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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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der beabsichtigten Maßregeln zum Schutze der Auswanderer ertheilte, enthält
zweierlei bedeutungsvolle Ergebnisse. Erstens hat sich das maßlos gesteigerte
Mißtrauen, welches die beklagenswerten Vorfälle auf dem "Brougham" und
dem "Leibnitz" im ersten Augenblicke gegen die gesammte deutsche Auswanderer-
Beförderung hervorriefen, bei näherer vorurtheilsfreien Prüfung nicht bestätigt.
Und zweitens ist es keine so leichte, im Handumdrehen zu bewältigende Auf¬
gabe, wie man anfangs glaubte, eine zweckmäßige und wirksame Bundesge¬
setzgebung zum Schutze der Auswanderer zu schassen.

Bis zum Beginn dieses Jahres hatte es in Deutschland ziemlich allgemein
als Axiom gegolten, daß Bremen und Hamburg mit den Auswandrern so mensch¬
lich wie möglich umgingen, während vor der Reise über fremde Häfen, nament¬
lich über Liverpool, aber auch über Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen und
Havre eher zu warnen sei. Den Niederschlag dieser allgemeinen Ansicht findet
man z. B. bei Brater, Art. "Auswanderungs-Politik" in seinem und Blunt-
schli's Staats-Wörterbuch. Daß sie wenigstens bei der vergeßlichen großen
Masse des Publikums, so plötzlich in ihr Gegentheil umschlagen konnte, als ein
paar allerdings krasse Ausnahmefälle bekannt wurden, wäre kaum zu erklären,
wenn andere Gedankenreihen nicht gerade damals eine gewisse schlummernde
Antipathie gegen die beiden großen Hansestädte an die Oberfläche getrieben
hätten. Man verdachte es ihnen in weiten Kreisen ernstlich, daß sie auch
nach Begründung des Macht und Sicherheit gewährenden Norddeutschen
Bundes und nach der parlamentarischen Umgestaltung des Zollvereins keine
Lust zeigten, sich in die nationale Zolllinie aufnehmen zu lassen. Was sie
für die zunächst noch fortbestehende Nothwendigkeit dieser Sonderstellung vor¬
brachten, entzog sich seiner Natur nach der allgemeinen Würdigung und galt
als Vorwand. Die Höherbelastung, welche ihnen dafür unter dem Titel eines
Aversums für nicht mit zutragende Zölle auferlegt wurde, erschien nicht im
Lichte einer gerechten Ausgleichung, sondern eines geringen Abzugs von den
Vortheilen des Freihafen-Rechts. Gleichviel, ob diese Anschauungsweise be¬
gründet ist oder nicht, ob sie einfach der thatsächlichen Lage der Dinge ent¬
spricht oder aber aus Nachwirkungen des alten schutzzöllnerischen Gegensatzes
binnenländischer Kreise zu den auf freiesten Verkehr angewiesenen und gegrün¬
deten deutschen Welthandelsplätzen hervorgeht, -- sie war nun einmal weit
verbreitet; sie wurde durch die bevorstehenden Entscheidungen des Zollparla¬
ments in de^n Gemüthern lebhaft angefacht und suchte instinctiv auch in den
aufregenden Vorgängen auf Passagier-Schiffen nach Stoff, um einen Con¬
flict der hanseatischen Interessen und Tendenzen mit den allgemeinen deut¬
schen darzuthun. Unter der Mitwirkung dieses natürlichen, wenn auch nicht
gerade edlen und weisen Triebes wurde der Funke der Aufregung zu einer
Flamme angeblasen, welche von der Selbständigkeit Hamburgs und Bre-


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der beabsichtigten Maßregeln zum Schutze der Auswanderer ertheilte, enthält
zweierlei bedeutungsvolle Ergebnisse. Erstens hat sich das maßlos gesteigerte
Mißtrauen, welches die beklagenswerten Vorfälle auf dem „Brougham" und
dem „Leibnitz" im ersten Augenblicke gegen die gesammte deutsche Auswanderer-
Beförderung hervorriefen, bei näherer vorurtheilsfreien Prüfung nicht bestätigt.
Und zweitens ist es keine so leichte, im Handumdrehen zu bewältigende Auf¬
gabe, wie man anfangs glaubte, eine zweckmäßige und wirksame Bundesge¬
setzgebung zum Schutze der Auswanderer zu schassen.

Bis zum Beginn dieses Jahres hatte es in Deutschland ziemlich allgemein
als Axiom gegolten, daß Bremen und Hamburg mit den Auswandrern so mensch¬
lich wie möglich umgingen, während vor der Reise über fremde Häfen, nament¬
lich über Liverpool, aber auch über Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen und
Havre eher zu warnen sei. Den Niederschlag dieser allgemeinen Ansicht findet
man z. B. bei Brater, Art. „Auswanderungs-Politik" in seinem und Blunt-
schli's Staats-Wörterbuch. Daß sie wenigstens bei der vergeßlichen großen
Masse des Publikums, so plötzlich in ihr Gegentheil umschlagen konnte, als ein
paar allerdings krasse Ausnahmefälle bekannt wurden, wäre kaum zu erklären,
wenn andere Gedankenreihen nicht gerade damals eine gewisse schlummernde
Antipathie gegen die beiden großen Hansestädte an die Oberfläche getrieben
hätten. Man verdachte es ihnen in weiten Kreisen ernstlich, daß sie auch
nach Begründung des Macht und Sicherheit gewährenden Norddeutschen
Bundes und nach der parlamentarischen Umgestaltung des Zollvereins keine
Lust zeigten, sich in die nationale Zolllinie aufnehmen zu lassen. Was sie
für die zunächst noch fortbestehende Nothwendigkeit dieser Sonderstellung vor¬
brachten, entzog sich seiner Natur nach der allgemeinen Würdigung und galt
als Vorwand. Die Höherbelastung, welche ihnen dafür unter dem Titel eines
Aversums für nicht mit zutragende Zölle auferlegt wurde, erschien nicht im
Lichte einer gerechten Ausgleichung, sondern eines geringen Abzugs von den
Vortheilen des Freihafen-Rechts. Gleichviel, ob diese Anschauungsweise be¬
gründet ist oder nicht, ob sie einfach der thatsächlichen Lage der Dinge ent¬
spricht oder aber aus Nachwirkungen des alten schutzzöllnerischen Gegensatzes
binnenländischer Kreise zu den auf freiesten Verkehr angewiesenen und gegrün¬
deten deutschen Welthandelsplätzen hervorgeht, — sie war nun einmal weit
verbreitet; sie wurde durch die bevorstehenden Entscheidungen des Zollparla¬
ments in de^n Gemüthern lebhaft angefacht und suchte instinctiv auch in den
aufregenden Vorgängen auf Passagier-Schiffen nach Stoff, um einen Con¬
flict der hanseatischen Interessen und Tendenzen mit den allgemeinen deut¬
schen darzuthun. Unter der Mitwirkung dieses natürlichen, wenn auch nicht
gerade edlen und weisen Triebes wurde der Funke der Aufregung zu einer
Flamme angeblasen, welche von der Selbständigkeit Hamburgs und Bre-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/29>, abgerufen am 30.06.2024.