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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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etwas weniger hager, ältlich und nervig dargestellt, weil wir so Jason's Treu¬
bruch, wenn nicht gar verzeihen, so doch begreifen. -- Das oft behandelte Sujet,
ist in satten intensiven Farben mit breitem Pinsel, im "classischem" Stil ge¬
malt, hat aber Orginalität genug, um einst mit einer Medaille belohnt
zu werden. Es ist wenigstens der Medea von Armand Condor bei weitem
vorzuziehen, die einer Furie gleich, nachdem sie den Mord schon vollbracht,
von einem scharlachrothen Mantel umflattert, ihren Drachenwagen besteigt,
um als echte Hexe durch die Lüste davonzufahren. -- Auch Herr Guil-
lamet erreicht im Schauerlichen fast das Erhabene; obgleich er uns im Vor¬
dergrunde seines Bildes fast nichts wie das Gerippe eines Kameels zeigt, an
dem Geier und wilde Bestien, noch einige Reste von Haut und Muskeln
übrig gelassen, so dehnt er doch die ungeheure Perspective der Wüste und
den darüber zitternden glühenden Himmel so magisch duftig aus, daß man
wirklich vor einer unendlichen Fläche und Tiefe zu stehen wähnt. Wenn wir
genau Hinsehen, entdecken wir in den Pünktchen am Horizont eine herbei¬
ziehende Karavane.

Daß übrigens in der leidigen Effecthascherei ein Theil der französischen
Künstler auf schlüpfrigen Abwegen wandelt, von denen einer oder der andere
zuweilen einen bösen Sturz thut, beweist Niemand schlagender, wie Herr
Courbet, "der Prophet von Ornaus" oder der "Hohepriester des Realismus"
wie er sich noch lieber nennen hört. Nachdem er mit seinem nackten, mit
einem Papagei spielenden Fräulein im Salon 1866 viel Lärm verursacht, hat
er jetzt in seinem schmutzigen Bettler, dessen Gliederbau noch dazu aus allen
Fugen gereute ist, und der einem schmutzigerem Jungen, dem Sohn des
schmutzigsten alten Weibes, cynisch ein Almosen giebt, und der ohne alle
Farbe, Zeichnung und Sentiment geradezu mit dem Borstwische aus Lehm
und Ruß hingepinselt erscheint -- sich so ganz ins Alberne verirrt, daß man
an der Zurechnungsfähigkeit des Künstlers zweifelt, und daß selbst seine be¬
sten Freunde und sein zweites hübsches Bild: "ein Reh auf dem Anstand"
das nur durch etwas zu grelle, unruhige Farbe sündigt, ihn vor dem Sturm
des öffentlichen Unwillens nicht zu retten vermögen. Ja, man ist nahe daran,
ihn in die Acht zu erklären, und aus der edlen Künstlergilde auszustoßen,
weil man behauptet, daß er durch solche Sudelei nicht nur der vox xopuli
Trotz bietet, sondern alle Regeln der Kunst höhnisch mit Füßen tritt. Wir
dagegen halten Herrn Courbet einfach für einen Spaßvogel, der ein wenig
"Gamin" sich mit echt künstlerischem Muthwillen an der zischenden Petarde
ergötzt, die er so unvermuthet unter die "ernsthafte gute Gesellschaft" geschleu¬
dert hat, und der im nächsten Salon sein Künstlerwappen glänzend wieder re-
stauriren wird.

Flüchten wir schnell, um unsern Blick von diesen galvanischen Ver-


Grenzboten III. 1868. 37

etwas weniger hager, ältlich und nervig dargestellt, weil wir so Jason's Treu¬
bruch, wenn nicht gar verzeihen, so doch begreifen. — Das oft behandelte Sujet,
ist in satten intensiven Farben mit breitem Pinsel, im „classischem" Stil ge¬
malt, hat aber Orginalität genug, um einst mit einer Medaille belohnt
zu werden. Es ist wenigstens der Medea von Armand Condor bei weitem
vorzuziehen, die einer Furie gleich, nachdem sie den Mord schon vollbracht,
von einem scharlachrothen Mantel umflattert, ihren Drachenwagen besteigt,
um als echte Hexe durch die Lüste davonzufahren. — Auch Herr Guil-
lamet erreicht im Schauerlichen fast das Erhabene; obgleich er uns im Vor¬
dergrunde seines Bildes fast nichts wie das Gerippe eines Kameels zeigt, an
dem Geier und wilde Bestien, noch einige Reste von Haut und Muskeln
übrig gelassen, so dehnt er doch die ungeheure Perspective der Wüste und
den darüber zitternden glühenden Himmel so magisch duftig aus, daß man
wirklich vor einer unendlichen Fläche und Tiefe zu stehen wähnt. Wenn wir
genau Hinsehen, entdecken wir in den Pünktchen am Horizont eine herbei¬
ziehende Karavane.

Daß übrigens in der leidigen Effecthascherei ein Theil der französischen
Künstler auf schlüpfrigen Abwegen wandelt, von denen einer oder der andere
zuweilen einen bösen Sturz thut, beweist Niemand schlagender, wie Herr
Courbet, „der Prophet von Ornaus" oder der „Hohepriester des Realismus"
wie er sich noch lieber nennen hört. Nachdem er mit seinem nackten, mit
einem Papagei spielenden Fräulein im Salon 1866 viel Lärm verursacht, hat
er jetzt in seinem schmutzigen Bettler, dessen Gliederbau noch dazu aus allen
Fugen gereute ist, und der einem schmutzigerem Jungen, dem Sohn des
schmutzigsten alten Weibes, cynisch ein Almosen giebt, und der ohne alle
Farbe, Zeichnung und Sentiment geradezu mit dem Borstwische aus Lehm
und Ruß hingepinselt erscheint — sich so ganz ins Alberne verirrt, daß man
an der Zurechnungsfähigkeit des Künstlers zweifelt, und daß selbst seine be¬
sten Freunde und sein zweites hübsches Bild: „ein Reh auf dem Anstand"
das nur durch etwas zu grelle, unruhige Farbe sündigt, ihn vor dem Sturm
des öffentlichen Unwillens nicht zu retten vermögen. Ja, man ist nahe daran,
ihn in die Acht zu erklären, und aus der edlen Künstlergilde auszustoßen,
weil man behauptet, daß er durch solche Sudelei nicht nur der vox xopuli
Trotz bietet, sondern alle Regeln der Kunst höhnisch mit Füßen tritt. Wir
dagegen halten Herrn Courbet einfach für einen Spaßvogel, der ein wenig
„Gamin" sich mit echt künstlerischem Muthwillen an der zischenden Petarde
ergötzt, die er so unvermuthet unter die „ernsthafte gute Gesellschaft" geschleu¬
dert hat, und der im nächsten Salon sein Künstlerwappen glänzend wieder re-
stauriren wird.

Flüchten wir schnell, um unsern Blick von diesen galvanischen Ver-


Grenzboten III. 1868. 37
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/313>, abgerufen am 04.07.2024.