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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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nichts in den Weg, als der bemitleidenswerte Beckmesser, der dem hübschen
Ritter gewiß keine Concurrenz zu machen vermag. Im ganzen Stücke ist
keine Intrigue, keine Spannung, keine Steigerung. Nach dem eigentlich
dramatischen Element sieht man sich vergeblich um. Auf gelehrten und doch
interesselosen Kram, auf hübsche Bilder und blendende Effecte läuft zuletzt
immer Alles wieder hinaus. -- Dem Musikalischen der Oper kommen
die zahlreichen Lieder, welche der Ritter, Sachs und Beckmesser zu singen
haben, sehr zu gute. Sie hat mehr von dem, was man Melodie zu nennen
pflegt, als irgend ein anderes Werk Wagners. Aber um dieses melodiöse
Element zu erquicklicher Wirkung gelangen zu lassen, hätte der Tonsetzer sich
selbst beherrschen lernen müssen. Daß Wagner Melodien erfinden und bilden
kann, wie das Gefühl sie begehrt, beweist er mehrfach im Tannhäuser und
Lohengrin. Aber alle glücklichen Melodienanfänge verdirbt er sich alsbald
selbst, indem er sie durch geschraubte Wendungen gefühlswidrig macht, sie
streckt und dehnt und dadurch die ihnen an sich innewohnende Wirkung
hemmt; er nergelt so lange daran herum, bis sie nach seiner Ansicht originell,
nach der Anschauung Anderer manirirt geworden sind. Tritt nun zu einer
solchen Arbeit eine barocke Reimspielerei des Texts, (und das Versmaß in
den Meistersingern ist das unglücklichste, das man sich vorstellen kann) so
wird jede günstige Wirkung zum Voraus unmöglich gemacht. Die lieder¬
artigen Gesänge haben vor allem den Fehler, daß sie zu ausgedehnt und
vielstrophig und im Accompagnemenv viel zu überladen sind. In den ko¬
mischen Liedern erscheint der Componist nun gar unglücklich, denn den
Humor, den er gerne hinein bringen möchte, holt er nicht aus dem innersten
Kern und Wesen der Charaktere hervor, sondern sucht ihn vielmehr in allerlei
Aeußerlichkeiten, Läufen und Schnörkeln, die nicht mehr komisch und humo¬
ristisch, sondern trivial und karikiert sind. Die meisten der vielen hoffnungs¬
vollen Ritornelle, bei denen der Zuhörer auflebt, verlaufen in eine Täuschung.
Sie lassen uns eine erquickliche frische Melodie erwarten und diese wird im
weiteren Verlauf regelmäßig zur trügerischen Fata Morgana. Diese fort>
währenden Enttäuschungen tragen nicht wenig dazu bei. den Eindruck der
Wagnerschen Musik peinlich zu machen.

Sonst offenbart die neue Oper keinerlei Fortschritt gegen frühere Werke.
Der Gesang ist holperig, gezwungen, undankbar und äußerst schwierig. Ge¬
wöhnlich liegt der musikalische Schwerpunkt im Orchester, dessen Aufgabe
im höchsten Grade complicirt und sehr schwer ausführbar ist. Die Streich¬
instrumente gelangen selten zu einem frischen, frohen Klang, die Holzbläser
mühen sich ab, ungewöhnliche Schattirungen hervorzubringen, die Blechin¬
strumente treten in bekannter Weise und mit bekannt anklingenden Sätzen
häufig schroff ein und geben der sonst so raffinirten Jnstrumentation nur all-


nichts in den Weg, als der bemitleidenswerte Beckmesser, der dem hübschen
Ritter gewiß keine Concurrenz zu machen vermag. Im ganzen Stücke ist
keine Intrigue, keine Spannung, keine Steigerung. Nach dem eigentlich
dramatischen Element sieht man sich vergeblich um. Auf gelehrten und doch
interesselosen Kram, auf hübsche Bilder und blendende Effecte läuft zuletzt
immer Alles wieder hinaus. — Dem Musikalischen der Oper kommen
die zahlreichen Lieder, welche der Ritter, Sachs und Beckmesser zu singen
haben, sehr zu gute. Sie hat mehr von dem, was man Melodie zu nennen
pflegt, als irgend ein anderes Werk Wagners. Aber um dieses melodiöse
Element zu erquicklicher Wirkung gelangen zu lassen, hätte der Tonsetzer sich
selbst beherrschen lernen müssen. Daß Wagner Melodien erfinden und bilden
kann, wie das Gefühl sie begehrt, beweist er mehrfach im Tannhäuser und
Lohengrin. Aber alle glücklichen Melodienanfänge verdirbt er sich alsbald
selbst, indem er sie durch geschraubte Wendungen gefühlswidrig macht, sie
streckt und dehnt und dadurch die ihnen an sich innewohnende Wirkung
hemmt; er nergelt so lange daran herum, bis sie nach seiner Ansicht originell,
nach der Anschauung Anderer manirirt geworden sind. Tritt nun zu einer
solchen Arbeit eine barocke Reimspielerei des Texts, (und das Versmaß in
den Meistersingern ist das unglücklichste, das man sich vorstellen kann) so
wird jede günstige Wirkung zum Voraus unmöglich gemacht. Die lieder¬
artigen Gesänge haben vor allem den Fehler, daß sie zu ausgedehnt und
vielstrophig und im Accompagnemenv viel zu überladen sind. In den ko¬
mischen Liedern erscheint der Componist nun gar unglücklich, denn den
Humor, den er gerne hinein bringen möchte, holt er nicht aus dem innersten
Kern und Wesen der Charaktere hervor, sondern sucht ihn vielmehr in allerlei
Aeußerlichkeiten, Läufen und Schnörkeln, die nicht mehr komisch und humo¬
ristisch, sondern trivial und karikiert sind. Die meisten der vielen hoffnungs¬
vollen Ritornelle, bei denen der Zuhörer auflebt, verlaufen in eine Täuschung.
Sie lassen uns eine erquickliche frische Melodie erwarten und diese wird im
weiteren Verlauf regelmäßig zur trügerischen Fata Morgana. Diese fort>
währenden Enttäuschungen tragen nicht wenig dazu bei. den Eindruck der
Wagnerschen Musik peinlich zu machen.

Sonst offenbart die neue Oper keinerlei Fortschritt gegen frühere Werke.
Der Gesang ist holperig, gezwungen, undankbar und äußerst schwierig. Ge¬
wöhnlich liegt der musikalische Schwerpunkt im Orchester, dessen Aufgabe
im höchsten Grade complicirt und sehr schwer ausführbar ist. Die Streich¬
instrumente gelangen selten zu einem frischen, frohen Klang, die Holzbläser
mühen sich ab, ungewöhnliche Schattirungen hervorzubringen, die Blechin¬
strumente treten in bekannter Weise und mit bekannt anklingenden Sätzen
häufig schroff ein und geben der sonst so raffinirten Jnstrumentation nur all-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/39>, abgerufen am 30.06.2024.