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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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vollständig den Künstler, nur das Werk selber wirkt auf uns; beim farne-
sischen Stier, beim Laokoon, mit seiner künstlichen Abstufung der Leidens¬
grade, seiner berechneten Verschlingung der drei Menschenkörper und der
beiden Schlangen zu einem enggefügten Netz, da bewundern wir nicht am
Wenigsten das Machwerk, stets stellen sich uns die Meister mit ihrer Kunst
vor Augen. Das ist aber ein Zeichen nicht der wahren Kunst, sondern der
Virtuosität. Treten wir jedoch den rhodischen Künstlern nicht zu nahe; ihre
Werke nehmen immer noch eine der höchsten Stufen auf der Leiter ein, auf
welcher die Kunst abwärts steigt, und was an ihnen als Fehler zu rügen
ist, das sind eben nur die gemeinsamen des Geschmackes ihrer Zeit.

Auf dem Gebiete der Götterbildnerei gehört die einzige wirklich bedeu¬
tende Erscheinung dieser Epoche wiederum dem freien Griechenland an. Wir
Meinen das dem sog, belvederischen Apoll zu Grunde liegende Original, dessen
erst seit Kurzem ermittelte kunstgeschichtliche Stellung und Bedeutung neuer¬
dings in diesen Blättern eingehend gewürdigt worden ist. Ein klein wenig
Theatralisches in der Haltung abgerechnet, ist die Composition vollendet. Anlaß
war das letzte Wunder, von dem die griechische Geschichte zu berichten weiß,
in Delphi durch ein regelmäßig wiederkehrendes "Rettungsfest" gefeiert; es
ist auch die letzte wahrhaft große Götterbildung, welche die griechische Kunst
geschaffen hat. Wie armselig ist dagegen Alles, was wir sonst erblicken;
Aphrodite, von einer Herrscherin der Liebe zu einem von Liebe beherrschten,
wenn auch durchaus edel aufgefaßten Weibe geworden, sinkt jetzt Stufe für
Stufe zu einer blos sinnlich reizenden Erscheinung, endlich gar zur niedlichen
Eoquette herab. In Antiocheia begnügt man sich, die Werke älterer Meister.
entweder nur zu copiren, oder durch einige theatralische Zuthat für den herr¬
schenden Geschmack zuzustutzen. In Pergamos entsteht aus dem Zeustypus
durch Fortlassen der Großartigkeit und einseitiges Betonen der Milde und
Gnade der dort besonders verehrte Heilgott Asklepios, wofern nicht diese
Ausprägung schon früher stattgefunden hatte. Verhältnißmäßig die größte
Selbständigkeit zeigt eine ägyptische Götterbildung. Die altägyptischen Götter
vu't ihren Thierköpfen waren den Hellenen natürlich ein Gräuel und wurden
sämmtlich umgewandelt, nur Osiris verschwand ganz und räumte dem neuen
Serapis seinen Platz ein. Osiris ist der Gott der ägyptischen Natur, die er
im Sommer belebt, während er im Winter einen jährlich wiederkehrenden
Todesschlaf schlummert und nur in der Unterwelt als Herrscher fortlebt, auf
Erde im Symbol des Apisstieres verehrt (daher Osor-apis). So lag es
^so nahe, bei der Umsetzung dieses unterirdisch herrschenden Wintergottes
Serapts in die griechische Anschauungsweise den Typus des Pluton zu Grunde
nu legen, sowohl im Gesichtscharakter, wie in den Attributen des Kerberos
und der Schlange. Aber das Finstere der Stirn mit dem beschattenden


vollständig den Künstler, nur das Werk selber wirkt auf uns; beim farne-
sischen Stier, beim Laokoon, mit seiner künstlichen Abstufung der Leidens¬
grade, seiner berechneten Verschlingung der drei Menschenkörper und der
beiden Schlangen zu einem enggefügten Netz, da bewundern wir nicht am
Wenigsten das Machwerk, stets stellen sich uns die Meister mit ihrer Kunst
vor Augen. Das ist aber ein Zeichen nicht der wahren Kunst, sondern der
Virtuosität. Treten wir jedoch den rhodischen Künstlern nicht zu nahe; ihre
Werke nehmen immer noch eine der höchsten Stufen auf der Leiter ein, auf
welcher die Kunst abwärts steigt, und was an ihnen als Fehler zu rügen
ist, das sind eben nur die gemeinsamen des Geschmackes ihrer Zeit.

Auf dem Gebiete der Götterbildnerei gehört die einzige wirklich bedeu¬
tende Erscheinung dieser Epoche wiederum dem freien Griechenland an. Wir
Meinen das dem sog, belvederischen Apoll zu Grunde liegende Original, dessen
erst seit Kurzem ermittelte kunstgeschichtliche Stellung und Bedeutung neuer¬
dings in diesen Blättern eingehend gewürdigt worden ist. Ein klein wenig
Theatralisches in der Haltung abgerechnet, ist die Composition vollendet. Anlaß
war das letzte Wunder, von dem die griechische Geschichte zu berichten weiß,
in Delphi durch ein regelmäßig wiederkehrendes „Rettungsfest" gefeiert; es
ist auch die letzte wahrhaft große Götterbildung, welche die griechische Kunst
geschaffen hat. Wie armselig ist dagegen Alles, was wir sonst erblicken;
Aphrodite, von einer Herrscherin der Liebe zu einem von Liebe beherrschten,
wenn auch durchaus edel aufgefaßten Weibe geworden, sinkt jetzt Stufe für
Stufe zu einer blos sinnlich reizenden Erscheinung, endlich gar zur niedlichen
Eoquette herab. In Antiocheia begnügt man sich, die Werke älterer Meister.
entweder nur zu copiren, oder durch einige theatralische Zuthat für den herr¬
schenden Geschmack zuzustutzen. In Pergamos entsteht aus dem Zeustypus
durch Fortlassen der Großartigkeit und einseitiges Betonen der Milde und
Gnade der dort besonders verehrte Heilgott Asklepios, wofern nicht diese
Ausprägung schon früher stattgefunden hatte. Verhältnißmäßig die größte
Selbständigkeit zeigt eine ägyptische Götterbildung. Die altägyptischen Götter
vu't ihren Thierköpfen waren den Hellenen natürlich ein Gräuel und wurden
sämmtlich umgewandelt, nur Osiris verschwand ganz und räumte dem neuen
Serapis seinen Platz ein. Osiris ist der Gott der ägyptischen Natur, die er
im Sommer belebt, während er im Winter einen jährlich wiederkehrenden
Todesschlaf schlummert und nur in der Unterwelt als Herrscher fortlebt, auf
Erde im Symbol des Apisstieres verehrt (daher Osor-apis). So lag es
^so nahe, bei der Umsetzung dieses unterirdisch herrschenden Wintergottes
Serapts in die griechische Anschauungsweise den Typus des Pluton zu Grunde
nu legen, sowohl im Gesichtscharakter, wie in den Attributen des Kerberos
und der Schlange. Aber das Finstere der Stirn mit dem beschattenden


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[0411] vollständig den Künstler, nur das Werk selber wirkt auf uns; beim farne- sischen Stier, beim Laokoon, mit seiner künstlichen Abstufung der Leidens¬ grade, seiner berechneten Verschlingung der drei Menschenkörper und der beiden Schlangen zu einem enggefügten Netz, da bewundern wir nicht am Wenigsten das Machwerk, stets stellen sich uns die Meister mit ihrer Kunst vor Augen. Das ist aber ein Zeichen nicht der wahren Kunst, sondern der Virtuosität. Treten wir jedoch den rhodischen Künstlern nicht zu nahe; ihre Werke nehmen immer noch eine der höchsten Stufen auf der Leiter ein, auf welcher die Kunst abwärts steigt, und was an ihnen als Fehler zu rügen ist, das sind eben nur die gemeinsamen des Geschmackes ihrer Zeit. Auf dem Gebiete der Götterbildnerei gehört die einzige wirklich bedeu¬ tende Erscheinung dieser Epoche wiederum dem freien Griechenland an. Wir Meinen das dem sog, belvederischen Apoll zu Grunde liegende Original, dessen erst seit Kurzem ermittelte kunstgeschichtliche Stellung und Bedeutung neuer¬ dings in diesen Blättern eingehend gewürdigt worden ist. Ein klein wenig Theatralisches in der Haltung abgerechnet, ist die Composition vollendet. Anlaß war das letzte Wunder, von dem die griechische Geschichte zu berichten weiß, in Delphi durch ein regelmäßig wiederkehrendes „Rettungsfest" gefeiert; es ist auch die letzte wahrhaft große Götterbildung, welche die griechische Kunst geschaffen hat. Wie armselig ist dagegen Alles, was wir sonst erblicken; Aphrodite, von einer Herrscherin der Liebe zu einem von Liebe beherrschten, wenn auch durchaus edel aufgefaßten Weibe geworden, sinkt jetzt Stufe für Stufe zu einer blos sinnlich reizenden Erscheinung, endlich gar zur niedlichen Eoquette herab. In Antiocheia begnügt man sich, die Werke älterer Meister. entweder nur zu copiren, oder durch einige theatralische Zuthat für den herr¬ schenden Geschmack zuzustutzen. In Pergamos entsteht aus dem Zeustypus durch Fortlassen der Großartigkeit und einseitiges Betonen der Milde und Gnade der dort besonders verehrte Heilgott Asklepios, wofern nicht diese Ausprägung schon früher stattgefunden hatte. Verhältnißmäßig die größte Selbständigkeit zeigt eine ägyptische Götterbildung. Die altägyptischen Götter vu't ihren Thierköpfen waren den Hellenen natürlich ein Gräuel und wurden sämmtlich umgewandelt, nur Osiris verschwand ganz und räumte dem neuen Serapis seinen Platz ein. Osiris ist der Gott der ägyptischen Natur, die er im Sommer belebt, während er im Winter einen jährlich wiederkehrenden Todesschlaf schlummert und nur in der Unterwelt als Herrscher fortlebt, auf Erde im Symbol des Apisstieres verehrt (daher Osor-apis). So lag es ^so nahe, bei der Umsetzung dieses unterirdisch herrschenden Wintergottes Serapts in die griechische Anschauungsweise den Typus des Pluton zu Grunde nu legen, sowohl im Gesichtscharakter, wie in den Attributen des Kerberos und der Schlange. Aber das Finstere der Stirn mit dem beschattenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/411>, abgerufen am 04.07.2024.