erscheinen" hat unstreitig komische Elemente, aber das äußerlich
Barocke ist so übertrieben und so ausgesponnen, daß das Ganze zu einer
Carricatur wird. So. beträgt sich kein Liebhaber unter dem Fenster seiner
Angebeteten und wäre er selbst der beschränkteste Patron. Der Akt schließt
mit einer tumultuartschen Scene, die an musikalischen Lärm und Durcheinander
alles übertrifft, was selbst der erste Akt geboten.

Der dritte Akt führt uns in die Arbeits- und Poetenstube Sachsens.
Obwohl gerade diese Scene einige der ansprechendsten Gesänge hat, so wird
sie doch zum non plus ultra von Langweiligkeit und lächerlicher Uebertrei¬
bung. Man begreift wirklich nicht, wie man Derartiges einem Publikum
bieten konnte und gewiß ist Aehnliches noch nie dagewesen. Zuerst singt
David seinen geistesabwesenden Meister lange Zeit an, ohne gehört zu wer¬
den, dann beginnt Sachs einen endlosen Monolog, darauf folgt ein Zwiege¬
spräch zwischen Sachs und Walther, dessen Schluß man nicht zu erleben
fürchtet und in dem sich nur ein ironischer Vers auszeichnet:


Sachs: Nur mit der Melodei
seid ihr ein wenig frei;
doch sag' ich nicht, daß es ein Fehler sei;
nur ist's nicht leicht zu behalten,
und das ärgert unsre Alten.

Um das Maß voll zu machen, kommt noch Beckmesser und hat eine
lange Unterredung mit Sachs. Er wird von Eva abgelöst, welche die neuen
Schuhe drücken, die ihr der „Schuh'— nacher und Poet dazu" gefertigt hat.
Eva auf einem Fuße festgebannt stehend, — (bezaubert, bewegungslos, —
bis Sachs dem größten Mangel abgeholfen) muß so die glühenden Liebeser-
güsse Walthers anhören. In dieser langen Scene (28 Seiten) findet der
Geist glücklicherweise einige Ruhepunkte. Zuerst ein kleines volkstümliches
Liedchen Davids: „Am Jordan Se. Johannis stand," das bestconstruirte er¬
quicklichste Gesangstück der ganzen Oper. Minder glücklich verläuft Sachsens
Weise: „Mein Freund! in solcher Jugendzeit." Dagegen ist Walthers Preis¬
lied „Morgenlicht leuchtend in rosigem Schein" sehr ansprechend, nur schade,
daß es so oft wiederkehrt und noch dazu in einem und demselben Akte. Von
weicher und erfolgreicher Tonsärbung ist das Quintett, womit diese Scene
schließt- „Selig, wie die Sonne meines Glückes lacht," — es hat zudem den
Vorzug der Kürze, nur wird es in seiner Complicirtheit nie klar und deut¬
lich vorzutragen sein. ^

Wie durch Zauber sehen wir uns hiernach auf die Festwiese und mitten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/44>, abgerufen am 30.06.2024.