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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Mischer Künstler vorzuziehen, -- aber zu dem gesunden Sinne des Volkes
haben wir das Zutrauen, daß es den Rausch, den solche importirte Narko-
tika nach sich ziehen, nicht wie die darin geübten Pariser lieb gewinnen, son¬
dern aus die Dauer sich herzhaft vom Leibe halten wird. Dore' wird nie über¬
winden können, daß er vom Journal xour rii-v und dergleichen ausgegangen
ist. Dahin gehört sein Talent; es mag austoben -- denn "Toben" ist der
einzige passende Ausdruck für solche Massenerzeugnisse -- aber wenn der Clowne
den Priesterrock anzieht, so wird er kläglich oder, was wir in diesem Falle
mehr fürchten: beklagenswert!).

Cham, der geistreiche Carricaturenzeichner, privilegirt, Jedem die Wahr¬
heit zu octroyiren, hält den Pfeil des Spottes diesmal kameradschaftlich zurück
und zeichnet verblümt nur die Mauer, an der ein Schütze auf einer Leinwand
von 1S00 Metern Perspective nicht ins Schwarze trifft. I^ö L^lon xour
rirs, schon kecker, bringt dagegegen eine gute Charge des Bildes -- die
Schatten von drei Ordenskreuzen auf einem leeren Hügel mit der Unterschrift:
"Beweis der Wirkung, welche links und rechts, ohne Unterschied vertheilte
Kreuze auf schlechte Malerei haben." Auch Herr Louis Baader der 1867
durch Hero und Leander, seine Medaille mit Recht gewonnen, bietet uns
heute statt des Lebendigen nur Fäulniß und Verwesung. Auch er obgleich
das Häßliche offenbar nicht absichtlich intendirend, wie Ribot, Courbet und
Manet, die Adepten des "Realismus", wußte doch seiner kranken Imagina¬
tion kein anderes Thema zu entlocken, als "römische Sklaven lebendig den
Muränen zur Nahrung vorzuwerfen." Man denke sich ein finsteres Gewölbe
voll Moderluft, von einer trüben Lache umspült, in der die schlangenartigen
Fische schwimmen. Eine Mutter, ihr Kind an sich pressend, sieht verzweif¬
lungsvoll der Agonie eines im Wasser liegenden Greises zu, dem die Blut¬
sauger eben die letzten Kräfte entziehen -- ein männlicher Sklave rüttelt mit
wildem Grimm an dem Gitter dieses höllischen Kerkers aus dem kein Ent¬
rinnen ist. Alles vortrefflich gemalt, -- präcis, wie photographirter Alpdruck:
und über solchen Scheußlichkeiten verharrt der Maler monatelang, und er ist
nicht wirklich verrückt geworden, ein Beweis, daß es unsere neufranzösischen
Routinisten an Nervenzähigkeit mit dem Schindangerhumor des Mittelalters
vollkommen aufnehmen. Man kommt dabei vor dem pathologischen Problem
gar nicht bis zum ästhetischen, was auch gar nicht nöthig ist. Wenn das
Entsetzliche die letzte Stufe ist, auf der es der Kunst noch erlaubt ist mit unserer
Furcht und unserem Mitleid zu spielen, so ist das Ekelhafte und Abscheuliche
schlechterdings ausgeschlossen.

Herr Klagmann hat diese Grenze des Gräßlichen fein verstanden, und
überschreitet sie nicht, wenn er auch für seine "Medea" unsere Sympathie
nicht ganz zu gewinnen vermochte. Wir hätten es ihm gedankt, wäre sie


Mischer Künstler vorzuziehen, — aber zu dem gesunden Sinne des Volkes
haben wir das Zutrauen, daß es den Rausch, den solche importirte Narko-
tika nach sich ziehen, nicht wie die darin geübten Pariser lieb gewinnen, son¬
dern aus die Dauer sich herzhaft vom Leibe halten wird. Dore' wird nie über¬
winden können, daß er vom Journal xour rii-v und dergleichen ausgegangen
ist. Dahin gehört sein Talent; es mag austoben — denn „Toben" ist der
einzige passende Ausdruck für solche Massenerzeugnisse — aber wenn der Clowne
den Priesterrock anzieht, so wird er kläglich oder, was wir in diesem Falle
mehr fürchten: beklagenswert!).

Cham, der geistreiche Carricaturenzeichner, privilegirt, Jedem die Wahr¬
heit zu octroyiren, hält den Pfeil des Spottes diesmal kameradschaftlich zurück
und zeichnet verblümt nur die Mauer, an der ein Schütze auf einer Leinwand
von 1S00 Metern Perspective nicht ins Schwarze trifft. I^ö L^lon xour
rirs, schon kecker, bringt dagegegen eine gute Charge des Bildes — die
Schatten von drei Ordenskreuzen auf einem leeren Hügel mit der Unterschrift:
„Beweis der Wirkung, welche links und rechts, ohne Unterschied vertheilte
Kreuze auf schlechte Malerei haben." Auch Herr Louis Baader der 1867
durch Hero und Leander, seine Medaille mit Recht gewonnen, bietet uns
heute statt des Lebendigen nur Fäulniß und Verwesung. Auch er obgleich
das Häßliche offenbar nicht absichtlich intendirend, wie Ribot, Courbet und
Manet, die Adepten des „Realismus", wußte doch seiner kranken Imagina¬
tion kein anderes Thema zu entlocken, als „römische Sklaven lebendig den
Muränen zur Nahrung vorzuwerfen." Man denke sich ein finsteres Gewölbe
voll Moderluft, von einer trüben Lache umspült, in der die schlangenartigen
Fische schwimmen. Eine Mutter, ihr Kind an sich pressend, sieht verzweif¬
lungsvoll der Agonie eines im Wasser liegenden Greises zu, dem die Blut¬
sauger eben die letzten Kräfte entziehen — ein männlicher Sklave rüttelt mit
wildem Grimm an dem Gitter dieses höllischen Kerkers aus dem kein Ent¬
rinnen ist. Alles vortrefflich gemalt, — präcis, wie photographirter Alpdruck:
und über solchen Scheußlichkeiten verharrt der Maler monatelang, und er ist
nicht wirklich verrückt geworden, ein Beweis, daß es unsere neufranzösischen
Routinisten an Nervenzähigkeit mit dem Schindangerhumor des Mittelalters
vollkommen aufnehmen. Man kommt dabei vor dem pathologischen Problem
gar nicht bis zum ästhetischen, was auch gar nicht nöthig ist. Wenn das
Entsetzliche die letzte Stufe ist, auf der es der Kunst noch erlaubt ist mit unserer
Furcht und unserem Mitleid zu spielen, so ist das Ekelhafte und Abscheuliche
schlechterdings ausgeschlossen.

Herr Klagmann hat diese Grenze des Gräßlichen fein verstanden, und
überschreitet sie nicht, wenn er auch für seine „Medea" unsere Sympathie
nicht ganz zu gewinnen vermochte. Wir hätten es ihm gedankt, wäre sie


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[0312] Mischer Künstler vorzuziehen, — aber zu dem gesunden Sinne des Volkes haben wir das Zutrauen, daß es den Rausch, den solche importirte Narko- tika nach sich ziehen, nicht wie die darin geübten Pariser lieb gewinnen, son¬ dern aus die Dauer sich herzhaft vom Leibe halten wird. Dore' wird nie über¬ winden können, daß er vom Journal xour rii-v und dergleichen ausgegangen ist. Dahin gehört sein Talent; es mag austoben — denn „Toben" ist der einzige passende Ausdruck für solche Massenerzeugnisse — aber wenn der Clowne den Priesterrock anzieht, so wird er kläglich oder, was wir in diesem Falle mehr fürchten: beklagenswert!). Cham, der geistreiche Carricaturenzeichner, privilegirt, Jedem die Wahr¬ heit zu octroyiren, hält den Pfeil des Spottes diesmal kameradschaftlich zurück und zeichnet verblümt nur die Mauer, an der ein Schütze auf einer Leinwand von 1S00 Metern Perspective nicht ins Schwarze trifft. I^ö L^lon xour rirs, schon kecker, bringt dagegegen eine gute Charge des Bildes — die Schatten von drei Ordenskreuzen auf einem leeren Hügel mit der Unterschrift: „Beweis der Wirkung, welche links und rechts, ohne Unterschied vertheilte Kreuze auf schlechte Malerei haben." Auch Herr Louis Baader der 1867 durch Hero und Leander, seine Medaille mit Recht gewonnen, bietet uns heute statt des Lebendigen nur Fäulniß und Verwesung. Auch er obgleich das Häßliche offenbar nicht absichtlich intendirend, wie Ribot, Courbet und Manet, die Adepten des „Realismus", wußte doch seiner kranken Imagina¬ tion kein anderes Thema zu entlocken, als „römische Sklaven lebendig den Muränen zur Nahrung vorzuwerfen." Man denke sich ein finsteres Gewölbe voll Moderluft, von einer trüben Lache umspült, in der die schlangenartigen Fische schwimmen. Eine Mutter, ihr Kind an sich pressend, sieht verzweif¬ lungsvoll der Agonie eines im Wasser liegenden Greises zu, dem die Blut¬ sauger eben die letzten Kräfte entziehen — ein männlicher Sklave rüttelt mit wildem Grimm an dem Gitter dieses höllischen Kerkers aus dem kein Ent¬ rinnen ist. Alles vortrefflich gemalt, — präcis, wie photographirter Alpdruck: und über solchen Scheußlichkeiten verharrt der Maler monatelang, und er ist nicht wirklich verrückt geworden, ein Beweis, daß es unsere neufranzösischen Routinisten an Nervenzähigkeit mit dem Schindangerhumor des Mittelalters vollkommen aufnehmen. Man kommt dabei vor dem pathologischen Problem gar nicht bis zum ästhetischen, was auch gar nicht nöthig ist. Wenn das Entsetzliche die letzte Stufe ist, auf der es der Kunst noch erlaubt ist mit unserer Furcht und unserem Mitleid zu spielen, so ist das Ekelhafte und Abscheuliche schlechterdings ausgeschlossen. Herr Klagmann hat diese Grenze des Gräßlichen fein verstanden, und überschreitet sie nicht, wenn er auch für seine „Medea" unsere Sympathie nicht ganz zu gewinnen vermochte. Wir hätten es ihm gedankt, wäre sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/312>, abgerufen am 02.10.2024.