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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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selbst fällt daraus kaum ein neues Licht. Man ist genau orientirt über das
Rabbinenthum, über das Synagogenwesen, man weiß, wie Art und Um¬
fang des religiösen Unterrichts beschaffen war, aber speziell über die Jugend
und Jugendbildung Jesu bis zu dem Zeitpunkt, wo er selbst als Lehrer auf¬
tritt, wissen wir durchaus nichts; es ist ein lediglich unbeschriebenes Blatt
das man immerhin mit Ausführungen jener Art ausfüllen mag, weil'sie wenig¬
stens den Schluß erlauben, was etwa Jesus in solcher Schule sich angeeignet
haben mag. Und was dann die Hauptstücke der Biographie betrifft, die relgiöse
Anlage Jesu und ihre Entwickelung, der Inhalt seines Entschlusses zum öffent¬
lichen Auftreten, sein inneres Verhältniß zur Messiasidee.über diese entscheidenden
Momente ist jeder Schriftsteller auf den Weg der Combination gewiesen.
So sehr lassen die Quellen im Stich, daß er diese Fragen nur beantworten
wird je nach der allgemeinen Anschauung, die er sich von Jesus und seinem
Werk gebildet hat. Es- ist doch mehr oder weniger ein Ideal des neunzehn¬
ten Jahrhunderts, das uns die .modernen Biographen geben, und un-
widersprechlich ist dabei nur das eine: je einfacher seine Züge, desto mehr
wird es uns als ähnlich anmuthen. Am wenigsten können rhetorische Häu¬
fungen an die Wirkung reichen oder gar sie überbieten, welche die Strauß'sche
Schilderung hervorbringt. Dieser und jener neue Biograph sollte bedenken,
daß es immer die einfachsten Mittel waren, durch welche dieses weltgeschicht¬
liche Leben gewirkt hat. Je breiter es ausgeführt werden will, um so mehr
eigene Zuthat; je angestrengter die Versuche es bis in seine letzten Fasern
zu zergliedern, um so weniger der Eindruck voller und ungebrochener Natur.

Daher denn der vorherrschend subjective Charakter dieser neueren Be¬
arbeitungen des Lebens Jesu. Wir fürchten, die meisten werden einst mehr ihre
Bedeutung haben als Beiträge zur Charakteristik unserer heutigen Wissenschaft,
denn als Beiträge zur Charakteristik Jesu. In der That beruht das Interesse, das
wir diesen Werken entgegenbringen, weniger auf der Frage, was wir nun aus
ihnen Neues erfahren als gesichertes Ergebniß der Forschung; uns reizt ungleich
mehr die Methode der Forschung. Wir fragen, wie die philosophischen oder
religiösen Prämissen des Schriftstellers sich bewährt haben in seiner Durch¬
führung, oder in welchem Maße es ihm gelungen ist seiner Hypothese den
Eindruck der Harmonie und der inneren Wahrscheinlichkeit zu verleihen, in
wie fern er sie zu begründen versteht aus den unzweifelhaft sicheren Spuren der
Ueberlieferung, und wie sie andrerseits zusammenstimmt mit den Wirkungen
die unzweifelhaft von diesem Leben ausgegangen sind. Wir sind im voraus
resignirt, daß die Ausbeute an neuen Resultaten bescheiden ausfallen wird,
aber es zieht uns der Künstler an, der aufs neue den bekannten Stoff zu ge¬
stalten versucht.

Freilich nicht müssig und willkürlich sind diese Versuche, auf dem Wege


selbst fällt daraus kaum ein neues Licht. Man ist genau orientirt über das
Rabbinenthum, über das Synagogenwesen, man weiß, wie Art und Um¬
fang des religiösen Unterrichts beschaffen war, aber speziell über die Jugend
und Jugendbildung Jesu bis zu dem Zeitpunkt, wo er selbst als Lehrer auf¬
tritt, wissen wir durchaus nichts; es ist ein lediglich unbeschriebenes Blatt
das man immerhin mit Ausführungen jener Art ausfüllen mag, weil'sie wenig¬
stens den Schluß erlauben, was etwa Jesus in solcher Schule sich angeeignet
haben mag. Und was dann die Hauptstücke der Biographie betrifft, die relgiöse
Anlage Jesu und ihre Entwickelung, der Inhalt seines Entschlusses zum öffent¬
lichen Auftreten, sein inneres Verhältniß zur Messiasidee.über diese entscheidenden
Momente ist jeder Schriftsteller auf den Weg der Combination gewiesen.
So sehr lassen die Quellen im Stich, daß er diese Fragen nur beantworten
wird je nach der allgemeinen Anschauung, die er sich von Jesus und seinem
Werk gebildet hat. Es- ist doch mehr oder weniger ein Ideal des neunzehn¬
ten Jahrhunderts, das uns die .modernen Biographen geben, und un-
widersprechlich ist dabei nur das eine: je einfacher seine Züge, desto mehr
wird es uns als ähnlich anmuthen. Am wenigsten können rhetorische Häu¬
fungen an die Wirkung reichen oder gar sie überbieten, welche die Strauß'sche
Schilderung hervorbringt. Dieser und jener neue Biograph sollte bedenken,
daß es immer die einfachsten Mittel waren, durch welche dieses weltgeschicht¬
liche Leben gewirkt hat. Je breiter es ausgeführt werden will, um so mehr
eigene Zuthat; je angestrengter die Versuche es bis in seine letzten Fasern
zu zergliedern, um so weniger der Eindruck voller und ungebrochener Natur.

Daher denn der vorherrschend subjective Charakter dieser neueren Be¬
arbeitungen des Lebens Jesu. Wir fürchten, die meisten werden einst mehr ihre
Bedeutung haben als Beiträge zur Charakteristik unserer heutigen Wissenschaft,
denn als Beiträge zur Charakteristik Jesu. In der That beruht das Interesse, das
wir diesen Werken entgegenbringen, weniger auf der Frage, was wir nun aus
ihnen Neues erfahren als gesichertes Ergebniß der Forschung; uns reizt ungleich
mehr die Methode der Forschung. Wir fragen, wie die philosophischen oder
religiösen Prämissen des Schriftstellers sich bewährt haben in seiner Durch¬
führung, oder in welchem Maße es ihm gelungen ist seiner Hypothese den
Eindruck der Harmonie und der inneren Wahrscheinlichkeit zu verleihen, in
wie fern er sie zu begründen versteht aus den unzweifelhaft sicheren Spuren der
Ueberlieferung, und wie sie andrerseits zusammenstimmt mit den Wirkungen
die unzweifelhaft von diesem Leben ausgegangen sind. Wir sind im voraus
resignirt, daß die Ausbeute an neuen Resultaten bescheiden ausfallen wird,
aber es zieht uns der Künstler an, der aufs neue den bekannten Stoff zu ge¬
stalten versucht.

Freilich nicht müssig und willkürlich sind diese Versuche, auf dem Wege


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[0318] selbst fällt daraus kaum ein neues Licht. Man ist genau orientirt über das Rabbinenthum, über das Synagogenwesen, man weiß, wie Art und Um¬ fang des religiösen Unterrichts beschaffen war, aber speziell über die Jugend und Jugendbildung Jesu bis zu dem Zeitpunkt, wo er selbst als Lehrer auf¬ tritt, wissen wir durchaus nichts; es ist ein lediglich unbeschriebenes Blatt das man immerhin mit Ausführungen jener Art ausfüllen mag, weil'sie wenig¬ stens den Schluß erlauben, was etwa Jesus in solcher Schule sich angeeignet haben mag. Und was dann die Hauptstücke der Biographie betrifft, die relgiöse Anlage Jesu und ihre Entwickelung, der Inhalt seines Entschlusses zum öffent¬ lichen Auftreten, sein inneres Verhältniß zur Messiasidee.über diese entscheidenden Momente ist jeder Schriftsteller auf den Weg der Combination gewiesen. So sehr lassen die Quellen im Stich, daß er diese Fragen nur beantworten wird je nach der allgemeinen Anschauung, die er sich von Jesus und seinem Werk gebildet hat. Es- ist doch mehr oder weniger ein Ideal des neunzehn¬ ten Jahrhunderts, das uns die .modernen Biographen geben, und un- widersprechlich ist dabei nur das eine: je einfacher seine Züge, desto mehr wird es uns als ähnlich anmuthen. Am wenigsten können rhetorische Häu¬ fungen an die Wirkung reichen oder gar sie überbieten, welche die Strauß'sche Schilderung hervorbringt. Dieser und jener neue Biograph sollte bedenken, daß es immer die einfachsten Mittel waren, durch welche dieses weltgeschicht¬ liche Leben gewirkt hat. Je breiter es ausgeführt werden will, um so mehr eigene Zuthat; je angestrengter die Versuche es bis in seine letzten Fasern zu zergliedern, um so weniger der Eindruck voller und ungebrochener Natur. Daher denn der vorherrschend subjective Charakter dieser neueren Be¬ arbeitungen des Lebens Jesu. Wir fürchten, die meisten werden einst mehr ihre Bedeutung haben als Beiträge zur Charakteristik unserer heutigen Wissenschaft, denn als Beiträge zur Charakteristik Jesu. In der That beruht das Interesse, das wir diesen Werken entgegenbringen, weniger auf der Frage, was wir nun aus ihnen Neues erfahren als gesichertes Ergebniß der Forschung; uns reizt ungleich mehr die Methode der Forschung. Wir fragen, wie die philosophischen oder religiösen Prämissen des Schriftstellers sich bewährt haben in seiner Durch¬ führung, oder in welchem Maße es ihm gelungen ist seiner Hypothese den Eindruck der Harmonie und der inneren Wahrscheinlichkeit zu verleihen, in wie fern er sie zu begründen versteht aus den unzweifelhaft sicheren Spuren der Ueberlieferung, und wie sie andrerseits zusammenstimmt mit den Wirkungen die unzweifelhaft von diesem Leben ausgegangen sind. Wir sind im voraus resignirt, daß die Ausbeute an neuen Resultaten bescheiden ausfallen wird, aber es zieht uns der Künstler an, der aufs neue den bekannten Stoff zu ge¬ stalten versucht. Freilich nicht müssig und willkürlich sind diese Versuche, auf dem Wege

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/318>, abgerufen am 02.10.2024.