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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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als derselbe in Frankreich fast abhanden gekommen zu sein schien. Die
Tugend des Muthes erschien ihm selbst als eine ganz natürliche, selbstver¬
ständliche, aber die Rohheit und Barbarei, die Pedanterie und Servilität
des Kriegshandwerks stießen ihn ab. Auch wollte er nicht recht an die
Wissenschaft der Strategie glauben: er liebt es, die tiefen Pläne, deren sich
die napoleonischen Bulletins rühmen, auf Zufälligkeiten zurückzuführen und
die episch-romantischen Schlachtenbilder ihres Zaubers zu entkleiden. Der
Briefwechsel aus seinen fünfzehn Kriegsjahren zeigt uns die Kehrseite der
Medaille in erschreckender Deutlichkeit. Nicht einmal die weltberühmte Re-
nommage, daß jeder französische Soldat den Marschallsstab im Tornister trage,
bleibt vor seinen ungeschminkten Mittheilungen bestehen: überall avanciren,
selbst vor dem Feinde, die mittelmäßigen und ergebenen Leute, die Höflinge, die
Denuncianten, und die tüchtigen, deshalb gerade unabhängigen Männer
werden zurückgesetzt, wenn nicht verfolgt. Obgleich Courier zu den letzteren
gehört, ist doch -- nach reiflicher historischer Ermittelung -- nicht anzuneh¬
men, daß er in diesem Punkte aus persönlicher Empfindlichkeit stark über¬
trieben habe. Es gehörte ja auch zum System des modernen Cäsar, alle
selbständigen Capacitäten hinter den blinden Werkzeugen zurücktreten zu lassen,
und was zuerst für den Ausfluß persönlicher Eifersucht gelten konnte, ward
später zum Rang einer wohlberechneten Staatsmaxime erhoben und durch¬
drang alle Poren des Gemeinwesens.

Das Glück wollte, daß unser Held seine meisten Feldzüge in Italien zu
bestehen hatte. Bei übrigens treuer Pflichterfüllung wenig bekümmert um
seinen Ruhm und seinen Grad, ist er desto eifriger hinter den classischen
Studien her. Aber er studirt vorläufig nur für sein Privatvergnügen, selbst
ohne an literarische Leistungen zu denken; noch viel weniger eignet er sich
zu einem officiellen Gelehrten, der im Gefolge bonapartischer Hof- und
Kriegslager etwas zur Verherrlichung der napoleonischen Triumphzüge bei¬
getragen hätte. -- Die ersten beiden Jahre vor seinen italienischen Feldzügen,
nämlich 1793 bis 95, diente er. wie gesagt, in der Rhein - und Moselarmee,
die unter Hoche für die Stütze des Republikanismus galt. Aber in Courier
war der politische Eifer noch nicht erwacht: in seiner damaligen Gleichgil-
tigkeit gegen die Regierungsformen, für und gegen welche sich alle Welt er"
hitzte, liegt sogar ein wichtiges Moment seiner geistigen Entwickelung. Weni¬
ger irgend eine politische Formel, als das Gefühl persönlicher Unabhängig¬
keit und ein starker naturwüchsiger Rechtssinn wirkte und arbeitete in ihm;
er war kein Mann der Doctrin oder eines bestimmten Fachberufes, sondern,
wie er mitten im Leben stand, so entwickelte er sich auch mitten aus dem
Leben heraus, und durfte in der Zeit seiner Berühmtheit scherzend an das
Wort seines Vaters erinnern, daß niemals Etwas aus ihm werden würde,


als derselbe in Frankreich fast abhanden gekommen zu sein schien. Die
Tugend des Muthes erschien ihm selbst als eine ganz natürliche, selbstver¬
ständliche, aber die Rohheit und Barbarei, die Pedanterie und Servilität
des Kriegshandwerks stießen ihn ab. Auch wollte er nicht recht an die
Wissenschaft der Strategie glauben: er liebt es, die tiefen Pläne, deren sich
die napoleonischen Bulletins rühmen, auf Zufälligkeiten zurückzuführen und
die episch-romantischen Schlachtenbilder ihres Zaubers zu entkleiden. Der
Briefwechsel aus seinen fünfzehn Kriegsjahren zeigt uns die Kehrseite der
Medaille in erschreckender Deutlichkeit. Nicht einmal die weltberühmte Re-
nommage, daß jeder französische Soldat den Marschallsstab im Tornister trage,
bleibt vor seinen ungeschminkten Mittheilungen bestehen: überall avanciren,
selbst vor dem Feinde, die mittelmäßigen und ergebenen Leute, die Höflinge, die
Denuncianten, und die tüchtigen, deshalb gerade unabhängigen Männer
werden zurückgesetzt, wenn nicht verfolgt. Obgleich Courier zu den letzteren
gehört, ist doch — nach reiflicher historischer Ermittelung — nicht anzuneh¬
men, daß er in diesem Punkte aus persönlicher Empfindlichkeit stark über¬
trieben habe. Es gehörte ja auch zum System des modernen Cäsar, alle
selbständigen Capacitäten hinter den blinden Werkzeugen zurücktreten zu lassen,
und was zuerst für den Ausfluß persönlicher Eifersucht gelten konnte, ward
später zum Rang einer wohlberechneten Staatsmaxime erhoben und durch¬
drang alle Poren des Gemeinwesens.

Das Glück wollte, daß unser Held seine meisten Feldzüge in Italien zu
bestehen hatte. Bei übrigens treuer Pflichterfüllung wenig bekümmert um
seinen Ruhm und seinen Grad, ist er desto eifriger hinter den classischen
Studien her. Aber er studirt vorläufig nur für sein Privatvergnügen, selbst
ohne an literarische Leistungen zu denken; noch viel weniger eignet er sich
zu einem officiellen Gelehrten, der im Gefolge bonapartischer Hof- und
Kriegslager etwas zur Verherrlichung der napoleonischen Triumphzüge bei¬
getragen hätte. — Die ersten beiden Jahre vor seinen italienischen Feldzügen,
nämlich 1793 bis 95, diente er. wie gesagt, in der Rhein - und Moselarmee,
die unter Hoche für die Stütze des Republikanismus galt. Aber in Courier
war der politische Eifer noch nicht erwacht: in seiner damaligen Gleichgil-
tigkeit gegen die Regierungsformen, für und gegen welche sich alle Welt er«
hitzte, liegt sogar ein wichtiges Moment seiner geistigen Entwickelung. Weni¬
ger irgend eine politische Formel, als das Gefühl persönlicher Unabhängig¬
keit und ein starker naturwüchsiger Rechtssinn wirkte und arbeitete in ihm;
er war kein Mann der Doctrin oder eines bestimmten Fachberufes, sondern,
wie er mitten im Leben stand, so entwickelte er sich auch mitten aus dem
Leben heraus, und durfte in der Zeit seiner Berühmtheit scherzend an das
Wort seines Vaters erinnern, daß niemals Etwas aus ihm werden würde,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/434>, abgerufen am 04.07.2024.