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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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treten ihres um die Sache der Wissenschaft allerdings hochverdienten Meisters,
des berühmten Elias Lönnrot (geb. 1802 in der Provinz Nyland), eines
Mannes, der sich lediglich durch sein Talent und seinen Fleiß vom Schneiderge¬
sellen zum Gelehrten durchgearbeitet hatte, und der heute der finnländische Homer
heißt. Nachdem er sich bereits als geschickter und feinsinniger Sammler,
Bearbeiter und Herausgeber von Volksliedern und Sagen vortheilhaft be¬
kannt gemacht, tritt er 1835 mit Herausgabe der Kalewala, dem großen
finnischen Nationalepos hervor, das er aus vorhandenen Fragmenten heraus¬
gelesen und einheitlich zusammengearbeitet hatte. Diese "Kalewala" hat für
die Jungfinnen eine ähnliche Rolle gespielt, wie die Königinhofer Handschrift
für die Czechen: sie schnellte das Nationalgefühl mächtig empor, drückte An¬
sprüchen, die bis dazu für vermessen gegolten hatten, das Siegel der Legalität
auf und begründete eine neue politisch-literarische Aera. Lönnrot, seit 1853
Professor der finnischen Sprache und Literatur an der Universität Helsingfors,
stand bald an der Spitze einer Schule, die auf die weitesten Kreise Wirkungen
übte, und binnen weniger Jahre eine selbständige Literatur schuf.

, Auf die Einzelheiten dieser literarischen Revolution, ihre verschiedenen
Phasen u. s. w, gehen wir ebensowenig ein, wie auf die Frage nach dem
realen Grund und Boden der Ansprüche, welche Jungfinnland auf Begrün¬
dung eines selbständigen Kulturlebens erhob. Für uns genügt, daß der von
dieser Richtung geübte Einfluß rasch so bedeutende Proportionen annahm,
daß das Schwedenthum den Entschluß sassen mußte, mit der Fennomanen zu
capituliren. Die Stellung Finnlands war an und für sich eine höchst schwie¬
rige und konnte zu Zukunftsbefürchtungen der ernstesten Art Veranlassung
geben. Wohl hatte Kaiser Alexander die ehemals schwedische Provinz zum
selbständigen Großfürstenthum erhoben, ihre Rechte. Gewohnheiten und Pri-
vilegien, ja selbst die Verfassung von 1772 feierlich anerkannt, aber jeder
Finnländer wußte, daß es thatsächlich vom bon Mihir des Großfürsten (der
als Kaiser von Rußland nicht eben an constitutionelle Rücksichten gewöhnt
war) abhing, in wie weit er sich an die Normen des Swens-quo binden
wollte. Das Maß der Connivenz gegen dieselben, war schon bei Alexander I.
nicht sehr bedeutend gewesen; seit jenem Landtage von 1809. aus welchem der
Kaiser die Huldigungen seiner neuen Unterthanen entgegen genommen, hatte
Alexander die Wiedereinberufung der finnländischen Stände, trotz wiederholter
bescheidener Mahnungen derselben, nicht mehr für nöthig gehalten und ohne
dieselben regiert. Unter Nicolaus durfte der constitutionellen Rechte Finn.
lands nicht einmal mit Namen Erwähnung gethan werden; der kaiserliche Gene¬
ralgouvemeur, der im Schloß von Helsingfors residirte, war ein ebenso schran¬
kenloser Machthaber, wie seine Collegen in Warschau oder Wilna und der Unter-
schied zwischen dem verfassungsmäßig regierten Finnland und den russischen


Grenzboten III. 1868. 40

treten ihres um die Sache der Wissenschaft allerdings hochverdienten Meisters,
des berühmten Elias Lönnrot (geb. 1802 in der Provinz Nyland), eines
Mannes, der sich lediglich durch sein Talent und seinen Fleiß vom Schneiderge¬
sellen zum Gelehrten durchgearbeitet hatte, und der heute der finnländische Homer
heißt. Nachdem er sich bereits als geschickter und feinsinniger Sammler,
Bearbeiter und Herausgeber von Volksliedern und Sagen vortheilhaft be¬
kannt gemacht, tritt er 1835 mit Herausgabe der Kalewala, dem großen
finnischen Nationalepos hervor, das er aus vorhandenen Fragmenten heraus¬
gelesen und einheitlich zusammengearbeitet hatte. Diese „Kalewala" hat für
die Jungfinnen eine ähnliche Rolle gespielt, wie die Königinhofer Handschrift
für die Czechen: sie schnellte das Nationalgefühl mächtig empor, drückte An¬
sprüchen, die bis dazu für vermessen gegolten hatten, das Siegel der Legalität
auf und begründete eine neue politisch-literarische Aera. Lönnrot, seit 1853
Professor der finnischen Sprache und Literatur an der Universität Helsingfors,
stand bald an der Spitze einer Schule, die auf die weitesten Kreise Wirkungen
übte, und binnen weniger Jahre eine selbständige Literatur schuf.

, Auf die Einzelheiten dieser literarischen Revolution, ihre verschiedenen
Phasen u. s. w, gehen wir ebensowenig ein, wie auf die Frage nach dem
realen Grund und Boden der Ansprüche, welche Jungfinnland auf Begrün¬
dung eines selbständigen Kulturlebens erhob. Für uns genügt, daß der von
dieser Richtung geübte Einfluß rasch so bedeutende Proportionen annahm,
daß das Schwedenthum den Entschluß sassen mußte, mit der Fennomanen zu
capituliren. Die Stellung Finnlands war an und für sich eine höchst schwie¬
rige und konnte zu Zukunftsbefürchtungen der ernstesten Art Veranlassung
geben. Wohl hatte Kaiser Alexander die ehemals schwedische Provinz zum
selbständigen Großfürstenthum erhoben, ihre Rechte. Gewohnheiten und Pri-
vilegien, ja selbst die Verfassung von 1772 feierlich anerkannt, aber jeder
Finnländer wußte, daß es thatsächlich vom bon Mihir des Großfürsten (der
als Kaiser von Rußland nicht eben an constitutionelle Rücksichten gewöhnt
war) abhing, in wie weit er sich an die Normen des Swens-quo binden
wollte. Das Maß der Connivenz gegen dieselben, war schon bei Alexander I.
nicht sehr bedeutend gewesen; seit jenem Landtage von 1809. aus welchem der
Kaiser die Huldigungen seiner neuen Unterthanen entgegen genommen, hatte
Alexander die Wiedereinberufung der finnländischen Stände, trotz wiederholter
bescheidener Mahnungen derselben, nicht mehr für nöthig gehalten und ohne
dieselben regiert. Unter Nicolaus durfte der constitutionellen Rechte Finn.
lands nicht einmal mit Namen Erwähnung gethan werden; der kaiserliche Gene¬
ralgouvemeur, der im Schloß von Helsingfors residirte, war ein ebenso schran¬
kenloser Machthaber, wie seine Collegen in Warschau oder Wilna und der Unter-
schied zwischen dem verfassungsmäßig regierten Finnland und den russischen


Grenzboten III. 1868. 40
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[0337] treten ihres um die Sache der Wissenschaft allerdings hochverdienten Meisters, des berühmten Elias Lönnrot (geb. 1802 in der Provinz Nyland), eines Mannes, der sich lediglich durch sein Talent und seinen Fleiß vom Schneiderge¬ sellen zum Gelehrten durchgearbeitet hatte, und der heute der finnländische Homer heißt. Nachdem er sich bereits als geschickter und feinsinniger Sammler, Bearbeiter und Herausgeber von Volksliedern und Sagen vortheilhaft be¬ kannt gemacht, tritt er 1835 mit Herausgabe der Kalewala, dem großen finnischen Nationalepos hervor, das er aus vorhandenen Fragmenten heraus¬ gelesen und einheitlich zusammengearbeitet hatte. Diese „Kalewala" hat für die Jungfinnen eine ähnliche Rolle gespielt, wie die Königinhofer Handschrift für die Czechen: sie schnellte das Nationalgefühl mächtig empor, drückte An¬ sprüchen, die bis dazu für vermessen gegolten hatten, das Siegel der Legalität auf und begründete eine neue politisch-literarische Aera. Lönnrot, seit 1853 Professor der finnischen Sprache und Literatur an der Universität Helsingfors, stand bald an der Spitze einer Schule, die auf die weitesten Kreise Wirkungen übte, und binnen weniger Jahre eine selbständige Literatur schuf. , Auf die Einzelheiten dieser literarischen Revolution, ihre verschiedenen Phasen u. s. w, gehen wir ebensowenig ein, wie auf die Frage nach dem realen Grund und Boden der Ansprüche, welche Jungfinnland auf Begrün¬ dung eines selbständigen Kulturlebens erhob. Für uns genügt, daß der von dieser Richtung geübte Einfluß rasch so bedeutende Proportionen annahm, daß das Schwedenthum den Entschluß sassen mußte, mit der Fennomanen zu capituliren. Die Stellung Finnlands war an und für sich eine höchst schwie¬ rige und konnte zu Zukunftsbefürchtungen der ernstesten Art Veranlassung geben. Wohl hatte Kaiser Alexander die ehemals schwedische Provinz zum selbständigen Großfürstenthum erhoben, ihre Rechte. Gewohnheiten und Pri- vilegien, ja selbst die Verfassung von 1772 feierlich anerkannt, aber jeder Finnländer wußte, daß es thatsächlich vom bon Mihir des Großfürsten (der als Kaiser von Rußland nicht eben an constitutionelle Rücksichten gewöhnt war) abhing, in wie weit er sich an die Normen des Swens-quo binden wollte. Das Maß der Connivenz gegen dieselben, war schon bei Alexander I. nicht sehr bedeutend gewesen; seit jenem Landtage von 1809. aus welchem der Kaiser die Huldigungen seiner neuen Unterthanen entgegen genommen, hatte Alexander die Wiedereinberufung der finnländischen Stände, trotz wiederholter bescheidener Mahnungen derselben, nicht mehr für nöthig gehalten und ohne dieselben regiert. Unter Nicolaus durfte der constitutionellen Rechte Finn. lands nicht einmal mit Namen Erwähnung gethan werden; der kaiserliche Gene¬ ralgouvemeur, der im Schloß von Helsingfors residirte, war ein ebenso schran¬ kenloser Machthaber, wie seine Collegen in Warschau oder Wilna und der Unter- schied zwischen dem verfassungsmäßig regierten Finnland und den russischen Grenzboten III. 1868. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/337>, abgerufen am 04.07.2024.