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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Hausraths neutestamentliche Zeitgeschichte.

neutestamentliche Zeitgeschichte von A. Hausrath, Prof. an der Universität
Heidelberg. I. Theil. Die Zeit Jesu. Heidelberg 1868.

Man muß gestehen, daß all' die zahlreichen Untersuchungen, deren Gegen¬
stand das Leben Jesu bis heute gewesen ist, alle erneuten Darstellungen des¬
selben, die von den verschiedensten Standpunkten aus versucht worden sind,
den Umfang dessen, was wir als historisch sicher über das Leben und die
Persönlichkeit unseres Religionsstifters wissen, nicht erheblich erweitert haben.
Es liegt dies, wie Jedermann weiß, an der Spärlichkeit der Quellen, die von
nirgends her einen directen Zuwachs mehr zu hoffen hat. und an der eigen¬
thümlichen Beschaffenheit dieser Quellen, die noch überdies zwingt, von den¬
selben einen sehr behutsamen Gebrauch zu machen. Ein wesentlicher Theil
des Lebens Jesu ist darum eben die Orientirung in dieser Quellenliteratur
geworden, und eine Zeitlang schienen die Forschungen, welche dieser galten-
ungleich wichtiger zu sein und den Eifer der Gelehrten ungleich mehr zu
reizen, als das, wozu sie zunächst doch nur ein Mittel, eine Hilfswissenschaft
waren. Erst als die Arbeit der Evangelienkritik einen gewissen Abschluß ge¬
funden hatte, als über die Hauptpunkte, eine annähernde Verständigung
erzielt war, und insbesondere die Ansichten der tübinger Schule über das
Verhältniß des vierten Evangeliums zu den drei ersten, was doch immer
der entscheidende Punkt war. nach hartem Kampf auch innerhalb der officiellen
Theologie sich Anerkennung errungen hatten, trat das andere Interesse wieder
in den Vordergrund, mit dem, was an verwendbaren Bausteinen übrig ge¬
blieben war, den positiven Aufbau der Biographie Jesu zu versuchen.

Allein es ist nicht zu leugnen: noch immer gilt das Wort von Strauß,
daß wir über keinen großen Mann der Geschichte so ungenügend unterrichtet
sind, als über Jesus. Alles was der Sammelfleiß der Gelehrten aus den
Quellen zusammenzutragen und ihr Scharfsinn aus denselben herauszulesen
gewußt hat, ist doch ungleich mehr dem Beiwerk als dem Kern der Aufgabe
zu statten gekommen. Es sind in den letzten Jahren sehr anziehende Studien
zu Tage gefördert worden, über die geographischen Verhältnisse, die Landes¬
geschichte und speziell die Landschaft, in der Jesus geboren wurde; man hat über
die damaligen Zustände des jüdischen Volks, die äußeren wie die inneren, insbe¬
sondere seine religiösen Verhältnisse, sein Parteiwesen die werthvollsten Unter¬
suchungen angestellt. Aber Jedermann sieht, daß dies Alles nur in mittel¬
barer Beziehung zu einem Leben Jesu steht; es zeichnet den historischen Bo¬
den, auf welchem dieses Leben erwuchs, aber auf das Geheimniß dieses Lebens


Hausraths neutestamentliche Zeitgeschichte.

neutestamentliche Zeitgeschichte von A. Hausrath, Prof. an der Universität
Heidelberg. I. Theil. Die Zeit Jesu. Heidelberg 1868.

Man muß gestehen, daß all' die zahlreichen Untersuchungen, deren Gegen¬
stand das Leben Jesu bis heute gewesen ist, alle erneuten Darstellungen des¬
selben, die von den verschiedensten Standpunkten aus versucht worden sind,
den Umfang dessen, was wir als historisch sicher über das Leben und die
Persönlichkeit unseres Religionsstifters wissen, nicht erheblich erweitert haben.
Es liegt dies, wie Jedermann weiß, an der Spärlichkeit der Quellen, die von
nirgends her einen directen Zuwachs mehr zu hoffen hat. und an der eigen¬
thümlichen Beschaffenheit dieser Quellen, die noch überdies zwingt, von den¬
selben einen sehr behutsamen Gebrauch zu machen. Ein wesentlicher Theil
des Lebens Jesu ist darum eben die Orientirung in dieser Quellenliteratur
geworden, und eine Zeitlang schienen die Forschungen, welche dieser galten-
ungleich wichtiger zu sein und den Eifer der Gelehrten ungleich mehr zu
reizen, als das, wozu sie zunächst doch nur ein Mittel, eine Hilfswissenschaft
waren. Erst als die Arbeit der Evangelienkritik einen gewissen Abschluß ge¬
funden hatte, als über die Hauptpunkte, eine annähernde Verständigung
erzielt war, und insbesondere die Ansichten der tübinger Schule über das
Verhältniß des vierten Evangeliums zu den drei ersten, was doch immer
der entscheidende Punkt war. nach hartem Kampf auch innerhalb der officiellen
Theologie sich Anerkennung errungen hatten, trat das andere Interesse wieder
in den Vordergrund, mit dem, was an verwendbaren Bausteinen übrig ge¬
blieben war, den positiven Aufbau der Biographie Jesu zu versuchen.

Allein es ist nicht zu leugnen: noch immer gilt das Wort von Strauß,
daß wir über keinen großen Mann der Geschichte so ungenügend unterrichtet
sind, als über Jesus. Alles was der Sammelfleiß der Gelehrten aus den
Quellen zusammenzutragen und ihr Scharfsinn aus denselben herauszulesen
gewußt hat, ist doch ungleich mehr dem Beiwerk als dem Kern der Aufgabe
zu statten gekommen. Es sind in den letzten Jahren sehr anziehende Studien
zu Tage gefördert worden, über die geographischen Verhältnisse, die Landes¬
geschichte und speziell die Landschaft, in der Jesus geboren wurde; man hat über
die damaligen Zustände des jüdischen Volks, die äußeren wie die inneren, insbe¬
sondere seine religiösen Verhältnisse, sein Parteiwesen die werthvollsten Unter¬
suchungen angestellt. Aber Jedermann sieht, daß dies Alles nur in mittel¬
barer Beziehung zu einem Leben Jesu steht; es zeichnet den historischen Bo¬
den, auf welchem dieses Leben erwuchs, aber auf das Geheimniß dieses Lebens


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[0317] Hausraths neutestamentliche Zeitgeschichte. neutestamentliche Zeitgeschichte von A. Hausrath, Prof. an der Universität Heidelberg. I. Theil. Die Zeit Jesu. Heidelberg 1868. Man muß gestehen, daß all' die zahlreichen Untersuchungen, deren Gegen¬ stand das Leben Jesu bis heute gewesen ist, alle erneuten Darstellungen des¬ selben, die von den verschiedensten Standpunkten aus versucht worden sind, den Umfang dessen, was wir als historisch sicher über das Leben und die Persönlichkeit unseres Religionsstifters wissen, nicht erheblich erweitert haben. Es liegt dies, wie Jedermann weiß, an der Spärlichkeit der Quellen, die von nirgends her einen directen Zuwachs mehr zu hoffen hat. und an der eigen¬ thümlichen Beschaffenheit dieser Quellen, die noch überdies zwingt, von den¬ selben einen sehr behutsamen Gebrauch zu machen. Ein wesentlicher Theil des Lebens Jesu ist darum eben die Orientirung in dieser Quellenliteratur geworden, und eine Zeitlang schienen die Forschungen, welche dieser galten- ungleich wichtiger zu sein und den Eifer der Gelehrten ungleich mehr zu reizen, als das, wozu sie zunächst doch nur ein Mittel, eine Hilfswissenschaft waren. Erst als die Arbeit der Evangelienkritik einen gewissen Abschluß ge¬ funden hatte, als über die Hauptpunkte, eine annähernde Verständigung erzielt war, und insbesondere die Ansichten der tübinger Schule über das Verhältniß des vierten Evangeliums zu den drei ersten, was doch immer der entscheidende Punkt war. nach hartem Kampf auch innerhalb der officiellen Theologie sich Anerkennung errungen hatten, trat das andere Interesse wieder in den Vordergrund, mit dem, was an verwendbaren Bausteinen übrig ge¬ blieben war, den positiven Aufbau der Biographie Jesu zu versuchen. Allein es ist nicht zu leugnen: noch immer gilt das Wort von Strauß, daß wir über keinen großen Mann der Geschichte so ungenügend unterrichtet sind, als über Jesus. Alles was der Sammelfleiß der Gelehrten aus den Quellen zusammenzutragen und ihr Scharfsinn aus denselben herauszulesen gewußt hat, ist doch ungleich mehr dem Beiwerk als dem Kern der Aufgabe zu statten gekommen. Es sind in den letzten Jahren sehr anziehende Studien zu Tage gefördert worden, über die geographischen Verhältnisse, die Landes¬ geschichte und speziell die Landschaft, in der Jesus geboren wurde; man hat über die damaligen Zustände des jüdischen Volks, die äußeren wie die inneren, insbe¬ sondere seine religiösen Verhältnisse, sein Parteiwesen die werthvollsten Unter¬ suchungen angestellt. Aber Jedermann sieht, daß dies Alles nur in mittel¬ barer Beziehung zu einem Leben Jesu steht; es zeichnet den historischen Bo¬ den, auf welchem dieses Leben erwuchs, aber auf das Geheimniß dieses Lebens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/317>, abgerufen am 04.07.2024.