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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Wie vieleMorte um eine einfache Sache, um ein Liebäugeln und stummes
Mienensptel! Doch wird dadurch das Wesen der beiden Hauptpersonen vor-
trefflich charakterisirt. Die folgenden Scenen sind ohne Reiz und musikali¬
sches Interesse. Es sällt Walthers heftige Frage auf: "Fräulein, sagt, seid
ihr schon Braut?" Die Lehrbuben, in fortwährend hüpfender Bewegung,
ordnen die Vorhalle zu einer Freiung, welche die Meistersinger abzuhalten
gedenken. Nun hebt jene Abhandlung über das Wesen des Meistergesangs
an, wie sie der alte altdorfer Professor I. Chr. Wagen seil in seinem be¬
rühmten 1697 erschienenen Werke: "as görmsmiAe MonÄseoruM, von der
Meister-Singer origiiuz, xraestautig., utiiitAw Le iustitutis" nicht besser ge¬
geben hat. Erquicklicher wird die Sache erst, wenn Walther zu den Meister¬
singern tritt, um selbst in die Zunft aufgenommen zu werden, und jetzt
kommt jenes Lied Walthers: "Fanget an! So rief der Lenz in den Wald,"
das, von Herrn Nachbauer vortrefflich gesungen, sich den ersten Beifall er¬
warb. Welche Zumuthungen Wagner an das Gehör seines Publikums stellt,
geht aus einer hierher gehörigen Bemerkung des Clavierauszuges hervor.
Beckmesser, der auf die Verstöße in dem Gesänge des Ritters zu merken hat,
ist im Gemerk hinter Vorhängen eingeschlossen; während nun das ganze
Orchester fortissimo einsetzt, soll man wiederholte unmuthige Seufzer des
Merkers und sein heftiges Anstreichen mit der Kreide vernehmen! Der erste
Akt endet mit einem unentwirrbaren Durcheinander sämmtlicher Meistersinger
und Lehrburschen.

Der zweite Akt bringt jene schöne Decoration, von der wir oben
bereits gesprochen. Zuerst treiben wieder die Lehrbuben ihren Scherz, David
verhöhnend, der die alte Magdalene zur Liebsten hat. Dann folgt die
poetischeste Scene der ganzen Oper, ein Zwiegespräch zwischen Eva und Sachs,
das auf einem reichen, weichen Jnstrumentalsatz hingleitet, in Folge seiner
Länge aber von dem ihm innewohnenden Reiz beträchtlich einbüßt. In diesem
Auftritt wurde eine Stelle mit lebhaftem Applaus aufgenommen, die wohl
als Selbstbekenntnis) des Dichters zu gelten hat:


Sachs: Mein Kind, für den ist Alles verloren,
und Meister wird der in keinem Land;
denn wer als Meister ward geboren,
der hat unter Meistern den schlimmsten Stand.

Eva willigt ein, sich von Walther entführen zu lassen, Sachs beschließt
dies zu verhindern, das Auftreten Beckmessers, der in der Absicht kommt,
Eva ein Ständchen zu bringen, vereitelt das Vorhaben der Liebenden, und
das Publikum hat nun das Vergnügen, sie unter der Linde während der
ganzen Dauer des Aktes kosen zu sehen. Dann beginnen die komischen
Scenen. Der alberne Merker wird von Sachs gehänselt, der ein heiteres,


Grenzboten III. 1868. 5

Wie vieleMorte um eine einfache Sache, um ein Liebäugeln und stummes
Mienensptel! Doch wird dadurch das Wesen der beiden Hauptpersonen vor-
trefflich charakterisirt. Die folgenden Scenen sind ohne Reiz und musikali¬
sches Interesse. Es sällt Walthers heftige Frage auf: „Fräulein, sagt, seid
ihr schon Braut?" Die Lehrbuben, in fortwährend hüpfender Bewegung,
ordnen die Vorhalle zu einer Freiung, welche die Meistersinger abzuhalten
gedenken. Nun hebt jene Abhandlung über das Wesen des Meistergesangs
an, wie sie der alte altdorfer Professor I. Chr. Wagen seil in seinem be¬
rühmten 1697 erschienenen Werke: „as görmsmiAe MonÄseoruM, von der
Meister-Singer origiiuz, xraestautig., utiiitAw Le iustitutis" nicht besser ge¬
geben hat. Erquicklicher wird die Sache erst, wenn Walther zu den Meister¬
singern tritt, um selbst in die Zunft aufgenommen zu werden, und jetzt
kommt jenes Lied Walthers: „Fanget an! So rief der Lenz in den Wald,"
das, von Herrn Nachbauer vortrefflich gesungen, sich den ersten Beifall er¬
warb. Welche Zumuthungen Wagner an das Gehör seines Publikums stellt,
geht aus einer hierher gehörigen Bemerkung des Clavierauszuges hervor.
Beckmesser, der auf die Verstöße in dem Gesänge des Ritters zu merken hat,
ist im Gemerk hinter Vorhängen eingeschlossen; während nun das ganze
Orchester fortissimo einsetzt, soll man wiederholte unmuthige Seufzer des
Merkers und sein heftiges Anstreichen mit der Kreide vernehmen! Der erste
Akt endet mit einem unentwirrbaren Durcheinander sämmtlicher Meistersinger
und Lehrburschen.

Der zweite Akt bringt jene schöne Decoration, von der wir oben
bereits gesprochen. Zuerst treiben wieder die Lehrbuben ihren Scherz, David
verhöhnend, der die alte Magdalene zur Liebsten hat. Dann folgt die
poetischeste Scene der ganzen Oper, ein Zwiegespräch zwischen Eva und Sachs,
das auf einem reichen, weichen Jnstrumentalsatz hingleitet, in Folge seiner
Länge aber von dem ihm innewohnenden Reiz beträchtlich einbüßt. In diesem
Auftritt wurde eine Stelle mit lebhaftem Applaus aufgenommen, die wohl
als Selbstbekenntnis) des Dichters zu gelten hat:


Sachs: Mein Kind, für den ist Alles verloren,
und Meister wird der in keinem Land;
denn wer als Meister ward geboren,
der hat unter Meistern den schlimmsten Stand.

Eva willigt ein, sich von Walther entführen zu lassen, Sachs beschließt
dies zu verhindern, das Auftreten Beckmessers, der in der Absicht kommt,
Eva ein Ständchen zu bringen, vereitelt das Vorhaben der Liebenden, und
das Publikum hat nun das Vergnügen, sie unter der Linde während der
ganzen Dauer des Aktes kosen zu sehen. Dann beginnen die komischen
Scenen. Der alberne Merker wird von Sachs gehänselt, der ein heiteres,


Grenzboten III. 1868. 5
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/43>, abgerufen am 30.06.2024.