Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

satt", sagt der Dichter, und die schönste Decoration, die prachtvollste Aus-
stattung hat ihren Reiz verloren, sobald man sie einmal gesehen'hat. Nach
großen für Nebendinge gemachten. Anstrengungen erwartet man um so mehr
von der Musik und der Handlung.

Versuchen wir es, zunächst den äußern Eindruck, den die Meistersinger
machen, zu schildern. Der erste Akt spielt in einer Kirche. Die Decoration
ist sehr hübsch, hat aber nichts Außerordentliches. Bewundernswürdig ist
freilich die Sorgfalt, mit der die Costüme der Kirchengänger hergestellt sind,
aber unendlich ermüdend ist das Treiben der Lehrburschen, die in einer fort¬
während hüpfenden Bewegung sind, ohne daß für dieselbe ein Grund einzu¬
sehen wäre. Sobald sich beim zweiten Akt der Vorhang hebt, stoßen alle
Zuschauer bewundernde Rufe aus. Die Straßendecoration ist ebenso neu
als überraschend schön. Man blickt in eine jener alterthümlichen, unendlich
malerischen engen Gassen Nürnbergs. Die wechselnde Beleuchtung vom
hereinbrechenden Abend bis zur völligen Nacht und endlichem Mondaufgang,
gewähren einige Unterhaltung, vermögen jedoch nicht vor dem Wunsche zu
bewahren, in diesem Rahmen ein anziehendes Bild zu sehen. Der Akt endet
mit einer nächtlichen Rauferei, die sehr geschickt in Scene gesetzt ist, aber in
tollem Tonlärm ganz untergeht, musikalisch mithin nichts bietet. Der dritte
Akt führt uns zuerst in H. Sachsens bescheidene Werkstätte und dann nach
einer raschen Verwandlung plötzlich in das reich bewegte Volksleben des
Johannisfestes auf einer Wiese an der Pegnitz mit entzückender Fernsicht auf
das alte Nürnberg. Das Arrangement dieser Scenerie ist unbeschreiblich
prächtig und anziehend. Das Auge, fortwährend beschäftigt, lenkt uns lange
von der Musik ab. Man vermag die rascher sich drängenden Bilder kaum
zu. überblicken. Aufzüge, Tänze. Gruppen, wie sie bunter und bewegter nicht
gedacht werden können, zaubern uns lebendige Volksscenen des 16. Jahrhunderts
vor. Dieser Theil ist zum Glücke kurz, auch musikalisch nicht ohne alles
Interesse und so gewinnt die Oper mit ihm wenigstens einen versöhnenden
Abschluß. Trotzdem fühlen wir uns, nachdem wir fünf Stunden vor dem
Werke gesessen und manches Schöne gesehen und gehört haben, im höchsten
Grade ermüdet, erschöpft, abgespannt, -- im völligen Gegensatz zu der
Stimmung, mit welcher uns die Classiker entlassen. Etliche verglichen ihre
Empfindung während der folgenden Nacht mit der eines Reisenden, der see-
krank ein schwankendes Schiff verlassen hat und nun fortdauernd noch den
unsichern Boden des feuchten Elementes unter seinen Füßen zu haben wähnt.
Soll und darf eine Oper, insbesondere eine komische Oper, eine solche Wir¬
kung üben? und was nehmen wir aus einer derartigen Vorstellung mit
uns? Wo wird die zweite Bühne zu finden sein, die an ein so undankbares
Werk ungeheure Kosten, unendliche Mühe verwendet?


4"

satt", sagt der Dichter, und die schönste Decoration, die prachtvollste Aus-
stattung hat ihren Reiz verloren, sobald man sie einmal gesehen'hat. Nach
großen für Nebendinge gemachten. Anstrengungen erwartet man um so mehr
von der Musik und der Handlung.

Versuchen wir es, zunächst den äußern Eindruck, den die Meistersinger
machen, zu schildern. Der erste Akt spielt in einer Kirche. Die Decoration
ist sehr hübsch, hat aber nichts Außerordentliches. Bewundernswürdig ist
freilich die Sorgfalt, mit der die Costüme der Kirchengänger hergestellt sind,
aber unendlich ermüdend ist das Treiben der Lehrburschen, die in einer fort¬
während hüpfenden Bewegung sind, ohne daß für dieselbe ein Grund einzu¬
sehen wäre. Sobald sich beim zweiten Akt der Vorhang hebt, stoßen alle
Zuschauer bewundernde Rufe aus. Die Straßendecoration ist ebenso neu
als überraschend schön. Man blickt in eine jener alterthümlichen, unendlich
malerischen engen Gassen Nürnbergs. Die wechselnde Beleuchtung vom
hereinbrechenden Abend bis zur völligen Nacht und endlichem Mondaufgang,
gewähren einige Unterhaltung, vermögen jedoch nicht vor dem Wunsche zu
bewahren, in diesem Rahmen ein anziehendes Bild zu sehen. Der Akt endet
mit einer nächtlichen Rauferei, die sehr geschickt in Scene gesetzt ist, aber in
tollem Tonlärm ganz untergeht, musikalisch mithin nichts bietet. Der dritte
Akt führt uns zuerst in H. Sachsens bescheidene Werkstätte und dann nach
einer raschen Verwandlung plötzlich in das reich bewegte Volksleben des
Johannisfestes auf einer Wiese an der Pegnitz mit entzückender Fernsicht auf
das alte Nürnberg. Das Arrangement dieser Scenerie ist unbeschreiblich
prächtig und anziehend. Das Auge, fortwährend beschäftigt, lenkt uns lange
von der Musik ab. Man vermag die rascher sich drängenden Bilder kaum
zu. überblicken. Aufzüge, Tänze. Gruppen, wie sie bunter und bewegter nicht
gedacht werden können, zaubern uns lebendige Volksscenen des 16. Jahrhunderts
vor. Dieser Theil ist zum Glücke kurz, auch musikalisch nicht ohne alles
Interesse und so gewinnt die Oper mit ihm wenigstens einen versöhnenden
Abschluß. Trotzdem fühlen wir uns, nachdem wir fünf Stunden vor dem
Werke gesessen und manches Schöne gesehen und gehört haben, im höchsten
Grade ermüdet, erschöpft, abgespannt, — im völligen Gegensatz zu der
Stimmung, mit welcher uns die Classiker entlassen. Etliche verglichen ihre
Empfindung während der folgenden Nacht mit der eines Reisenden, der see-
krank ein schwankendes Schiff verlassen hat und nun fortdauernd noch den
unsichern Boden des feuchten Elementes unter seinen Füßen zu haben wähnt.
Soll und darf eine Oper, insbesondere eine komische Oper, eine solche Wir¬
kung üben? und was nehmen wir aus einer derartigen Vorstellung mit
uns? Wo wird die zweite Bühne zu finden sein, die an ein so undankbares
Werk ungeheure Kosten, unendliche Mühe verwendet?


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286749"/>
            <p xml:id="ID_69" prev="#ID_68"> satt", sagt der Dichter, und die schönste Decoration, die prachtvollste Aus-<lb/>
stattung hat ihren Reiz verloren, sobald man sie einmal gesehen'hat. Nach<lb/>
großen für Nebendinge gemachten. Anstrengungen erwartet man um so mehr<lb/>
von der Musik und der Handlung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_70"> Versuchen wir es, zunächst den äußern Eindruck, den die Meistersinger<lb/>
machen, zu schildern. Der erste Akt spielt in einer Kirche. Die Decoration<lb/>
ist sehr hübsch, hat aber nichts Außerordentliches. Bewundernswürdig ist<lb/>
freilich die Sorgfalt, mit der die Costüme der Kirchengänger hergestellt sind,<lb/>
aber unendlich ermüdend ist das Treiben der Lehrburschen, die in einer fort¬<lb/>
während hüpfenden Bewegung sind, ohne daß für dieselbe ein Grund einzu¬<lb/>
sehen wäre. Sobald sich beim zweiten Akt der Vorhang hebt, stoßen alle<lb/>
Zuschauer bewundernde Rufe aus. Die Straßendecoration ist ebenso neu<lb/>
als überraschend schön. Man blickt in eine jener alterthümlichen, unendlich<lb/>
malerischen engen Gassen Nürnbergs. Die wechselnde Beleuchtung vom<lb/>
hereinbrechenden Abend bis zur völligen Nacht und endlichem Mondaufgang,<lb/>
gewähren einige Unterhaltung, vermögen jedoch nicht vor dem Wunsche zu<lb/>
bewahren, in diesem Rahmen ein anziehendes Bild zu sehen. Der Akt endet<lb/>
mit einer nächtlichen Rauferei, die sehr geschickt in Scene gesetzt ist, aber in<lb/>
tollem Tonlärm ganz untergeht, musikalisch mithin nichts bietet. Der dritte<lb/>
Akt führt uns zuerst in H. Sachsens bescheidene Werkstätte und dann nach<lb/>
einer raschen Verwandlung plötzlich in das reich bewegte Volksleben des<lb/>
Johannisfestes auf einer Wiese an der Pegnitz mit entzückender Fernsicht auf<lb/>
das alte Nürnberg. Das Arrangement dieser Scenerie ist unbeschreiblich<lb/>
prächtig und anziehend. Das Auge, fortwährend beschäftigt, lenkt uns lange<lb/>
von der Musik ab. Man vermag die rascher sich drängenden Bilder kaum<lb/>
zu. überblicken. Aufzüge, Tänze. Gruppen, wie sie bunter und bewegter nicht<lb/>
gedacht werden können, zaubern uns lebendige Volksscenen des 16. Jahrhunderts<lb/>
vor. Dieser Theil ist zum Glücke kurz, auch musikalisch nicht ohne alles<lb/>
Interesse und so gewinnt die Oper mit ihm wenigstens einen versöhnenden<lb/>
Abschluß. Trotzdem fühlen wir uns, nachdem wir fünf Stunden vor dem<lb/>
Werke gesessen und manches Schöne gesehen und gehört haben, im höchsten<lb/>
Grade ermüdet, erschöpft, abgespannt, &#x2014; im völligen Gegensatz zu der<lb/>
Stimmung, mit welcher uns die Classiker entlassen. Etliche verglichen ihre<lb/>
Empfindung während der folgenden Nacht mit der eines Reisenden, der see-<lb/>
krank ein schwankendes Schiff verlassen hat und nun fortdauernd noch den<lb/>
unsichern Boden des feuchten Elementes unter seinen Füßen zu haben wähnt.<lb/>
Soll und darf eine Oper, insbesondere eine komische Oper, eine solche Wir¬<lb/>
kung üben? und was nehmen wir aus einer derartigen Vorstellung mit<lb/>
uns? Wo wird die zweite Bühne zu finden sein, die an ein so undankbares<lb/>
Werk ungeheure Kosten, unendliche Mühe verwendet?</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"></fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] satt", sagt der Dichter, und die schönste Decoration, die prachtvollste Aus- stattung hat ihren Reiz verloren, sobald man sie einmal gesehen'hat. Nach großen für Nebendinge gemachten. Anstrengungen erwartet man um so mehr von der Musik und der Handlung. Versuchen wir es, zunächst den äußern Eindruck, den die Meistersinger machen, zu schildern. Der erste Akt spielt in einer Kirche. Die Decoration ist sehr hübsch, hat aber nichts Außerordentliches. Bewundernswürdig ist freilich die Sorgfalt, mit der die Costüme der Kirchengänger hergestellt sind, aber unendlich ermüdend ist das Treiben der Lehrburschen, die in einer fort¬ während hüpfenden Bewegung sind, ohne daß für dieselbe ein Grund einzu¬ sehen wäre. Sobald sich beim zweiten Akt der Vorhang hebt, stoßen alle Zuschauer bewundernde Rufe aus. Die Straßendecoration ist ebenso neu als überraschend schön. Man blickt in eine jener alterthümlichen, unendlich malerischen engen Gassen Nürnbergs. Die wechselnde Beleuchtung vom hereinbrechenden Abend bis zur völligen Nacht und endlichem Mondaufgang, gewähren einige Unterhaltung, vermögen jedoch nicht vor dem Wunsche zu bewahren, in diesem Rahmen ein anziehendes Bild zu sehen. Der Akt endet mit einer nächtlichen Rauferei, die sehr geschickt in Scene gesetzt ist, aber in tollem Tonlärm ganz untergeht, musikalisch mithin nichts bietet. Der dritte Akt führt uns zuerst in H. Sachsens bescheidene Werkstätte und dann nach einer raschen Verwandlung plötzlich in das reich bewegte Volksleben des Johannisfestes auf einer Wiese an der Pegnitz mit entzückender Fernsicht auf das alte Nürnberg. Das Arrangement dieser Scenerie ist unbeschreiblich prächtig und anziehend. Das Auge, fortwährend beschäftigt, lenkt uns lange von der Musik ab. Man vermag die rascher sich drängenden Bilder kaum zu. überblicken. Aufzüge, Tänze. Gruppen, wie sie bunter und bewegter nicht gedacht werden können, zaubern uns lebendige Volksscenen des 16. Jahrhunderts vor. Dieser Theil ist zum Glücke kurz, auch musikalisch nicht ohne alles Interesse und so gewinnt die Oper mit ihm wenigstens einen versöhnenden Abschluß. Trotzdem fühlen wir uns, nachdem wir fünf Stunden vor dem Werke gesessen und manches Schöne gesehen und gehört haben, im höchsten Grade ermüdet, erschöpft, abgespannt, — im völligen Gegensatz zu der Stimmung, mit welcher uns die Classiker entlassen. Etliche verglichen ihre Empfindung während der folgenden Nacht mit der eines Reisenden, der see- krank ein schwankendes Schiff verlassen hat und nun fortdauernd noch den unsichern Boden des feuchten Elementes unter seinen Füßen zu haben wähnt. Soll und darf eine Oper, insbesondere eine komische Oper, eine solche Wir¬ kung üben? und was nehmen wir aus einer derartigen Vorstellung mit uns? Wo wird die zweite Bühne zu finden sein, die an ein so undankbares Werk ungeheure Kosten, unendliche Mühe verwendet? 4»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/37
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/37>, abgerufen am 28.09.2024.