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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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tigkeit. Dieser Mann, dem die Dankbarkeit seiner Partei vor einigen Jah¬
ren ein Denkmal gesetzt hat, trat zuerst mit dem Gedanken einer Emancipa¬
tion der finnischen Sprache und Nationalität von der Herrschaft des Schwe-
denthums hervor und wußte bald eine > große Zahl von Jüngern und Par¬
teigenossen zu gewinnen. Das Verfahren dieser sogenannten Fennomanen
war genau dasselbe, das wenig später von den Czechischen und andern Schwär¬
mern sür die Wiederbelebung um ihre Selbständigkeit gebrachter kleiner
Nationalitäten angewandt worden. Man begann mit der Sammlung von
Volksliedern, halbvergessenen Sagen und Schriftwerken, man suchte die im
Absterben begriffene oder von Kulturelementen zurückgedrängte volkstüm¬
liche Tradition wieder zu beleben, man gründete gelehrte Zeitschriften und
Literaturgesellschaften, die aus dilettantischen Gelehrtenvereinen allmählich zu
politischen Clubbs wurden und schloß mit der Forderung, die eben aus dem
Rohen herausgearbeitete Sprache der Majorität, der Kultursprache der gebil¬
deten Minorität gleichzustellen, beziehungsweise, ihr den Vorrang vor jener
zu Theil werden zu lassen.

Zu wirklicher Bedeutung und nachhaltigem Einfluß gelangte die jung-
finnische Partei seit der Losreißung Finnlands von Schweden und der
Constituirung des Großfürstenthums unter Alexander I. Während die in
den höheren Ständen vorherrschende schwedische Partei die Losreißung vom
Mutterlande als schwere Prüfung auffaßte und blutenden Herzens an den
Erinnerungen festhielt, durch welche Finnland mit dem Vaterlande Gustav
Wasas, Gustav Adolphs und des zwölften Karl verbunden war, sah Jungfinn¬
land seine Stunde gekommen. Schon, daß der beständige Zufluß schwedischer
Elemente aufhörte und das finnische Schwedenthum der festen Stütze ent¬
behrte, welche es bis dazu in der Stockholmer Regierung besessen, war ein
vielversprechender Umstand. Was ließ sich aber nicht erst von Rußlands Unter¬
stützung für eine Partei erwarten, welche den Bruch mit der schwedischen
Tradition, wenn nicht auf den Lippen, so doch im Herzen führte? Rußland
hatte ein natürliches Interesse daran Jungfinnland zu begünstigen und da¬
durch die Gefahr einer Erhebung zu Gunsten der alten schwedischen.Landes¬
herrn für immer zu beseitigen. Unter der Firma eines besonderen finnischen
Localpatriotismus wurde die Unabhängigkeit des Landes von Schweden in
Prosa und Versen gefeiert und zum Lieblingsgegenstande der aufstrebenden
jungen Schule gemacht; während ein großer Theil ihrer Jünger ziemlich naiv
zur Sache stand und eigentlich politische Tendenzen nicht verfolgte, fehlte es
doch auch nicht an Elementen, welche eine Anlehnung Jungfinnlands an das
Nussenthum laut und leise predigten, die Befreiung "Suomenmaas" von der
schwedischen Vormundschaft feierten.

Die eigentliche Blüthezeit der Fennomanie begann erst mit dem Auf-


tigkeit. Dieser Mann, dem die Dankbarkeit seiner Partei vor einigen Jah¬
ren ein Denkmal gesetzt hat, trat zuerst mit dem Gedanken einer Emancipa¬
tion der finnischen Sprache und Nationalität von der Herrschaft des Schwe-
denthums hervor und wußte bald eine > große Zahl von Jüngern und Par¬
teigenossen zu gewinnen. Das Verfahren dieser sogenannten Fennomanen
war genau dasselbe, das wenig später von den Czechischen und andern Schwär¬
mern sür die Wiederbelebung um ihre Selbständigkeit gebrachter kleiner
Nationalitäten angewandt worden. Man begann mit der Sammlung von
Volksliedern, halbvergessenen Sagen und Schriftwerken, man suchte die im
Absterben begriffene oder von Kulturelementen zurückgedrängte volkstüm¬
liche Tradition wieder zu beleben, man gründete gelehrte Zeitschriften und
Literaturgesellschaften, die aus dilettantischen Gelehrtenvereinen allmählich zu
politischen Clubbs wurden und schloß mit der Forderung, die eben aus dem
Rohen herausgearbeitete Sprache der Majorität, der Kultursprache der gebil¬
deten Minorität gleichzustellen, beziehungsweise, ihr den Vorrang vor jener
zu Theil werden zu lassen.

Zu wirklicher Bedeutung und nachhaltigem Einfluß gelangte die jung-
finnische Partei seit der Losreißung Finnlands von Schweden und der
Constituirung des Großfürstenthums unter Alexander I. Während die in
den höheren Ständen vorherrschende schwedische Partei die Losreißung vom
Mutterlande als schwere Prüfung auffaßte und blutenden Herzens an den
Erinnerungen festhielt, durch welche Finnland mit dem Vaterlande Gustav
Wasas, Gustav Adolphs und des zwölften Karl verbunden war, sah Jungfinn¬
land seine Stunde gekommen. Schon, daß der beständige Zufluß schwedischer
Elemente aufhörte und das finnische Schwedenthum der festen Stütze ent¬
behrte, welche es bis dazu in der Stockholmer Regierung besessen, war ein
vielversprechender Umstand. Was ließ sich aber nicht erst von Rußlands Unter¬
stützung für eine Partei erwarten, welche den Bruch mit der schwedischen
Tradition, wenn nicht auf den Lippen, so doch im Herzen führte? Rußland
hatte ein natürliches Interesse daran Jungfinnland zu begünstigen und da¬
durch die Gefahr einer Erhebung zu Gunsten der alten schwedischen.Landes¬
herrn für immer zu beseitigen. Unter der Firma eines besonderen finnischen
Localpatriotismus wurde die Unabhängigkeit des Landes von Schweden in
Prosa und Versen gefeiert und zum Lieblingsgegenstande der aufstrebenden
jungen Schule gemacht; während ein großer Theil ihrer Jünger ziemlich naiv
zur Sache stand und eigentlich politische Tendenzen nicht verfolgte, fehlte es
doch auch nicht an Elementen, welche eine Anlehnung Jungfinnlands an das
Nussenthum laut und leise predigten, die Befreiung „Suomenmaas" von der
schwedischen Vormundschaft feierten.

Die eigentliche Blüthezeit der Fennomanie begann erst mit dem Auf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/336>, abgerufen am 04.07.2024.