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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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whigistischer Wahlreden geworden. Die Fenier haben sich zum Nutzen der
irischen Sache stiller gehalten, als im vorigen Monat, und die Mittheilungen,
welche die Lia^etes as ?rare<z über ein gegen das Leben der Königin ge¬
richtetes fenisches Complott gebracht hatte, haben sich als völlig irrthümlich
^wiesen.

Im europäischen Südwesten haben sich die Dinge seit den letzten Wochen
nicht verändert. In Italien droht der Streit zwischen den alten Rivalen
Lamormora und Cialdini die letzten Bande der Disciplin aufzulösen, durch
welche die Officierscorps der Armee zusammengehalten werden, und haben
die Politisch-militärischen Duelle sich so rasch vermehrt, daß der Kriegsminister
zu directem Einschreiten veranlaßt wurde. Das Ministerium ist aus dem
Kampf um das Tabaksmonopol nur mit Noth und Mühe lebendig hervor'
^gangen. Auch der Schluß des Parlaments wird die Schwierigkeiten mit
denen es zu ringen hat nicht mindern, denn die Anarchie, welche sich über alle
Theile der Halbinsel erstreckt, bedroht die Existenz des Staats, während die Oppo¬
sition es nur mit den jeweiligen Repräsentanten desselben zu thun hat. Rom
Wird mit einem Festungs-Dreieck umgeben, hinter welchem die drei Todfeinde
der Schöpfung Eavours, das Papstthum, der bourbonische Legitimismus und
die französische Besatzung ihre Ränke spinnen und der neunte Pius zu der
großen ökumenischen Kirchenversammlung Vorbereitungen trifft, mit welcher er
die Führung seines Apostelamts krönen und abschließen will. Der in Rom
verschanzte Legitimismus fühlt sich bereits als unabhängige Großmacht, und
hat allen pariser Warnungen zum Trotz auch das Haupt der Bourbonen,
den Grafen von Chambord eingeladen, die ewige Stadt zu seinem Wohnsitz
in nehmen. In Florenz weiß man sich dagegen von dem bon Mihir des
französischen Kaisers zu abhängig, um auch nur den Schatten eines eignen
Willens wahren zu können. Allen Wünschen der Italiener zum Trotz ist
Herr Malaret auf seinem Posten geblieben und hat man sich seiner Mittler-
Schaft bedienen müssen, um die von Paris angeordnete neue Schuldencon-
dention mit der römischen Curie abzuschließen.

Der tiefe Verfall, in welchen die Völker der romanischen Race versunken
se"d, wird aber nicht nur durch die neuitalienischen Zustände illustrirt.
Während diese den Beweis führen, daß einer verkommenen Nation durch Ver¬
jüngung der staatlichen Formen und Unterordnung unter die Zeitideen noch nicht
geholfen ist, sehen wir Spanien noch unter der Last der verrotteten Zustände
Zusammenbrechen, durch deren Abwerfung Italien vergeblich sich retten zu können
glaubte. So widersprechend und verschwommen auch die Berichte lauten, welche
französische, deutsche und englische Zeitungen aus Madrid bringen, so wenig es sich
on den früheren Nachrichten reimen will, wenn (wie neuerdings durch die
Kölnische Zeitung geschehen) die bevorstehende Bildung eines liberalen Mi-


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whigistischer Wahlreden geworden. Die Fenier haben sich zum Nutzen der
irischen Sache stiller gehalten, als im vorigen Monat, und die Mittheilungen,
welche die Lia^etes as ?rare<z über ein gegen das Leben der Königin ge¬
richtetes fenisches Complott gebracht hatte, haben sich als völlig irrthümlich
^wiesen.

Im europäischen Südwesten haben sich die Dinge seit den letzten Wochen
nicht verändert. In Italien droht der Streit zwischen den alten Rivalen
Lamormora und Cialdini die letzten Bande der Disciplin aufzulösen, durch
welche die Officierscorps der Armee zusammengehalten werden, und haben
die Politisch-militärischen Duelle sich so rasch vermehrt, daß der Kriegsminister
zu directem Einschreiten veranlaßt wurde. Das Ministerium ist aus dem
Kampf um das Tabaksmonopol nur mit Noth und Mühe lebendig hervor'
^gangen. Auch der Schluß des Parlaments wird die Schwierigkeiten mit
denen es zu ringen hat nicht mindern, denn die Anarchie, welche sich über alle
Theile der Halbinsel erstreckt, bedroht die Existenz des Staats, während die Oppo¬
sition es nur mit den jeweiligen Repräsentanten desselben zu thun hat. Rom
Wird mit einem Festungs-Dreieck umgeben, hinter welchem die drei Todfeinde
der Schöpfung Eavours, das Papstthum, der bourbonische Legitimismus und
die französische Besatzung ihre Ränke spinnen und der neunte Pius zu der
großen ökumenischen Kirchenversammlung Vorbereitungen trifft, mit welcher er
die Führung seines Apostelamts krönen und abschließen will. Der in Rom
verschanzte Legitimismus fühlt sich bereits als unabhängige Großmacht, und
hat allen pariser Warnungen zum Trotz auch das Haupt der Bourbonen,
den Grafen von Chambord eingeladen, die ewige Stadt zu seinem Wohnsitz
in nehmen. In Florenz weiß man sich dagegen von dem bon Mihir des
französischen Kaisers zu abhängig, um auch nur den Schatten eines eignen
Willens wahren zu können. Allen Wünschen der Italiener zum Trotz ist
Herr Malaret auf seinem Posten geblieben und hat man sich seiner Mittler-
Schaft bedienen müssen, um die von Paris angeordnete neue Schuldencon-
dention mit der römischen Curie abzuschließen.

Der tiefe Verfall, in welchen die Völker der romanischen Race versunken
se"d, wird aber nicht nur durch die neuitalienischen Zustände illustrirt.
Während diese den Beweis führen, daß einer verkommenen Nation durch Ver¬
jüngung der staatlichen Formen und Unterordnung unter die Zeitideen noch nicht
geholfen ist, sehen wir Spanien noch unter der Last der verrotteten Zustände
Zusammenbrechen, durch deren Abwerfung Italien vergeblich sich retten zu können
glaubte. So widersprechend und verschwommen auch die Berichte lauten, welche
französische, deutsche und englische Zeitungen aus Madrid bringen, so wenig es sich
on den früheren Nachrichten reimen will, wenn (wie neuerdings durch die
Kölnische Zeitung geschehen) die bevorstehende Bildung eines liberalen Mi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/381>, abgerufen am 04.07.2024.