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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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fach als Landschaft gesehen, zwar kaum eines choquanten Eindruckes: Der
Himmel ist bleischwer verdunkelt, die Sonne im Hintergrunde erscheint nur
als blutiger Ring einen düsterrothen Schein nach Osten werfend; das Opfer
ist vollbracht, denn im Mittelgrunde ziehen die Kriegsknechte und das Heer
der gaffenden Spötter gen Jerusalem, von dem man in der düstern Nebel¬
form kaum die Zinnen erkennt. Gilt es nur, uns eine Stimmung mitzutheilen,
so ist Gerome ein Maler wie Keiner, unvergleichlich und unnachahmlich.
Er hat aber immer zugleich den Jnstinct für das Unrichtige in seiner Kunst, und
sein Dichten mit dem Pinsel ist um so verführerischer, weil er denselben mit mei¬
sterhafter Virtuosität handhabt. Daher der Eindruck des leeren Pathos. Ueber-
dies hat er zu viel literarischen esprit, er schießt oft über das Ziel hinaus,
und statt des geistreichen bon-mot, das er ersonnen, vernehmen wir nur
eine banale Phrase. Er wirkt wie die Sophisten durch Ueberraschung und
Contraste, Paradoxen und Antithesen, und mit diesem Blendwerk der Wahr¬
heit, das immer da auftritt, wo ihr Geist entwichen, verbindet sich eine bei¬
ßende Ironie. Seine Imagination hat das poetische Ideal entweder nie be¬
sessen oder verwahrlost. Wir erinnern nur an seine realistische Cleopatra,
die sich vor dem Cäsar, an seine Phryne, die sich vor dem lüsternen Areo-
pag entschleiert, an seine hohnlachenden Auguren, an den Sklavenmarkt, auf
dem der Käufer die Zähne der schönen Waare untersucht, endlich gar an
den Haufen abgesäbelter Türkenköpfe am Eingange einer Moschee, von zwei
Garden der Pforte bewacht, deren Einer im Ringpanzer indolent mit dem
Schwerte spielt, während der andere im Turban sich durch den Wohlgeruch
seines Narghile's vor dem neben ihm aufsteigenden Verwesungsduft phleg¬
matisch zu schützen sucht. Der Enthusiasmus der kritischen gourmets für
so widrige Schaugerichten , beweist eben recht den Iland-xoüt, worin ein Theil
der französischen Kunst-Philosophie und Tageslitteratur, die wohl leider
allzusehr der Spiegel des hiesigen Lebens blendet, sich heut zu Tage
verirrt haben. -- Der blasirte Gaumen des Parisers muß durch scharfe
Würze gekitzelt werden, wenn er überhaupt noch kosten soll, und das eitele
"Von sich reden machen", ist meist ein viel stärkerer Antrieb für die hiesigen
Kunstbrüder, als der Stolz, die Stufen des Tempels zu erreichen. Daher
so viel Verbildetes, Verzerrtes, Ungeheuerliches und Manirirtes im Salon,
-- des geradezu Widerwärtigen und Obscönen -- wie es sich bei uns in
Deutschland doch gottlob! nie an die Oeffentlichkeit wagen dürfte -- gar nicht
einmal zu gedenken. Sollte die hiesige unsaubere Novellistik, die sich nur in
Fictionen von Herrschaft des Hetärenthums, Mord, Raub und Ehebruch, kurz
jeder Schandthat, welche das öffentliche Criminal-Verfahren an's Licht zieht,
und womit Theater, Feuilletons und Romane die Phantasie Tausender täglich
ungestraft vergiften dürfen, ergeht, nicht an diesen lockern Sitten, am Verfall


fach als Landschaft gesehen, zwar kaum eines choquanten Eindruckes: Der
Himmel ist bleischwer verdunkelt, die Sonne im Hintergrunde erscheint nur
als blutiger Ring einen düsterrothen Schein nach Osten werfend; das Opfer
ist vollbracht, denn im Mittelgrunde ziehen die Kriegsknechte und das Heer
der gaffenden Spötter gen Jerusalem, von dem man in der düstern Nebel¬
form kaum die Zinnen erkennt. Gilt es nur, uns eine Stimmung mitzutheilen,
so ist Gerome ein Maler wie Keiner, unvergleichlich und unnachahmlich.
Er hat aber immer zugleich den Jnstinct für das Unrichtige in seiner Kunst, und
sein Dichten mit dem Pinsel ist um so verführerischer, weil er denselben mit mei¬
sterhafter Virtuosität handhabt. Daher der Eindruck des leeren Pathos. Ueber-
dies hat er zu viel literarischen esprit, er schießt oft über das Ziel hinaus,
und statt des geistreichen bon-mot, das er ersonnen, vernehmen wir nur
eine banale Phrase. Er wirkt wie die Sophisten durch Ueberraschung und
Contraste, Paradoxen und Antithesen, und mit diesem Blendwerk der Wahr¬
heit, das immer da auftritt, wo ihr Geist entwichen, verbindet sich eine bei¬
ßende Ironie. Seine Imagination hat das poetische Ideal entweder nie be¬
sessen oder verwahrlost. Wir erinnern nur an seine realistische Cleopatra,
die sich vor dem Cäsar, an seine Phryne, die sich vor dem lüsternen Areo-
pag entschleiert, an seine hohnlachenden Auguren, an den Sklavenmarkt, auf
dem der Käufer die Zähne der schönen Waare untersucht, endlich gar an
den Haufen abgesäbelter Türkenköpfe am Eingange einer Moschee, von zwei
Garden der Pforte bewacht, deren Einer im Ringpanzer indolent mit dem
Schwerte spielt, während der andere im Turban sich durch den Wohlgeruch
seines Narghile's vor dem neben ihm aufsteigenden Verwesungsduft phleg¬
matisch zu schützen sucht. Der Enthusiasmus der kritischen gourmets für
so widrige Schaugerichten , beweist eben recht den Iland-xoüt, worin ein Theil
der französischen Kunst-Philosophie und Tageslitteratur, die wohl leider
allzusehr der Spiegel des hiesigen Lebens blendet, sich heut zu Tage
verirrt haben. — Der blasirte Gaumen des Parisers muß durch scharfe
Würze gekitzelt werden, wenn er überhaupt noch kosten soll, und das eitele
„Von sich reden machen", ist meist ein viel stärkerer Antrieb für die hiesigen
Kunstbrüder, als der Stolz, die Stufen des Tempels zu erreichen. Daher
so viel Verbildetes, Verzerrtes, Ungeheuerliches und Manirirtes im Salon,
— des geradezu Widerwärtigen und Obscönen — wie es sich bei uns in
Deutschland doch gottlob! nie an die Oeffentlichkeit wagen dürfte — gar nicht
einmal zu gedenken. Sollte die hiesige unsaubere Novellistik, die sich nur in
Fictionen von Herrschaft des Hetärenthums, Mord, Raub und Ehebruch, kurz
jeder Schandthat, welche das öffentliche Criminal-Verfahren an's Licht zieht,
und womit Theater, Feuilletons und Romane die Phantasie Tausender täglich
ungestraft vergiften dürfen, ergeht, nicht an diesen lockern Sitten, am Verfall


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/310>, abgerufen am 04.07.2024.