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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Die Handlung der Meistersinger ist unendlich einfach. Vier Personen
theilen sich in die Hauptpartien: Eva (Sopran), Walther von Stolzing
(Tenor), Beckmesser (Baßbuffo) und Hans Sachs (Baß). Neben ihnen
gewinnen noch einige Bedeutung Magdalen e (Sopran), Evas Amme, ver¬
liebt in den Lehrburschen David (Tenor) und Pogner, Evas Bater.
Walther und Eva lieben sich; ihrer Verbindung steht jedoch eine Zusage
Pogners entgegen, wornach Eva demjenigen als Preis zu Theil werden soll,
der im Meistersang den Sieg davon tragen wird. Im übrigen ist Pogner
kein harter Vater. Er hat nichts gegen die Heirath seiner Tochter mit
Walther, ja er wünscht sie sogar, fühlt sich durch sie geschmeichelt, und um
sein einziges geliebtes Kind durch sein Versprechen ja nicht unglücklich zu
machen, fügt er ihm vorsichtig die Klausel hinzu, daß Eva den Sieger nur
dann nehmen solle, wenn er ihr auch gefiele. Das hübsche Mädchen wird
nun aber auch noch von dem Stadtschreiber Beckmesser zärtlich angebetet,
einem dummen, groben, häßlichen alten Gesellen. Hans Sachs hat im ganzen
Stücke nichts zu thun als Moral zu predigen, lange Reden zu halten, gute
Lehren zu geben. Er beschützt zugleich die Liebe der- beiden jungen Leutchen,
ärgert den albernen Merker Beckmeßer und nimmt außerdem die Verehrung
der Bewohner Nürnbergs mit Rührung entgegen. Er ist wie jedermännig-
lich bekannt, der seit dem Jahre 1513, wo er seine erste Bar dichtete, bis zu
seinem Tode ein Mann, der über 6000 Gedichte (eine halbe Million Verse)
gemacht hat, als Sohn eines Schneiders S. Nov. 1494 in Nürnberg geboren
war, und als Schuster am 20. Jan. 1876 daselbst verstarb. Sein Charakter
ist sanft, schwärmerisch, edel; im entscheidenden Moment findet er wohl ein
kräftiges Wort, aber da er persönlich gar nichts thut und bedeutet, in die
Handlung kaum eingreift, so vermag er auch kein wachhaltiges Interesse zu
erregen, vielmehr möchte man ihm häufig wünschen, daß er mit seiner Red¬
seligkeit besser haushielte. Noch unbedeutender ist die Rolle, welche die übrigen
zehn Meistersinger finden. Sie sind nur Staffage und könnten ebenso gut
fehlen. Wenn sie nicht im ersten Akt die Kosten der Unterhaltung trügen, so
könnte man das Stück ebenso gut Walther und Eva betiteln. Der Dichter
hat sein eigentliches Thema, das komisch-humoristische Element, das in der
engherzigen spießbürgerlichen Meistersingerei liegt, nicht genugsam auszubeuten
verstanden. Walther und Eva sind beide junge, hübsche, aber höchst über¬
spannte Personen, die jenes bekannte hhperideale Gepräge aller Wagnerschen
Liebesleute tragen, immer schmachten, seufzen und verzückt sind, sich entweder
regungslos anstarren oder in Küssen und UmHälsen untergehen. Unnatür¬
lichere, geschraubtere Charaktere sind kaum denkbar. Von der ersten Scene
an weiß jeder Zuschauer, daß sie Braut und Bräutigam sein werden, ehe
der Vorhang zum letzten Male fällt und wirklich legt sich ihren Wünschen


Die Handlung der Meistersinger ist unendlich einfach. Vier Personen
theilen sich in die Hauptpartien: Eva (Sopran), Walther von Stolzing
(Tenor), Beckmesser (Baßbuffo) und Hans Sachs (Baß). Neben ihnen
gewinnen noch einige Bedeutung Magdalen e (Sopran), Evas Amme, ver¬
liebt in den Lehrburschen David (Tenor) und Pogner, Evas Bater.
Walther und Eva lieben sich; ihrer Verbindung steht jedoch eine Zusage
Pogners entgegen, wornach Eva demjenigen als Preis zu Theil werden soll,
der im Meistersang den Sieg davon tragen wird. Im übrigen ist Pogner
kein harter Vater. Er hat nichts gegen die Heirath seiner Tochter mit
Walther, ja er wünscht sie sogar, fühlt sich durch sie geschmeichelt, und um
sein einziges geliebtes Kind durch sein Versprechen ja nicht unglücklich zu
machen, fügt er ihm vorsichtig die Klausel hinzu, daß Eva den Sieger nur
dann nehmen solle, wenn er ihr auch gefiele. Das hübsche Mädchen wird
nun aber auch noch von dem Stadtschreiber Beckmesser zärtlich angebetet,
einem dummen, groben, häßlichen alten Gesellen. Hans Sachs hat im ganzen
Stücke nichts zu thun als Moral zu predigen, lange Reden zu halten, gute
Lehren zu geben. Er beschützt zugleich die Liebe der- beiden jungen Leutchen,
ärgert den albernen Merker Beckmeßer und nimmt außerdem die Verehrung
der Bewohner Nürnbergs mit Rührung entgegen. Er ist wie jedermännig-
lich bekannt, der seit dem Jahre 1513, wo er seine erste Bar dichtete, bis zu
seinem Tode ein Mann, der über 6000 Gedichte (eine halbe Million Verse)
gemacht hat, als Sohn eines Schneiders S. Nov. 1494 in Nürnberg geboren
war, und als Schuster am 20. Jan. 1876 daselbst verstarb. Sein Charakter
ist sanft, schwärmerisch, edel; im entscheidenden Moment findet er wohl ein
kräftiges Wort, aber da er persönlich gar nichts thut und bedeutet, in die
Handlung kaum eingreift, so vermag er auch kein wachhaltiges Interesse zu
erregen, vielmehr möchte man ihm häufig wünschen, daß er mit seiner Red¬
seligkeit besser haushielte. Noch unbedeutender ist die Rolle, welche die übrigen
zehn Meistersinger finden. Sie sind nur Staffage und könnten ebenso gut
fehlen. Wenn sie nicht im ersten Akt die Kosten der Unterhaltung trügen, so
könnte man das Stück ebenso gut Walther und Eva betiteln. Der Dichter
hat sein eigentliches Thema, das komisch-humoristische Element, das in der
engherzigen spießbürgerlichen Meistersingerei liegt, nicht genugsam auszubeuten
verstanden. Walther und Eva sind beide junge, hübsche, aber höchst über¬
spannte Personen, die jenes bekannte hhperideale Gepräge aller Wagnerschen
Liebesleute tragen, immer schmachten, seufzen und verzückt sind, sich entweder
regungslos anstarren oder in Küssen und UmHälsen untergehen. Unnatür¬
lichere, geschraubtere Charaktere sind kaum denkbar. Von der ersten Scene
an weiß jeder Zuschauer, daß sie Braut und Bräutigam sein werden, ehe
der Vorhang zum letzten Male fällt und wirklich legt sich ihren Wünschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/38>, abgerufen am 30.06.2024.