Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

russischer Eroberungszüge wurde, denen die schwedische Armee nur ohnmäch,
eigen Widerstand zu leisten vermochte, bereitete sich im Schooß des finnlän-
dischen Volks ein Umschwung vor, der Anfangs nur politischer Natur war,
allmählich aber auch auf das Gebiet der nationalen Gegensätze hinüberspielte.
-- Wir haben in dem Artikel "Finnland und die Finnländer" bereits erwähnt,
daß die Kaiserin Elisabeth, Tochter Peters des Großen, am 18. März 1742
ßin Manifest an die Bewohner Finnlands richtete, in welchem dieselben auf¬
gefordert wurden, "um ihr Land von den Gefahren und Calamitäten künf¬
tiger Kriege zwischen Rußland und Schweden zu befreien," die schwedische
Herrschaft abzuschütteln und unter russichen Schutz einen unabhängigen
Staat zu bilden. Blieb diese Kundgebung auch ohne directe Folgen, so
wirkte sie doch im Stillen nachhaltiger und gefährlicher, als in Stockholm
geahnt wurde. Langsam und allmählich bildete sich eine Partei, welche den
russischen Vorschlag höchst plausible fand und die Eventualität einer Ab¬
trennung von Schweden ernsthaft in Erwägung zog. Das von den aristo¬
kratischen Fraktionen der Mützen und Hüte getriebene Unwesen hatte das
Staatsgebäude bereits damals so tief erschüttert, daß sich namentlich in den
entfernteren Provinzen ein entschiedener Widerwille gegen Alles, was von
Stockholm kam, geltend machte, das Staatsbewußtsein von seiner früheren
Kraft verlor und kühle Nützlichkeitsberechnungen an die Stelle der patriotischen
Hingabe traten, welche noch sechzig Jahre früher das Volk beherrscht hatte.
Immer größer wurde die Zahl der Finnländer, welche die Frage aufwarfen,
welches denn eigentlich die Vortheile seien, die man dem Zusammenhang mit
Schweden zu danken habe: hohe Steuern, welche nicht sowohl dem Lande, als
dem beständigen Geldbedürfniß einer Regierung zu Gute kommen, die weder im
Innern noch nach Außen stark war, Parteikämpfe, welche nicht die Principien
der Staatsgewalt, sondern bloße Personenfragen zum Gegenstande hatten
und doch am Mark des Landes zehrten, endlich auswärtige Kriege mit einem
Feinde, der den Schauplatz derselben regelmäßig nach Finnnland verlegte,
das zu beschützen die Regierung, die die russischen Händel angefangen, durch¬
aus nicht im Stande war. Mehr und mehr bildete sich ein Provinzialparticu-
larismus heraus, der die Verschiedenheit der finnländischen und der schwedi¬
schen Interessen betonte und den erwachenden nationalen Ansprüchen des
Finnenthums zum Anhaltepunkt wurde. Zwar hielten der Adel und die
Geistlichkeit in der Mehrzahl ihrer Glieder noch zur alten schwedischen Fahne,
aber auch in ihrer Mitte fehlte es nicht an Stimmen, welche sich zu Gun¬
sten einer finnländischen Autonomie aussprachen und alsbald bei einem
Theil des Handeltreibendenden Bürgerstandes und in gewissen Gelehrten¬
kreisen ungeahnt lebhafte Unterstützung fanden. Wenig später begann
Porthan, der Ahnherr Jungfinnlands (-j- 1804) seine tief eingreifende Thä-


russischer Eroberungszüge wurde, denen die schwedische Armee nur ohnmäch,
eigen Widerstand zu leisten vermochte, bereitete sich im Schooß des finnlän-
dischen Volks ein Umschwung vor, der Anfangs nur politischer Natur war,
allmählich aber auch auf das Gebiet der nationalen Gegensätze hinüberspielte.
— Wir haben in dem Artikel „Finnland und die Finnländer" bereits erwähnt,
daß die Kaiserin Elisabeth, Tochter Peters des Großen, am 18. März 1742
ßin Manifest an die Bewohner Finnlands richtete, in welchem dieselben auf¬
gefordert wurden, „um ihr Land von den Gefahren und Calamitäten künf¬
tiger Kriege zwischen Rußland und Schweden zu befreien," die schwedische
Herrschaft abzuschütteln und unter russichen Schutz einen unabhängigen
Staat zu bilden. Blieb diese Kundgebung auch ohne directe Folgen, so
wirkte sie doch im Stillen nachhaltiger und gefährlicher, als in Stockholm
geahnt wurde. Langsam und allmählich bildete sich eine Partei, welche den
russischen Vorschlag höchst plausible fand und die Eventualität einer Ab¬
trennung von Schweden ernsthaft in Erwägung zog. Das von den aristo¬
kratischen Fraktionen der Mützen und Hüte getriebene Unwesen hatte das
Staatsgebäude bereits damals so tief erschüttert, daß sich namentlich in den
entfernteren Provinzen ein entschiedener Widerwille gegen Alles, was von
Stockholm kam, geltend machte, das Staatsbewußtsein von seiner früheren
Kraft verlor und kühle Nützlichkeitsberechnungen an die Stelle der patriotischen
Hingabe traten, welche noch sechzig Jahre früher das Volk beherrscht hatte.
Immer größer wurde die Zahl der Finnländer, welche die Frage aufwarfen,
welches denn eigentlich die Vortheile seien, die man dem Zusammenhang mit
Schweden zu danken habe: hohe Steuern, welche nicht sowohl dem Lande, als
dem beständigen Geldbedürfniß einer Regierung zu Gute kommen, die weder im
Innern noch nach Außen stark war, Parteikämpfe, welche nicht die Principien
der Staatsgewalt, sondern bloße Personenfragen zum Gegenstande hatten
und doch am Mark des Landes zehrten, endlich auswärtige Kriege mit einem
Feinde, der den Schauplatz derselben regelmäßig nach Finnnland verlegte,
das zu beschützen die Regierung, die die russischen Händel angefangen, durch¬
aus nicht im Stande war. Mehr und mehr bildete sich ein Provinzialparticu-
larismus heraus, der die Verschiedenheit der finnländischen und der schwedi¬
schen Interessen betonte und den erwachenden nationalen Ansprüchen des
Finnenthums zum Anhaltepunkt wurde. Zwar hielten der Adel und die
Geistlichkeit in der Mehrzahl ihrer Glieder noch zur alten schwedischen Fahne,
aber auch in ihrer Mitte fehlte es nicht an Stimmen, welche sich zu Gun¬
sten einer finnländischen Autonomie aussprachen und alsbald bei einem
Theil des Handeltreibendenden Bürgerstandes und in gewissen Gelehrten¬
kreisen ungeahnt lebhafte Unterstützung fanden. Wenig später begann
Porthan, der Ahnherr Jungfinnlands (-j- 1804) seine tief eingreifende Thä-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287047"/>
          <p xml:id="ID_854" prev="#ID_853" next="#ID_855"> russischer Eroberungszüge wurde, denen die schwedische Armee nur ohnmäch,<lb/>
eigen Widerstand zu leisten vermochte, bereitete sich im Schooß des finnlän-<lb/>
dischen Volks ein Umschwung vor, der Anfangs nur politischer Natur war,<lb/>
allmählich aber auch auf das Gebiet der nationalen Gegensätze hinüberspielte.<lb/>
&#x2014; Wir haben in dem Artikel &#x201E;Finnland und die Finnländer" bereits erwähnt,<lb/>
daß die Kaiserin Elisabeth, Tochter Peters des Großen, am 18. März 1742<lb/>
ßin Manifest an die Bewohner Finnlands richtete, in welchem dieselben auf¬<lb/>
gefordert wurden, &#x201E;um ihr Land von den Gefahren und Calamitäten künf¬<lb/>
tiger Kriege zwischen Rußland und Schweden zu befreien," die schwedische<lb/>
Herrschaft abzuschütteln und unter russichen Schutz einen unabhängigen<lb/>
Staat zu bilden. Blieb diese Kundgebung auch ohne directe Folgen, so<lb/>
wirkte sie doch im Stillen nachhaltiger und gefährlicher, als in Stockholm<lb/>
geahnt wurde. Langsam und allmählich bildete sich eine Partei, welche den<lb/>
russischen Vorschlag höchst plausible fand und die Eventualität einer Ab¬<lb/>
trennung von Schweden ernsthaft in Erwägung zog. Das von den aristo¬<lb/>
kratischen Fraktionen der Mützen und Hüte getriebene Unwesen hatte das<lb/>
Staatsgebäude bereits damals so tief erschüttert, daß sich namentlich in den<lb/>
entfernteren Provinzen ein entschiedener Widerwille gegen Alles, was von<lb/>
Stockholm kam, geltend machte, das Staatsbewußtsein von seiner früheren<lb/>
Kraft verlor und kühle Nützlichkeitsberechnungen an die Stelle der patriotischen<lb/>
Hingabe traten, welche noch sechzig Jahre früher das Volk beherrscht hatte.<lb/>
Immer größer wurde die Zahl der Finnländer, welche die Frage aufwarfen,<lb/>
welches denn eigentlich die Vortheile seien, die man dem Zusammenhang mit<lb/>
Schweden zu danken habe: hohe Steuern, welche nicht sowohl dem Lande, als<lb/>
dem beständigen Geldbedürfniß einer Regierung zu Gute kommen, die weder im<lb/>
Innern noch nach Außen stark war, Parteikämpfe, welche nicht die Principien<lb/>
der Staatsgewalt, sondern bloße Personenfragen zum Gegenstande hatten<lb/>
und doch am Mark des Landes zehrten, endlich auswärtige Kriege mit einem<lb/>
Feinde, der den Schauplatz derselben regelmäßig nach Finnnland verlegte,<lb/>
das zu beschützen die Regierung, die die russischen Händel angefangen, durch¬<lb/>
aus nicht im Stande war. Mehr und mehr bildete sich ein Provinzialparticu-<lb/>
larismus heraus, der die Verschiedenheit der finnländischen und der schwedi¬<lb/>
schen Interessen betonte und den erwachenden nationalen Ansprüchen des<lb/>
Finnenthums zum Anhaltepunkt wurde. Zwar hielten der Adel und die<lb/>
Geistlichkeit in der Mehrzahl ihrer Glieder noch zur alten schwedischen Fahne,<lb/>
aber auch in ihrer Mitte fehlte es nicht an Stimmen, welche sich zu Gun¬<lb/>
sten einer finnländischen Autonomie aussprachen und alsbald bei einem<lb/>
Theil des Handeltreibendenden Bürgerstandes und in gewissen Gelehrten¬<lb/>
kreisen ungeahnt lebhafte Unterstützung fanden. Wenig später begann<lb/>
Porthan, der Ahnherr Jungfinnlands (-j- 1804) seine tief eingreifende Thä-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0335] russischer Eroberungszüge wurde, denen die schwedische Armee nur ohnmäch, eigen Widerstand zu leisten vermochte, bereitete sich im Schooß des finnlän- dischen Volks ein Umschwung vor, der Anfangs nur politischer Natur war, allmählich aber auch auf das Gebiet der nationalen Gegensätze hinüberspielte. — Wir haben in dem Artikel „Finnland und die Finnländer" bereits erwähnt, daß die Kaiserin Elisabeth, Tochter Peters des Großen, am 18. März 1742 ßin Manifest an die Bewohner Finnlands richtete, in welchem dieselben auf¬ gefordert wurden, „um ihr Land von den Gefahren und Calamitäten künf¬ tiger Kriege zwischen Rußland und Schweden zu befreien," die schwedische Herrschaft abzuschütteln und unter russichen Schutz einen unabhängigen Staat zu bilden. Blieb diese Kundgebung auch ohne directe Folgen, so wirkte sie doch im Stillen nachhaltiger und gefährlicher, als in Stockholm geahnt wurde. Langsam und allmählich bildete sich eine Partei, welche den russischen Vorschlag höchst plausible fand und die Eventualität einer Ab¬ trennung von Schweden ernsthaft in Erwägung zog. Das von den aristo¬ kratischen Fraktionen der Mützen und Hüte getriebene Unwesen hatte das Staatsgebäude bereits damals so tief erschüttert, daß sich namentlich in den entfernteren Provinzen ein entschiedener Widerwille gegen Alles, was von Stockholm kam, geltend machte, das Staatsbewußtsein von seiner früheren Kraft verlor und kühle Nützlichkeitsberechnungen an die Stelle der patriotischen Hingabe traten, welche noch sechzig Jahre früher das Volk beherrscht hatte. Immer größer wurde die Zahl der Finnländer, welche die Frage aufwarfen, welches denn eigentlich die Vortheile seien, die man dem Zusammenhang mit Schweden zu danken habe: hohe Steuern, welche nicht sowohl dem Lande, als dem beständigen Geldbedürfniß einer Regierung zu Gute kommen, die weder im Innern noch nach Außen stark war, Parteikämpfe, welche nicht die Principien der Staatsgewalt, sondern bloße Personenfragen zum Gegenstande hatten und doch am Mark des Landes zehrten, endlich auswärtige Kriege mit einem Feinde, der den Schauplatz derselben regelmäßig nach Finnnland verlegte, das zu beschützen die Regierung, die die russischen Händel angefangen, durch¬ aus nicht im Stande war. Mehr und mehr bildete sich ein Provinzialparticu- larismus heraus, der die Verschiedenheit der finnländischen und der schwedi¬ schen Interessen betonte und den erwachenden nationalen Ansprüchen des Finnenthums zum Anhaltepunkt wurde. Zwar hielten der Adel und die Geistlichkeit in der Mehrzahl ihrer Glieder noch zur alten schwedischen Fahne, aber auch in ihrer Mitte fehlte es nicht an Stimmen, welche sich zu Gun¬ sten einer finnländischen Autonomie aussprachen und alsbald bei einem Theil des Handeltreibendenden Bürgerstandes und in gewissen Gelehrten¬ kreisen ungeahnt lebhafte Unterstützung fanden. Wenig später begann Porthan, der Ahnherr Jungfinnlands (-j- 1804) seine tief eingreifende Thä-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/335
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/335>, abgerufen am 04.07.2024.