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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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um es zu erschweren oder ganz zu untersagen, zumal in der vormärzlichen
Zeit oder während der Reaction der fünfziger Jahre begierig ergriffen. Da
ein particuläres Verbot keine Wirkung versprach, wurde am Bundestage alles
Ernstes der Versuch gemacht, die Auswanderungsfreiheit in spanische Stiefel
zu schnüren. Diesen Tendenzen gegenüber konnte die hanseatische Politik
keine andere sein als die, der Auswanderung ihren Weg über Elbe und
Weser so leicht, bequem und sicher wie möglich zu machen. Eben dahin
drängte der Druck der Concurrenz ausländischer, zum Theil viel günstiger
gelegener Häfen. Die regelmäßige und massenhafte Passagierbeförderung war
nicht allein überhaupt lohnend, sondern geradezu eine Vorbedingung für den
Aufschwung des Handels mit Nordamerika, für welchen es sonst an Aus¬
frachten fehlte. Der Auswanderung, kann man sagen, dankt Bremen, daß
es der erste europäische Tabaksmarkt geworden ist. Und einen so wichtigen
Geschäftszweig hätte man nicht mit aller wünschenswerten Sorgfalt behan¬
deln sollen? hätte sich durch fahrlässiges Zusehen zu der Willkür der einzel¬
nen Betheiligten der Gefahr aussetzen sollen, daß entweder im Schoße der
auswanderungslustigen Bevölkerung eine Abneigung gegen die Fahrt über
Bremen entstehe, oder aber die deutschen Regierungen Anlaß erhielten, der
Stadt diese Quelle des reichlichsten und regelmäßigsten Gewinns ganz oder
theilweise abzugraben? Man muß keinen Begriff davon haben, in welchem
Grade die Hansestädte das Thun und Lassen ihrer Staatsgewalt von han¬
delspolitischen Gesichtspunkten bestimmen lassen, um auch nur einen Augen¬
blick daran zu zweifeln, daß ihre Gesetzgebung und Verwaltung von jeher
alles aufgeboten hat, um den Auswanderern in den Einschiffungshäfen wie
in den Schiffen selbst die beste Behandlung zu sichern. Die nach dieser Seite
hin geübte Wachsamkeit hat natürlich dadurch nicht ab-, sondern nur zugenom¬
men, daß der norddeutsche Bund erst in der Verfassung principiell, und darauf
praktisch durch das Organ bes Bundeskanzlers erklärt hat, sich der Auswan¬
derer seinerseits annehmen zu wollen.

Wenn demgemäß verfahren und eine Bundescontrolle sowohl in Ham¬
burg als im Bremerhafen bestellt wird, so kommen die Bundesorgane in den
Stand, sich ein zuverlässiges und selbständiges Urtheil über die Punkte zu
verschaffen, in welchen die hanseatische Gesetzgebung das Vorbild der künftigen
Bundesgesetzgebung abzugeben vermag und in welchen nicht. Dauernde
ruhige Beobachtung zweier sorgsam ausgesuchter Persönlichkeiten wird dafür
ganz andere Ergebnisse liefern, als die nothwendig oberflächliche Prüfung
einer rasch berufenen und nach heterogenen Gesichtspunkten zusammengesetzten
Commission. Der Bundesrath sollte sich mit der Aufstellung dieser beiden
Beobachter jedoch nicht begnügen. Er sollte gleichzeitig andere in Liverpool.
Havr?, Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam aufstellen, um durch die


um es zu erschweren oder ganz zu untersagen, zumal in der vormärzlichen
Zeit oder während der Reaction der fünfziger Jahre begierig ergriffen. Da
ein particuläres Verbot keine Wirkung versprach, wurde am Bundestage alles
Ernstes der Versuch gemacht, die Auswanderungsfreiheit in spanische Stiefel
zu schnüren. Diesen Tendenzen gegenüber konnte die hanseatische Politik
keine andere sein als die, der Auswanderung ihren Weg über Elbe und
Weser so leicht, bequem und sicher wie möglich zu machen. Eben dahin
drängte der Druck der Concurrenz ausländischer, zum Theil viel günstiger
gelegener Häfen. Die regelmäßige und massenhafte Passagierbeförderung war
nicht allein überhaupt lohnend, sondern geradezu eine Vorbedingung für den
Aufschwung des Handels mit Nordamerika, für welchen es sonst an Aus¬
frachten fehlte. Der Auswanderung, kann man sagen, dankt Bremen, daß
es der erste europäische Tabaksmarkt geworden ist. Und einen so wichtigen
Geschäftszweig hätte man nicht mit aller wünschenswerten Sorgfalt behan¬
deln sollen? hätte sich durch fahrlässiges Zusehen zu der Willkür der einzel¬
nen Betheiligten der Gefahr aussetzen sollen, daß entweder im Schoße der
auswanderungslustigen Bevölkerung eine Abneigung gegen die Fahrt über
Bremen entstehe, oder aber die deutschen Regierungen Anlaß erhielten, der
Stadt diese Quelle des reichlichsten und regelmäßigsten Gewinns ganz oder
theilweise abzugraben? Man muß keinen Begriff davon haben, in welchem
Grade die Hansestädte das Thun und Lassen ihrer Staatsgewalt von han¬
delspolitischen Gesichtspunkten bestimmen lassen, um auch nur einen Augen¬
blick daran zu zweifeln, daß ihre Gesetzgebung und Verwaltung von jeher
alles aufgeboten hat, um den Auswanderern in den Einschiffungshäfen wie
in den Schiffen selbst die beste Behandlung zu sichern. Die nach dieser Seite
hin geübte Wachsamkeit hat natürlich dadurch nicht ab-, sondern nur zugenom¬
men, daß der norddeutsche Bund erst in der Verfassung principiell, und darauf
praktisch durch das Organ bes Bundeskanzlers erklärt hat, sich der Auswan¬
derer seinerseits annehmen zu wollen.

Wenn demgemäß verfahren und eine Bundescontrolle sowohl in Ham¬
burg als im Bremerhafen bestellt wird, so kommen die Bundesorgane in den
Stand, sich ein zuverlässiges und selbständiges Urtheil über die Punkte zu
verschaffen, in welchen die hanseatische Gesetzgebung das Vorbild der künftigen
Bundesgesetzgebung abzugeben vermag und in welchen nicht. Dauernde
ruhige Beobachtung zweier sorgsam ausgesuchter Persönlichkeiten wird dafür
ganz andere Ergebnisse liefern, als die nothwendig oberflächliche Prüfung
einer rasch berufenen und nach heterogenen Gesichtspunkten zusammengesetzten
Commission. Der Bundesrath sollte sich mit der Aufstellung dieser beiden
Beobachter jedoch nicht begnügen. Er sollte gleichzeitig andere in Liverpool.
Havr?, Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam aufstellen, um durch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/31>, abgerufen am 30.06.2024.