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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Thatlosigkeit, in der wir Deutsche uns in Hinsicht der komischen Oper so
lange schon befinden, erschließt der national-deutschen komischen Oper ein neues,
kaum geahntes Gebiet und vollbringt hierdurch eine That, deren Tragweite
von höchster Bedeutung für die Entwicklung des Musikdramas ist." -- Sehen
wir die Sache selber an. Was Ausstattung und Jnscenirung seiner Opern an¬
langt, übertrifft Wagner alle seine Vorgänger. Decorationen und Costüme
sind im Textbuch mit größter Genauigkeit angegeben, alle scenischen Verände¬
rungen sorgfältig besprochen; auf in die Augen springende Aeußerlichkeiten
z. B. Aufzüge, rasch in einander greifende Situationen u. s. w. ist überra¬
schender Fleiß verwendet. Kein anderer Componist -- Meyrbeer vielleicht
ausgenommen, hat je den Muth gehabt, solche Ansprüche an die Ausstattung
seiner Werke zu erheben. Er stellt Forderungen, die alles bisher gekannte
Maß ins Unglaubliche übersteigen. Er überwacht persönlich mit rastlosem
Eifer alle Vorbereitungen und widmet selbst dem Unbedeutendsten eingehende
Aufmerksamkeit. Aber eben in dieser Sorge für Nebendinge erkennen wir
eine der Schwerpunkte, in die er das Gelingen seiner Werke verlegt. Ver¬
gleicht man die Einfachheit, mit der Mozarts, Webers, Spohrs Opern bei
ihren ersten Aufführungen ausgestattet waren; eine neue Zimmer- oder
Saaldeeoration, eine Waldgegend, eine Felsenschlucht und dergleichen war
das Höchste, wozu sich eine Direktion bei der Jnscenirung neuer Werke sonst
verstand. Sie sollten durch ihre Musik, durch ihren inneren Gehalt wirken.
Und siehe da, sie gefielen. Man ging begeistert, beseligt, trunken von Ent¬
zücken von ihnen hinweg; man erwartete ungeduldig ihre Wiederholung; man
fühlte sich nach einem solchen Kunstgenuß erhoben, gekräftigt angeregt. Aller¬
dings deckt die beste Musik grobe Mängel des Libretto's nicht ganz und um¬
gekehrt vermag das beste Textbuch eine interesselose Musik nicht zu retten;
ebenso wenig aber wird eine nur charakteristische oder dramatische Musik, der es
an fließendem schönen Gesang mangelte die allgemeine Aufnahme eines Werkes
gelingen lassen. Nun sollen wohl in einer Oper alle Künste zu schönem,
wünschenslverthem Erfolge einträchtig zusammen wirken. Zu einer fesselnden,
spannenden Handlung, die wohlgegliedert und künstlich wirkungsvoll gestaltet
ist und in schöner Sprachesich darstellen soll, hat eine entsprechende, charakte¬
ristische, tiefe und doch schöne und verständliche Musik zu treten. Die Künste
der Sänger und Darsteller, die Geschicklichkeit der Maler, die Kenntniß des
Costümiers, Alles soll sich vereinen, um lohnende Erfolge zu erzielen. Es
wäre unrichtig, wenn ein Tonsetzer solche Nebendinge völlig außer Acht
lassen wollte, und wir wissen, welches Gewicht z. B. Gluck und andere Mei¬
ster auf dieselben legten. Aber man darf sie nicht zur Hauptsache machen,
und am allerwenigstens darf der Zuhörer die Absicht, durch sie bestochen
werden zu sollen, durchfühlen. "Man sieht sich bald an Feld und Bäumen


Thatlosigkeit, in der wir Deutsche uns in Hinsicht der komischen Oper so
lange schon befinden, erschließt der national-deutschen komischen Oper ein neues,
kaum geahntes Gebiet und vollbringt hierdurch eine That, deren Tragweite
von höchster Bedeutung für die Entwicklung des Musikdramas ist." — Sehen
wir die Sache selber an. Was Ausstattung und Jnscenirung seiner Opern an¬
langt, übertrifft Wagner alle seine Vorgänger. Decorationen und Costüme
sind im Textbuch mit größter Genauigkeit angegeben, alle scenischen Verände¬
rungen sorgfältig besprochen; auf in die Augen springende Aeußerlichkeiten
z. B. Aufzüge, rasch in einander greifende Situationen u. s. w. ist überra¬
schender Fleiß verwendet. Kein anderer Componist — Meyrbeer vielleicht
ausgenommen, hat je den Muth gehabt, solche Ansprüche an die Ausstattung
seiner Werke zu erheben. Er stellt Forderungen, die alles bisher gekannte
Maß ins Unglaubliche übersteigen. Er überwacht persönlich mit rastlosem
Eifer alle Vorbereitungen und widmet selbst dem Unbedeutendsten eingehende
Aufmerksamkeit. Aber eben in dieser Sorge für Nebendinge erkennen wir
eine der Schwerpunkte, in die er das Gelingen seiner Werke verlegt. Ver¬
gleicht man die Einfachheit, mit der Mozarts, Webers, Spohrs Opern bei
ihren ersten Aufführungen ausgestattet waren; eine neue Zimmer- oder
Saaldeeoration, eine Waldgegend, eine Felsenschlucht und dergleichen war
das Höchste, wozu sich eine Direktion bei der Jnscenirung neuer Werke sonst
verstand. Sie sollten durch ihre Musik, durch ihren inneren Gehalt wirken.
Und siehe da, sie gefielen. Man ging begeistert, beseligt, trunken von Ent¬
zücken von ihnen hinweg; man erwartete ungeduldig ihre Wiederholung; man
fühlte sich nach einem solchen Kunstgenuß erhoben, gekräftigt angeregt. Aller¬
dings deckt die beste Musik grobe Mängel des Libretto's nicht ganz und um¬
gekehrt vermag das beste Textbuch eine interesselose Musik nicht zu retten;
ebenso wenig aber wird eine nur charakteristische oder dramatische Musik, der es
an fließendem schönen Gesang mangelte die allgemeine Aufnahme eines Werkes
gelingen lassen. Nun sollen wohl in einer Oper alle Künste zu schönem,
wünschenslverthem Erfolge einträchtig zusammen wirken. Zu einer fesselnden,
spannenden Handlung, die wohlgegliedert und künstlich wirkungsvoll gestaltet
ist und in schöner Sprachesich darstellen soll, hat eine entsprechende, charakte¬
ristische, tiefe und doch schöne und verständliche Musik zu treten. Die Künste
der Sänger und Darsteller, die Geschicklichkeit der Maler, die Kenntniß des
Costümiers, Alles soll sich vereinen, um lohnende Erfolge zu erzielen. Es
wäre unrichtig, wenn ein Tonsetzer solche Nebendinge völlig außer Acht
lassen wollte, und wir wissen, welches Gewicht z. B. Gluck und andere Mei¬
ster auf dieselben legten. Aber man darf sie nicht zur Hauptsache machen,
und am allerwenigstens darf der Zuhörer die Absicht, durch sie bestochen
werden zu sollen, durchfühlen. „Man sieht sich bald an Feld und Bäumen


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[0036] Thatlosigkeit, in der wir Deutsche uns in Hinsicht der komischen Oper so lange schon befinden, erschließt der national-deutschen komischen Oper ein neues, kaum geahntes Gebiet und vollbringt hierdurch eine That, deren Tragweite von höchster Bedeutung für die Entwicklung des Musikdramas ist." — Sehen wir die Sache selber an. Was Ausstattung und Jnscenirung seiner Opern an¬ langt, übertrifft Wagner alle seine Vorgänger. Decorationen und Costüme sind im Textbuch mit größter Genauigkeit angegeben, alle scenischen Verände¬ rungen sorgfältig besprochen; auf in die Augen springende Aeußerlichkeiten z. B. Aufzüge, rasch in einander greifende Situationen u. s. w. ist überra¬ schender Fleiß verwendet. Kein anderer Componist — Meyrbeer vielleicht ausgenommen, hat je den Muth gehabt, solche Ansprüche an die Ausstattung seiner Werke zu erheben. Er stellt Forderungen, die alles bisher gekannte Maß ins Unglaubliche übersteigen. Er überwacht persönlich mit rastlosem Eifer alle Vorbereitungen und widmet selbst dem Unbedeutendsten eingehende Aufmerksamkeit. Aber eben in dieser Sorge für Nebendinge erkennen wir eine der Schwerpunkte, in die er das Gelingen seiner Werke verlegt. Ver¬ gleicht man die Einfachheit, mit der Mozarts, Webers, Spohrs Opern bei ihren ersten Aufführungen ausgestattet waren; eine neue Zimmer- oder Saaldeeoration, eine Waldgegend, eine Felsenschlucht und dergleichen war das Höchste, wozu sich eine Direktion bei der Jnscenirung neuer Werke sonst verstand. Sie sollten durch ihre Musik, durch ihren inneren Gehalt wirken. Und siehe da, sie gefielen. Man ging begeistert, beseligt, trunken von Ent¬ zücken von ihnen hinweg; man erwartete ungeduldig ihre Wiederholung; man fühlte sich nach einem solchen Kunstgenuß erhoben, gekräftigt angeregt. Aller¬ dings deckt die beste Musik grobe Mängel des Libretto's nicht ganz und um¬ gekehrt vermag das beste Textbuch eine interesselose Musik nicht zu retten; ebenso wenig aber wird eine nur charakteristische oder dramatische Musik, der es an fließendem schönen Gesang mangelte die allgemeine Aufnahme eines Werkes gelingen lassen. Nun sollen wohl in einer Oper alle Künste zu schönem, wünschenslverthem Erfolge einträchtig zusammen wirken. Zu einer fesselnden, spannenden Handlung, die wohlgegliedert und künstlich wirkungsvoll gestaltet ist und in schöner Sprachesich darstellen soll, hat eine entsprechende, charakte¬ ristische, tiefe und doch schöne und verständliche Musik zu treten. Die Künste der Sänger und Darsteller, die Geschicklichkeit der Maler, die Kenntniß des Costümiers, Alles soll sich vereinen, um lohnende Erfolge zu erzielen. Es wäre unrichtig, wenn ein Tonsetzer solche Nebendinge völlig außer Acht lassen wollte, und wir wissen, welches Gewicht z. B. Gluck und andere Mei¬ ster auf dieselben legten. Aber man darf sie nicht zur Hauptsache machen, und am allerwenigstens darf der Zuhörer die Absicht, durch sie bestochen werden zu sollen, durchfühlen. „Man sieht sich bald an Feld und Bäumen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/36>, abgerufen am 26.06.2024.