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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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mens in Bezug auf Zwischendecks-Beförderung nichts übriglassen zu wollen
schien.

Die Initiative des Bundeskanzlers zur Constatirung der etwa vorhandenen
wirklichen Uebel ist schwerlich der Theilnahme an dieser Aufregung zuzuschrei¬
ben gewesen. Ihn bewog zu raschem Einschreiten, wie man wohl annehmen
darf, hauptsächlich der Umstand, daß die alarmirenden Ereignisse sich in einem
transatlantischen Hafen zugetragen hatten, daß durch sie gewissermaßen die
Augen der Welt auf einen Mangel nationaler Umsicht und Fürsorge gelenkt
wurden, und daß ihre schlimme Bedeutung von einigen jener ehemaligen
Revolutions-Flüchtlinge bezeugt ward, welche den jüngsten Erfolgen Preußens
am begeistertsten zugejauchzt hatten. Graf Bismarck sandte daraufhin einen
höheren Marine-Offizier, einen sächsischen Ministerialbeamten und einen Rostocker
Kaufmann erst nach Hamburg, dann nach Bremen und Bremerhaven, um
ihrer Prüfung die Gesammtheit der vorhandenen Einrichtungen zu Gunsten
von Auswanderern zu unterwerfen. Die drei Commissäre wandten an diese
Aufgabe ein paar Wochen und erstatteten darauf durch die Feder des Geh.
Raths Körner, ihres sächsischen Collegen, einen Bericht, welcher später auch
an die Oeffentlichkeit gelangt ist. Es war nicht gerade ein Meisterstück
treuer und scharfer Beobachtung, übersichtlicher klarer Darstellung und prak¬
tisch kluger Andeutung vorzunehmender Reformen; aber darauf kam ja am
Ende soviel nicht an. Genug, daß für die Erörterung im Schoße des Bun¬
desraths ein Ausgangspunkt gewonnen war, von welchem aus sich weiter
vorwärtskommen ließ. Den Eindruck, welchen diese vorläufige Verhandlung
der Sache auf unbefangene und überlegene Köpfe gemacht haben mag, hat
Präsident Delbrück ausgesprochen, indem er von der bundesmäßigen Ueber-
wachung des Beförderungswesens auf Grund der geltenden einzelstaatlichen
Gesetzgebung als einer Einrichtung sprach, welche größere Garantie entweder
wirklich oder wenigstens nach einer weitverbreiteten Ansicht dar¬
zubieten verspreche. Mit anderen Worten: es hat sich keineswegs herausge¬
stellt, daß in Hamburg und Bremen die bestehenden Vorschriften mit Bewußt¬
sein oder in ungewöhnlichem Grade lax gehandhabt werden.

Die Vermuthung des Gegentheils stand denn auch von vornherein so¬
wohl thatsächlich als logisch auf schwachen Füßen. Die triftigsten Gründe
der Selbsterhaltung haben Bremen und Hamburg von jeher bewegen müssen,
für eine gute Behandlung der Auswanderer, nicht etwa blos zum Scheine
durch humane Gesetzerlasse, sondern in Wirklichkeit durch stritte Durchführung
derselben zu forgen. Sie wußten ja, wie die deutschen Regierungen durch¬
schnittlich vom Auswanderungswesen dachten. Ungern, wie sie dasselbe mehr
oder weniger alle theils, theils wegen des dadurch auf ihre Staatszustände
fallenden üblen Lichtes sahen, hätten sie irgend einen plausibel" Vorwand,


mens in Bezug auf Zwischendecks-Beförderung nichts übriglassen zu wollen
schien.

Die Initiative des Bundeskanzlers zur Constatirung der etwa vorhandenen
wirklichen Uebel ist schwerlich der Theilnahme an dieser Aufregung zuzuschrei¬
ben gewesen. Ihn bewog zu raschem Einschreiten, wie man wohl annehmen
darf, hauptsächlich der Umstand, daß die alarmirenden Ereignisse sich in einem
transatlantischen Hafen zugetragen hatten, daß durch sie gewissermaßen die
Augen der Welt auf einen Mangel nationaler Umsicht und Fürsorge gelenkt
wurden, und daß ihre schlimme Bedeutung von einigen jener ehemaligen
Revolutions-Flüchtlinge bezeugt ward, welche den jüngsten Erfolgen Preußens
am begeistertsten zugejauchzt hatten. Graf Bismarck sandte daraufhin einen
höheren Marine-Offizier, einen sächsischen Ministerialbeamten und einen Rostocker
Kaufmann erst nach Hamburg, dann nach Bremen und Bremerhaven, um
ihrer Prüfung die Gesammtheit der vorhandenen Einrichtungen zu Gunsten
von Auswanderern zu unterwerfen. Die drei Commissäre wandten an diese
Aufgabe ein paar Wochen und erstatteten darauf durch die Feder des Geh.
Raths Körner, ihres sächsischen Collegen, einen Bericht, welcher später auch
an die Oeffentlichkeit gelangt ist. Es war nicht gerade ein Meisterstück
treuer und scharfer Beobachtung, übersichtlicher klarer Darstellung und prak¬
tisch kluger Andeutung vorzunehmender Reformen; aber darauf kam ja am
Ende soviel nicht an. Genug, daß für die Erörterung im Schoße des Bun¬
desraths ein Ausgangspunkt gewonnen war, von welchem aus sich weiter
vorwärtskommen ließ. Den Eindruck, welchen diese vorläufige Verhandlung
der Sache auf unbefangene und überlegene Köpfe gemacht haben mag, hat
Präsident Delbrück ausgesprochen, indem er von der bundesmäßigen Ueber-
wachung des Beförderungswesens auf Grund der geltenden einzelstaatlichen
Gesetzgebung als einer Einrichtung sprach, welche größere Garantie entweder
wirklich oder wenigstens nach einer weitverbreiteten Ansicht dar¬
zubieten verspreche. Mit anderen Worten: es hat sich keineswegs herausge¬
stellt, daß in Hamburg und Bremen die bestehenden Vorschriften mit Bewußt¬
sein oder in ungewöhnlichem Grade lax gehandhabt werden.

Die Vermuthung des Gegentheils stand denn auch von vornherein so¬
wohl thatsächlich als logisch auf schwachen Füßen. Die triftigsten Gründe
der Selbsterhaltung haben Bremen und Hamburg von jeher bewegen müssen,
für eine gute Behandlung der Auswanderer, nicht etwa blos zum Scheine
durch humane Gesetzerlasse, sondern in Wirklichkeit durch stritte Durchführung
derselben zu forgen. Sie wußten ja, wie die deutschen Regierungen durch¬
schnittlich vom Auswanderungswesen dachten. Ungern, wie sie dasselbe mehr
oder weniger alle theils, theils wegen des dadurch auf ihre Staatszustände
fallenden üblen Lichtes sahen, hätten sie irgend einen plausibel« Vorwand,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/30>, abgerufen am 30.06.2024.