Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sich von dieser Höhe aus ein prachtvoller Blick auf See und Landschaft zu
den Füßen des Beschauers eröffnet. Die Flußseite des erwähnten Höhenzuges
aber, welcher in das Kap de la Here ausläuft, ist hier wie auch sonst mit
hohen Buchen bedeckt, unter deren Schatten sich zahllose Villen und die
langen Häuserreihen von Jngouville und Graville bergen, zweien früher
selbständigen Ortschaften, jetzt aber Vorstädten von Havre: denn zu den Füßen
dieses Höhenzuges, auf dem flachen Landstreifen zwischen ihm und der Seine,
und zugleich hart an der See, breitet sich die mächtige Seehandelsstadt von
100,000 Einwohnern aus, die von ihrem Gründer, Franz I., "Le Havre de
Glace" benannt, jetzt nur noch als "Le Havre" bezeichnet wird, ähnlich
wie wir z. B. von "der" Friedrichstadt bei Magdeburg sprechen.

Eine Haupteigenthümlichkeit Havres ist es nun, daß den Hasen der
Stadt nicht die Seine bildet: vielmehr hat man, um der Versandung des
Hafens durch den Fluß zu entgehen. östlich von der Seine und dem Flusse
parallel direct von der See aus einen Canal in das Land hineingegraben, und
ihn am Ende zu einem Hafenbassin ausgeweidet. Und als dieses Bassin dem
Verkehr nicht mehr genügte, hat man sich veranlaßt gesehen neue Bassins
zu graben und mit dem alten durch Schleusen zu verbinden. so daß gegen¬
wärtig der Hafen Havres von einem ganzen Dutzend solcher Bassins gebildet
wird, einem Komplex von ganz colossaler Ausdehnung, gegen den die viel¬
gerühmten antwerpener Bassins sich wie bloße Kinder ausnehmen. Was den
Werth dieser Anlagen für den Handel in so großartigem Maße steigert -- fast
alle diese Bassins haben hart am Quai ringsum ein Schienengleis, sodaß
jedes Schiff in ihnen seine Fracht direct auf die Eisenbahnwagen übersetzen
kann, wenn man wünscht, sogar mit Dampfkrahnen. Für alle Schiffe, die
während der Dauer der Ausstellung in diese Bassins einlaufen, ist nun ge¬
genwärtig eine Concurrenz eröffnet: diejenigen Fahrzeuge die von allen sich
am besten in See gehalten, die schnellsten Reisen gemacht und durch Beob¬
achtungen für die Wissenschaft am meisten genützt haben, sollen am Ende der
Ausstellung von einer Commission, die sie bei ihrem Einlaufen besichtigte,
prämiirt werden.

An einem der größten dieser Bassins, nahe dem Bahnhof, liegt das
riesige Dock - Entrepöt, in welchem Waaren von auswärts, die nicht für
Frankreich, sondern für andre Länder bestimmt sind, ohne Verzollung bis
zum Export lagern dürfen. Für den Ausstellungsbesucher haben die riesigen
Hallen dieser Entrepütgebäude besonders darum ein Interesse, weil in diesen
Räumlichkeiten am 1. Juni die Eröffnungsfeierlichkeit der Ausstellung statt¬
fand, da zu jenem Termin das eigentliche Ausstellungsgebäude noch nicht
ganz vollendet und eingerichtet war.

Wir bemerkten bereits oben, daß der Hafencanal neben der Seine,


sich von dieser Höhe aus ein prachtvoller Blick auf See und Landschaft zu
den Füßen des Beschauers eröffnet. Die Flußseite des erwähnten Höhenzuges
aber, welcher in das Kap de la Here ausläuft, ist hier wie auch sonst mit
hohen Buchen bedeckt, unter deren Schatten sich zahllose Villen und die
langen Häuserreihen von Jngouville und Graville bergen, zweien früher
selbständigen Ortschaften, jetzt aber Vorstädten von Havre: denn zu den Füßen
dieses Höhenzuges, auf dem flachen Landstreifen zwischen ihm und der Seine,
und zugleich hart an der See, breitet sich die mächtige Seehandelsstadt von
100,000 Einwohnern aus, die von ihrem Gründer, Franz I., „Le Havre de
Glace" benannt, jetzt nur noch als „Le Havre" bezeichnet wird, ähnlich
wie wir z. B. von „der" Friedrichstadt bei Magdeburg sprechen.

Eine Haupteigenthümlichkeit Havres ist es nun, daß den Hasen der
Stadt nicht die Seine bildet: vielmehr hat man, um der Versandung des
Hafens durch den Fluß zu entgehen. östlich von der Seine und dem Flusse
parallel direct von der See aus einen Canal in das Land hineingegraben, und
ihn am Ende zu einem Hafenbassin ausgeweidet. Und als dieses Bassin dem
Verkehr nicht mehr genügte, hat man sich veranlaßt gesehen neue Bassins
zu graben und mit dem alten durch Schleusen zu verbinden. so daß gegen¬
wärtig der Hafen Havres von einem ganzen Dutzend solcher Bassins gebildet
wird, einem Komplex von ganz colossaler Ausdehnung, gegen den die viel¬
gerühmten antwerpener Bassins sich wie bloße Kinder ausnehmen. Was den
Werth dieser Anlagen für den Handel in so großartigem Maße steigert — fast
alle diese Bassins haben hart am Quai ringsum ein Schienengleis, sodaß
jedes Schiff in ihnen seine Fracht direct auf die Eisenbahnwagen übersetzen
kann, wenn man wünscht, sogar mit Dampfkrahnen. Für alle Schiffe, die
während der Dauer der Ausstellung in diese Bassins einlaufen, ist nun ge¬
genwärtig eine Concurrenz eröffnet: diejenigen Fahrzeuge die von allen sich
am besten in See gehalten, die schnellsten Reisen gemacht und durch Beob¬
achtungen für die Wissenschaft am meisten genützt haben, sollen am Ende der
Ausstellung von einer Commission, die sie bei ihrem Einlaufen besichtigte,
prämiirt werden.

An einem der größten dieser Bassins, nahe dem Bahnhof, liegt das
riesige Dock - Entrepöt, in welchem Waaren von auswärts, die nicht für
Frankreich, sondern für andre Länder bestimmt sind, ohne Verzollung bis
zum Export lagern dürfen. Für den Ausstellungsbesucher haben die riesigen
Hallen dieser Entrepütgebäude besonders darum ein Interesse, weil in diesen
Räumlichkeiten am 1. Juni die Eröffnungsfeierlichkeit der Ausstellung statt¬
fand, da zu jenem Termin das eigentliche Ausstellungsgebäude noch nicht
ganz vollendet und eingerichtet war.

Wir bemerkten bereits oben, daß der Hafencanal neben der Seine,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0286" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286998"/>
          <p xml:id="ID_737" prev="#ID_736"> sich von dieser Höhe aus ein prachtvoller Blick auf See und Landschaft zu<lb/>
den Füßen des Beschauers eröffnet. Die Flußseite des erwähnten Höhenzuges<lb/>
aber, welcher in das Kap de la Here ausläuft, ist hier wie auch sonst mit<lb/>
hohen Buchen bedeckt, unter deren Schatten sich zahllose Villen und die<lb/>
langen Häuserreihen von Jngouville und Graville bergen, zweien früher<lb/>
selbständigen Ortschaften, jetzt aber Vorstädten von Havre: denn zu den Füßen<lb/>
dieses Höhenzuges, auf dem flachen Landstreifen zwischen ihm und der Seine,<lb/>
und zugleich hart an der See, breitet sich die mächtige Seehandelsstadt von<lb/>
100,000 Einwohnern aus, die von ihrem Gründer, Franz I., &#x201E;Le Havre de<lb/>
Glace" benannt, jetzt nur noch als &#x201E;Le Havre" bezeichnet wird, ähnlich<lb/>
wie wir z. B. von &#x201E;der" Friedrichstadt bei Magdeburg sprechen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_738"> Eine Haupteigenthümlichkeit Havres ist es nun, daß den Hasen der<lb/>
Stadt nicht die Seine bildet: vielmehr hat man, um der Versandung des<lb/>
Hafens durch den Fluß zu entgehen. östlich von der Seine und dem Flusse<lb/>
parallel direct von der See aus einen Canal in das Land hineingegraben, und<lb/>
ihn am Ende zu einem Hafenbassin ausgeweidet. Und als dieses Bassin dem<lb/>
Verkehr nicht mehr genügte, hat man sich veranlaßt gesehen neue Bassins<lb/>
zu graben und mit dem alten durch Schleusen zu verbinden. so daß gegen¬<lb/>
wärtig der Hafen Havres von einem ganzen Dutzend solcher Bassins gebildet<lb/>
wird, einem Komplex von ganz colossaler Ausdehnung, gegen den die viel¬<lb/>
gerühmten antwerpener Bassins sich wie bloße Kinder ausnehmen. Was den<lb/>
Werth dieser Anlagen für den Handel in so großartigem Maße steigert &#x2014; fast<lb/>
alle diese Bassins haben hart am Quai ringsum ein Schienengleis, sodaß<lb/>
jedes Schiff in ihnen seine Fracht direct auf die Eisenbahnwagen übersetzen<lb/>
kann, wenn man wünscht, sogar mit Dampfkrahnen. Für alle Schiffe, die<lb/>
während der Dauer der Ausstellung in diese Bassins einlaufen, ist nun ge¬<lb/>
genwärtig eine Concurrenz eröffnet: diejenigen Fahrzeuge die von allen sich<lb/>
am besten in See gehalten, die schnellsten Reisen gemacht und durch Beob¬<lb/>
achtungen für die Wissenschaft am meisten genützt haben, sollen am Ende der<lb/>
Ausstellung von einer Commission, die sie bei ihrem Einlaufen besichtigte,<lb/>
prämiirt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_739"> An einem der größten dieser Bassins, nahe dem Bahnhof, liegt das<lb/>
riesige Dock - Entrepöt, in welchem Waaren von auswärts, die nicht für<lb/>
Frankreich, sondern für andre Länder bestimmt sind, ohne Verzollung bis<lb/>
zum Export lagern dürfen. Für den Ausstellungsbesucher haben die riesigen<lb/>
Hallen dieser Entrepütgebäude besonders darum ein Interesse, weil in diesen<lb/>
Räumlichkeiten am 1. Juni die Eröffnungsfeierlichkeit der Ausstellung statt¬<lb/>
fand, da zu jenem Termin das eigentliche Ausstellungsgebäude noch nicht<lb/>
ganz vollendet und eingerichtet war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_740" next="#ID_741"> Wir bemerkten bereits oben, daß der Hafencanal neben der Seine,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0286] sich von dieser Höhe aus ein prachtvoller Blick auf See und Landschaft zu den Füßen des Beschauers eröffnet. Die Flußseite des erwähnten Höhenzuges aber, welcher in das Kap de la Here ausläuft, ist hier wie auch sonst mit hohen Buchen bedeckt, unter deren Schatten sich zahllose Villen und die langen Häuserreihen von Jngouville und Graville bergen, zweien früher selbständigen Ortschaften, jetzt aber Vorstädten von Havre: denn zu den Füßen dieses Höhenzuges, auf dem flachen Landstreifen zwischen ihm und der Seine, und zugleich hart an der See, breitet sich die mächtige Seehandelsstadt von 100,000 Einwohnern aus, die von ihrem Gründer, Franz I., „Le Havre de Glace" benannt, jetzt nur noch als „Le Havre" bezeichnet wird, ähnlich wie wir z. B. von „der" Friedrichstadt bei Magdeburg sprechen. Eine Haupteigenthümlichkeit Havres ist es nun, daß den Hasen der Stadt nicht die Seine bildet: vielmehr hat man, um der Versandung des Hafens durch den Fluß zu entgehen. östlich von der Seine und dem Flusse parallel direct von der See aus einen Canal in das Land hineingegraben, und ihn am Ende zu einem Hafenbassin ausgeweidet. Und als dieses Bassin dem Verkehr nicht mehr genügte, hat man sich veranlaßt gesehen neue Bassins zu graben und mit dem alten durch Schleusen zu verbinden. so daß gegen¬ wärtig der Hafen Havres von einem ganzen Dutzend solcher Bassins gebildet wird, einem Komplex von ganz colossaler Ausdehnung, gegen den die viel¬ gerühmten antwerpener Bassins sich wie bloße Kinder ausnehmen. Was den Werth dieser Anlagen für den Handel in so großartigem Maße steigert — fast alle diese Bassins haben hart am Quai ringsum ein Schienengleis, sodaß jedes Schiff in ihnen seine Fracht direct auf die Eisenbahnwagen übersetzen kann, wenn man wünscht, sogar mit Dampfkrahnen. Für alle Schiffe, die während der Dauer der Ausstellung in diese Bassins einlaufen, ist nun ge¬ genwärtig eine Concurrenz eröffnet: diejenigen Fahrzeuge die von allen sich am besten in See gehalten, die schnellsten Reisen gemacht und durch Beob¬ achtungen für die Wissenschaft am meisten genützt haben, sollen am Ende der Ausstellung von einer Commission, die sie bei ihrem Einlaufen besichtigte, prämiirt werden. An einem der größten dieser Bassins, nahe dem Bahnhof, liegt das riesige Dock - Entrepöt, in welchem Waaren von auswärts, die nicht für Frankreich, sondern für andre Länder bestimmt sind, ohne Verzollung bis zum Export lagern dürfen. Für den Ausstellungsbesucher haben die riesigen Hallen dieser Entrepütgebäude besonders darum ein Interesse, weil in diesen Räumlichkeiten am 1. Juni die Eröffnungsfeierlichkeit der Ausstellung statt¬ fand, da zu jenem Termin das eigentliche Ausstellungsgebäude noch nicht ganz vollendet und eingerichtet war. Wir bemerkten bereits oben, daß der Hafencanal neben der Seine,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/286
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/286>, abgerufen am 02.07.2024.