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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Reichstheilen reducirte sich darauf, daß die für das erstere erlassenen Regie¬
rungsbefehle in der Regel nicht Gesetze (diese sollten nur mit Zustimmung
der Stände verändert werden), sondern provisorische Verordnungen hießen. --
Obgleich Finnland immer noch sehr viel rücksichtsvoller behandelt wurde, als
irgend eines der polnischen ode^/'attischen Länder, so kamen doch auch hier
russificatorische Eingriffe aller Art vor, ohne daß ein Wort über dieselben ver¬
loren werden durfte. Die Verlegung der Landesuniversität Abo nach Hel-
singfors, die Eintheilung Finnlands in 8 Gouvernements, die Einführung
neuer strenger Censurvorschriften, all' diese wichtigen Veränderungen wurden
ausgeführt, ohne daß auch nur die Miene zu einer Einberufung der Stände
gemacht worden, und wenn eifrige Patrioten in den zu Petersburg lebenden
Staatssecretär Grasen Armfeld drangen und ihn auf diese Verfassungsverletzungen
aufmerksam machten, so war die regelmäßige Antwort, daß der Kaiser Nico-
laus eine Erinnerung an den Bestand finnlandischer konstitutioneller Rechte,
unfehlbar mit der förmlichen Aufhebung derselben beantworten und da durch
den vorhandenen Nothstand perpetuiren werde.

Unter so bewandten Umständen erscheint vollständig begreiflich, daß die
schwedische Partei vor dem Gedanken an einen offenen Kampf mit dem Jung-
finnenthum zurückbebte. Bei der zweifelhaften Lage, in der das Großfürsten-
thum sich an und für sich befand, konnte ein durch nationale Gegensätze ge-
schürter Hader von wahrhaft tödtlichen Folgen sein. Nahmen die Finnen
die Rolle der unterdrückten Nationalität auf, beriefen sie sich außerdem noch
auf ihre russischen Sympathien, so war ein gewaltsamer Eingriff unvermeid¬
lich und die gesammte Zukunft des Vaterlandes aufs Spiel gestellt. Dazu
kam, daß die moralischen Eroberungen, welche die durch talentvolle Dichter
und Gelehrte geführte jungfinnische Schule gemacht, bis tief in das schwe¬
dische Lager reichten und namentlich den größten Theil der Jugend hinüber
gezogen hatten. Machte man der neuen Richtung Concessionen, so konnte
man sie vielleicht noch in das patriotische Interesse ziehen, -- andern Falls
setzte man sich dem Vorwurf aus, wohlmeinende und traitable Männer
durch Hartnäckigkeit abgestoßen und in das feindliche Lager getrieben zu haben.
Mußte man sich doch überdies sagen, daß die materiellen Vortheile, welche
das arme, bei ungünstigen Erndten mit dem Hungertode bedrohte Land von
der Verbindung mit Rußland zog. die Massen längst mit russischen Sym¬
pathien erfüllt hatten.

So lange der Kaiser Nicolaus lebte, war selbst an einen Ausgleich der
Differenzen zwischen jungsinnischen Wünschen und schwedischen Concessionen
nicht zu denken. Da Alles, was nach selbständigem Parteileben aussah
streng verpönt war, die von Petersburg aus instruirte Präventivcensur über¬
dies dafür Sorge trug, daß die öffentlichen Blätter auf dem Niveau jener


Reichstheilen reducirte sich darauf, daß die für das erstere erlassenen Regie¬
rungsbefehle in der Regel nicht Gesetze (diese sollten nur mit Zustimmung
der Stände verändert werden), sondern provisorische Verordnungen hießen. —
Obgleich Finnland immer noch sehr viel rücksichtsvoller behandelt wurde, als
irgend eines der polnischen ode^/'attischen Länder, so kamen doch auch hier
russificatorische Eingriffe aller Art vor, ohne daß ein Wort über dieselben ver¬
loren werden durfte. Die Verlegung der Landesuniversität Abo nach Hel-
singfors, die Eintheilung Finnlands in 8 Gouvernements, die Einführung
neuer strenger Censurvorschriften, all' diese wichtigen Veränderungen wurden
ausgeführt, ohne daß auch nur die Miene zu einer Einberufung der Stände
gemacht worden, und wenn eifrige Patrioten in den zu Petersburg lebenden
Staatssecretär Grasen Armfeld drangen und ihn auf diese Verfassungsverletzungen
aufmerksam machten, so war die regelmäßige Antwort, daß der Kaiser Nico-
laus eine Erinnerung an den Bestand finnlandischer konstitutioneller Rechte,
unfehlbar mit der förmlichen Aufhebung derselben beantworten und da durch
den vorhandenen Nothstand perpetuiren werde.

Unter so bewandten Umständen erscheint vollständig begreiflich, daß die
schwedische Partei vor dem Gedanken an einen offenen Kampf mit dem Jung-
finnenthum zurückbebte. Bei der zweifelhaften Lage, in der das Großfürsten-
thum sich an und für sich befand, konnte ein durch nationale Gegensätze ge-
schürter Hader von wahrhaft tödtlichen Folgen sein. Nahmen die Finnen
die Rolle der unterdrückten Nationalität auf, beriefen sie sich außerdem noch
auf ihre russischen Sympathien, so war ein gewaltsamer Eingriff unvermeid¬
lich und die gesammte Zukunft des Vaterlandes aufs Spiel gestellt. Dazu
kam, daß die moralischen Eroberungen, welche die durch talentvolle Dichter
und Gelehrte geführte jungfinnische Schule gemacht, bis tief in das schwe¬
dische Lager reichten und namentlich den größten Theil der Jugend hinüber
gezogen hatten. Machte man der neuen Richtung Concessionen, so konnte
man sie vielleicht noch in das patriotische Interesse ziehen, — andern Falls
setzte man sich dem Vorwurf aus, wohlmeinende und traitable Männer
durch Hartnäckigkeit abgestoßen und in das feindliche Lager getrieben zu haben.
Mußte man sich doch überdies sagen, daß die materiellen Vortheile, welche
das arme, bei ungünstigen Erndten mit dem Hungertode bedrohte Land von
der Verbindung mit Rußland zog. die Massen längst mit russischen Sym¬
pathien erfüllt hatten.

So lange der Kaiser Nicolaus lebte, war selbst an einen Ausgleich der
Differenzen zwischen jungsinnischen Wünschen und schwedischen Concessionen
nicht zu denken. Da Alles, was nach selbständigem Parteileben aussah
streng verpönt war, die von Petersburg aus instruirte Präventivcensur über¬
dies dafür Sorge trug, daß die öffentlichen Blätter auf dem Niveau jener


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[0338] Reichstheilen reducirte sich darauf, daß die für das erstere erlassenen Regie¬ rungsbefehle in der Regel nicht Gesetze (diese sollten nur mit Zustimmung der Stände verändert werden), sondern provisorische Verordnungen hießen. — Obgleich Finnland immer noch sehr viel rücksichtsvoller behandelt wurde, als irgend eines der polnischen ode^/'attischen Länder, so kamen doch auch hier russificatorische Eingriffe aller Art vor, ohne daß ein Wort über dieselben ver¬ loren werden durfte. Die Verlegung der Landesuniversität Abo nach Hel- singfors, die Eintheilung Finnlands in 8 Gouvernements, die Einführung neuer strenger Censurvorschriften, all' diese wichtigen Veränderungen wurden ausgeführt, ohne daß auch nur die Miene zu einer Einberufung der Stände gemacht worden, und wenn eifrige Patrioten in den zu Petersburg lebenden Staatssecretär Grasen Armfeld drangen und ihn auf diese Verfassungsverletzungen aufmerksam machten, so war die regelmäßige Antwort, daß der Kaiser Nico- laus eine Erinnerung an den Bestand finnlandischer konstitutioneller Rechte, unfehlbar mit der förmlichen Aufhebung derselben beantworten und da durch den vorhandenen Nothstand perpetuiren werde. Unter so bewandten Umständen erscheint vollständig begreiflich, daß die schwedische Partei vor dem Gedanken an einen offenen Kampf mit dem Jung- finnenthum zurückbebte. Bei der zweifelhaften Lage, in der das Großfürsten- thum sich an und für sich befand, konnte ein durch nationale Gegensätze ge- schürter Hader von wahrhaft tödtlichen Folgen sein. Nahmen die Finnen die Rolle der unterdrückten Nationalität auf, beriefen sie sich außerdem noch auf ihre russischen Sympathien, so war ein gewaltsamer Eingriff unvermeid¬ lich und die gesammte Zukunft des Vaterlandes aufs Spiel gestellt. Dazu kam, daß die moralischen Eroberungen, welche die durch talentvolle Dichter und Gelehrte geführte jungfinnische Schule gemacht, bis tief in das schwe¬ dische Lager reichten und namentlich den größten Theil der Jugend hinüber gezogen hatten. Machte man der neuen Richtung Concessionen, so konnte man sie vielleicht noch in das patriotische Interesse ziehen, — andern Falls setzte man sich dem Vorwurf aus, wohlmeinende und traitable Männer durch Hartnäckigkeit abgestoßen und in das feindliche Lager getrieben zu haben. Mußte man sich doch überdies sagen, daß die materiellen Vortheile, welche das arme, bei ungünstigen Erndten mit dem Hungertode bedrohte Land von der Verbindung mit Rußland zog. die Massen längst mit russischen Sym¬ pathien erfüllt hatten. So lange der Kaiser Nicolaus lebte, war selbst an einen Ausgleich der Differenzen zwischen jungsinnischen Wünschen und schwedischen Concessionen nicht zu denken. Da Alles, was nach selbständigem Parteileben aussah streng verpönt war, die von Petersburg aus instruirte Präventivcensur über¬ dies dafür Sorge trug, daß die öffentlichen Blätter auf dem Niveau jener

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/338>, abgerufen am 04.07.2024.