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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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mitten und zahlreiche Patriciergeschlechter, Bürger und Bauern mit vielen
Gütern. Der namentlich durch Friedrich Rothbart und Rudolph von Habs¬
burg stattlich dotirter und privilegirten Abtei gehörten Markt, Zoll, Münze,
Mühlengerechtigkeit, Fischerei; sie besaß die Gerichtsbarkeit, zahlreiche Ge-
fälle, viele Aecker, Wiesen und Waldungen und die Dörfer Beyneburg (ganz)
und Ane, Schwebda, Geismar, Elbershausen (zum Theil).

Beide, Stift und Stadt, waren freilich aus einem Stamme erwachsen,
aus dem Kaiserhof Eschwege, doch war ersteres reicher providirt und behauptete
bedeutendes Uebergewicht über die Villa, die zum größern Theil von ihr ab¬
hängig war. Und als Eschwege zur Stadt erhoben wurde, da wurde die
frühere enge Verbindung des Ortes mit dem Stifte symbolisch im Stadtwap¬
pen ausgeprägt, welches die beiden Thürme der Stiftskirche von der West¬
seite enthielt. Aber der Glanz des heiligen Cyriacus erbleichte in dem Grade,
in dem das städtische Leben erstarkte und das frühere Verhältniß gestaltete
sich anders, als der kaiserliche Schirm verschwand und fürstliche Beamten in
Eschwege einzogen. Schon früher begegnen wir einem Eingriffe der städtischen
Institutionen in die Gerechtsame des Stifts, seitdem emancipirte sich die Ge¬
meinde immer mehr, die Oberin mußte der Stadt die Münzgerechtigkeit ab¬
treten, die stiftische Gerichtsbarkeit ging auf den städtischen Schöppenstuhl
über, dem Stifte geschah am althergebrachten Zolle Eintrag, seine Capläne
mußten Stadtarbeit und Wachen thun und je älter es wurde, desto mehr
nahmen seine Bedrängnisse zu. Nach der Säkularisation zog endlich die
städtische Knabenschule in die Stiftsgebäude ein und auf dem noch stehenden
Thurme der alten Stiftskirche wohnt jetzt ein städtischer Wächter.

Wie in den meisten Städten, so gestaltete sich auch zu Eschwege die
Verfassung zuerst ganz aristokratisch. Von den benachbarten Orten zogen
freie Leute in die neue Stadt, die ihnen sicheren Aufenthalt und ehrenvolle
Gemeindeverbindung darbot, da die wenig geachteten Handwerker anfangs
nicht zur Gemeinde gehörten, Zunftcorperationen sich noch nicht gebildet
hatten und überhaupt von einem Bürgerthume im späteren Sinne, im Ge¬
gensatze zum Adel, noch nicht die Rede war. So entstand hier eine Aristo¬
kratie, erwachsen aus einer Anzahl bevorzugter Geschlechter, welche, zum Theil
in der Umgegend stark begütert und in Lehnsverhältnissen stehend, die Zügel
des städtischen Regiments in Händen hatten. Der Stadtrath bestand aus
12 Consuln, deren Häupter zwei Rathsmeister (irmgistri oonsuwm) waren
und diese Zwölf waren' zugleich die Schöffen, welche in den von den fürst¬
lichen Vögten oder Schultheißen gehegten Gerichten das Urtheil fanden. Der
Rath wurde jährlich neu gewählt und trat im Herbst sein Amt an. -- Wir
bemerken nun in Eschwege schon frühe ein allmähliches Zurücktreten des
streng aristokratischen Elements im Stadtrathe: 1331 erscheinen schon zwei


Grenzboten III. 1868. 39

mitten und zahlreiche Patriciergeschlechter, Bürger und Bauern mit vielen
Gütern. Der namentlich durch Friedrich Rothbart und Rudolph von Habs¬
burg stattlich dotirter und privilegirten Abtei gehörten Markt, Zoll, Münze,
Mühlengerechtigkeit, Fischerei; sie besaß die Gerichtsbarkeit, zahlreiche Ge-
fälle, viele Aecker, Wiesen und Waldungen und die Dörfer Beyneburg (ganz)
und Ane, Schwebda, Geismar, Elbershausen (zum Theil).

Beide, Stift und Stadt, waren freilich aus einem Stamme erwachsen,
aus dem Kaiserhof Eschwege, doch war ersteres reicher providirt und behauptete
bedeutendes Uebergewicht über die Villa, die zum größern Theil von ihr ab¬
hängig war. Und als Eschwege zur Stadt erhoben wurde, da wurde die
frühere enge Verbindung des Ortes mit dem Stifte symbolisch im Stadtwap¬
pen ausgeprägt, welches die beiden Thürme der Stiftskirche von der West¬
seite enthielt. Aber der Glanz des heiligen Cyriacus erbleichte in dem Grade,
in dem das städtische Leben erstarkte und das frühere Verhältniß gestaltete
sich anders, als der kaiserliche Schirm verschwand und fürstliche Beamten in
Eschwege einzogen. Schon früher begegnen wir einem Eingriffe der städtischen
Institutionen in die Gerechtsame des Stifts, seitdem emancipirte sich die Ge¬
meinde immer mehr, die Oberin mußte der Stadt die Münzgerechtigkeit ab¬
treten, die stiftische Gerichtsbarkeit ging auf den städtischen Schöppenstuhl
über, dem Stifte geschah am althergebrachten Zolle Eintrag, seine Capläne
mußten Stadtarbeit und Wachen thun und je älter es wurde, desto mehr
nahmen seine Bedrängnisse zu. Nach der Säkularisation zog endlich die
städtische Knabenschule in die Stiftsgebäude ein und auf dem noch stehenden
Thurme der alten Stiftskirche wohnt jetzt ein städtischer Wächter.

Wie in den meisten Städten, so gestaltete sich auch zu Eschwege die
Verfassung zuerst ganz aristokratisch. Von den benachbarten Orten zogen
freie Leute in die neue Stadt, die ihnen sicheren Aufenthalt und ehrenvolle
Gemeindeverbindung darbot, da die wenig geachteten Handwerker anfangs
nicht zur Gemeinde gehörten, Zunftcorperationen sich noch nicht gebildet
hatten und überhaupt von einem Bürgerthume im späteren Sinne, im Ge¬
gensatze zum Adel, noch nicht die Rede war. So entstand hier eine Aristo¬
kratie, erwachsen aus einer Anzahl bevorzugter Geschlechter, welche, zum Theil
in der Umgegend stark begütert und in Lehnsverhältnissen stehend, die Zügel
des städtischen Regiments in Händen hatten. Der Stadtrath bestand aus
12 Consuln, deren Häupter zwei Rathsmeister (irmgistri oonsuwm) waren
und diese Zwölf waren' zugleich die Schöffen, welche in den von den fürst¬
lichen Vögten oder Schultheißen gehegten Gerichten das Urtheil fanden. Der
Rath wurde jährlich neu gewählt und trat im Herbst sein Amt an. — Wir
bemerken nun in Eschwege schon frühe ein allmähliches Zurücktreten des
streng aristokratischen Elements im Stadtrathe: 1331 erscheinen schon zwei


Grenzboten III. 1868. 39
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/329>, abgerufen am 01.07.2024.