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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Haare ward gemildert durch den etwas sentimentalen Blick und den gnädigen
Ausdruck des Mundes, Züge die von Asklepios entlehnt waren, während
der Strahlenkranz ums Haupt von dem Gotte der sommerlichen Wärme,
dem Helios herrührte; also ein Mosaik aus verschiedenen bereits sertig vor-'
liegenden Elementen, immerhin nicht ungeschickt vereinigt, aber doch nur von
höchst geringem Originalwerth.

Dieselben Keltenkämpfe, welchen die hochideale Schöpfung des belvederi-
schen Apollon ihren Ursprung verdankt, riefen in Kleinasien Kunstwerke ganz
anderer Art, historische Sculpturen von entschieden naturalistischem Ge¬
präge hervor. Lange Zeit hatten die Könige von Pergamos zu kämpfen,
ehe es gelang, die keltischen Eindringlinge zu besiegen. Dann aber, als es
galt, diese Siege durch Kunst zu verherrlichen, knüpfte man an die alte asia¬
tische Neigung an, historische Vorgänge in möglichster Realität anschaulich
zu machen, eine Neigung, die sich ebenso an den Wänden der ninevitischen
Königspalaste wie an den Sculpturen lytischer Siegesdenkmäler aus blühen¬
der Kunstzeit offenbart. So entstanden in Pergamos Galliergruppen, welche
man erst in neuester Zeit in reicherer Fülle kennen gelernt hat, deren Haupt¬
belege aber, ohne allen Zweifel Originalwerke der pergamenischen Künstler¬
schule, schon seit langer Zeit zu den interessantesten Stücken römischer Museen
gezählt werden. Das eine ist die Gruppe der Villa Ludovisi, welche vor
Winckelmann den thörichten Namen "Arria und Palus" führte. In kräftig
lebendiger Stellung tritt uns ein Gallier entgegen; mit der Linken faßt er
sein Weib, welches er eben durchbohrt hat, um es nicht in die Gewalt des
Feindes fallen zu lassen, während er jetzt, den trotzigen Blick auf den Sieger
gerichtet, sich selber auf gleiche Weise dem gleichen Schicksal entzieht. Sein
Genosse liegt im Kapitol, der durch Byrons Gesang verherrlichte sterbende
Fechter, richtiger der sterbende Gallier genannt, -- ein Bild von großartig¬
ster Einfachheit und überwältigender Wirkung. Gehen wir aber von dem
Gesammteindruck weiter zur Betrachtung der Einzelheiten in beiden Werken,
da tritt uns nichts auffallender entgegen, als der scharfe Naturalismus in,
der ganzen Vortragsweise, der sich vor Allem in der Durchführung des
Barbarentypus offenbart. Die straffen Muskeln und Sehnen des etwas
magern Körpers verrathen den abgehärteten Krieger, die harte Haut unter
den Füßen den geübten Wanderer, das struppige Haupthaar, der Schnurr¬
bart, die ganze Gesichtsbildung den Barbaren. Halskette, Schild- und
Gürtelform den Kelten. Ganz ähnlich tritt das ethnologische Moment an
dem sog. Schleifer in Florenz hervor, dem kauernden Sclaven, der das
Messer zur Schindung des Marsyas wetzt; der Gesichtsausdruck ist durchaus
ungriechisch und die seltsame Schädelform, in welcher der große Kenner
Blumenbach Aehnlichkeit mit den Kosaken fand, soll ohne Zweifel den skytht-


Haare ward gemildert durch den etwas sentimentalen Blick und den gnädigen
Ausdruck des Mundes, Züge die von Asklepios entlehnt waren, während
der Strahlenkranz ums Haupt von dem Gotte der sommerlichen Wärme,
dem Helios herrührte; also ein Mosaik aus verschiedenen bereits sertig vor-'
liegenden Elementen, immerhin nicht ungeschickt vereinigt, aber doch nur von
höchst geringem Originalwerth.

Dieselben Keltenkämpfe, welchen die hochideale Schöpfung des belvederi-
schen Apollon ihren Ursprung verdankt, riefen in Kleinasien Kunstwerke ganz
anderer Art, historische Sculpturen von entschieden naturalistischem Ge¬
präge hervor. Lange Zeit hatten die Könige von Pergamos zu kämpfen,
ehe es gelang, die keltischen Eindringlinge zu besiegen. Dann aber, als es
galt, diese Siege durch Kunst zu verherrlichen, knüpfte man an die alte asia¬
tische Neigung an, historische Vorgänge in möglichster Realität anschaulich
zu machen, eine Neigung, die sich ebenso an den Wänden der ninevitischen
Königspalaste wie an den Sculpturen lytischer Siegesdenkmäler aus blühen¬
der Kunstzeit offenbart. So entstanden in Pergamos Galliergruppen, welche
man erst in neuester Zeit in reicherer Fülle kennen gelernt hat, deren Haupt¬
belege aber, ohne allen Zweifel Originalwerke der pergamenischen Künstler¬
schule, schon seit langer Zeit zu den interessantesten Stücken römischer Museen
gezählt werden. Das eine ist die Gruppe der Villa Ludovisi, welche vor
Winckelmann den thörichten Namen „Arria und Palus" führte. In kräftig
lebendiger Stellung tritt uns ein Gallier entgegen; mit der Linken faßt er
sein Weib, welches er eben durchbohrt hat, um es nicht in die Gewalt des
Feindes fallen zu lassen, während er jetzt, den trotzigen Blick auf den Sieger
gerichtet, sich selber auf gleiche Weise dem gleichen Schicksal entzieht. Sein
Genosse liegt im Kapitol, der durch Byrons Gesang verherrlichte sterbende
Fechter, richtiger der sterbende Gallier genannt, — ein Bild von großartig¬
ster Einfachheit und überwältigender Wirkung. Gehen wir aber von dem
Gesammteindruck weiter zur Betrachtung der Einzelheiten in beiden Werken,
da tritt uns nichts auffallender entgegen, als der scharfe Naturalismus in,
der ganzen Vortragsweise, der sich vor Allem in der Durchführung des
Barbarentypus offenbart. Die straffen Muskeln und Sehnen des etwas
magern Körpers verrathen den abgehärteten Krieger, die harte Haut unter
den Füßen den geübten Wanderer, das struppige Haupthaar, der Schnurr¬
bart, die ganze Gesichtsbildung den Barbaren. Halskette, Schild- und
Gürtelform den Kelten. Ganz ähnlich tritt das ethnologische Moment an
dem sog. Schleifer in Florenz hervor, dem kauernden Sclaven, der das
Messer zur Schindung des Marsyas wetzt; der Gesichtsausdruck ist durchaus
ungriechisch und die seltsame Schädelform, in welcher der große Kenner
Blumenbach Aehnlichkeit mit den Kosaken fand, soll ohne Zweifel den skytht-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/412>, abgerufen am 04.07.2024.