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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Religion Christi zugethan ist, der mit zündenden Worten die Sache des
Kreuzes predigt, dennoch kühn gegen die Mißbräuche des hierarchischen Regi¬
ments zu Felde zieht. Er schont sogar seinen geliebten König Ludwig nicht,
da dieser dem Papste und seinen Dienern in seinem Lande einen übertriebenen
Einfluß zugesteht. "Der König übt keine Gerechtigkeit gegen den Ritter-
stand" ruft er aus "und anstatt mit Helden, umgibt er sich mit einer dop¬
pelten Leibgarde weißer und grauer Mönche." Er wundert sich darüber,
wie Könige so schwach sein können, sich vom Papste in ihren eigenen Lar.
dein Befehle vorschreiben zu lassen. Ludwig hatte auf Befehl des Papstes
Alexander IV. den Meister Guillaume de Se. Amour, einen verdienstvollen,
aber freisinnigen Gelehrten der pariser Universität, aus den königlichen Lan¬
den verbannt. Entrüstet ruft Rutebeuf aus: "Das sag' ich euch mit kurzen
Worten, wenn der Papst in Rom aus andern Ländern einen braven Mann
verbannen kann, so hat der Landesherr nichts mehr in seinem Gebiet zu
sagen." Ebenso findet er die Schenkungen von fremden Ländern lächerlich,
welche die Päpste oft aus eigener Machtvollkommenheit vornahmen. Bei
Gelegenheit der Schenkung des Königreichs Aragon an Karl von Valois,
einen Sohn Philipps des Kühnen, bemerkt unser bissiger Troveor: "Dreißig
Tage Ablaß wären dem Königssohne wohl lieber gewesen, als sothanes
Geschenk." Ja, er geht so weit, Rom als die Wurzel aller Uebel, an denen
seine Zeit krankte, hinzustellen. Das Gedicht, in welchem dieser Gedanke
besonders eingehend behandelt ist, "Ah Is. vie äou moines" zeugt von der
edelsten Begeisterung für Recht und Vaterland. Der feurige und energische
Ton, der darin herrscht, läßt Luthers reformatorische Lieder ahnen. Es ist
fast, als wenn die großen Gedanken, die den Dichter bei Abfassung dieses
Gedichtes beseelten, auch aus seine Sprache Einfluß geübt hätten. Es zeichnet
sich an mehreren Stellen durch Reinheit der Sprache, klingenden Versbau
und edlen , wirklich poetischen Ausdruck unter den zeitgenössischen Werken
vortheilhaft aus. Wir können uns nicht versagen, zum Schluß aus diesem
Gedichte, dem Schwanengesange Rutebeuf's, einiges mitzutheilen:


Des Frühlings Duft zu athmen im Mond der grünen Mai'n
Trat in der Morgenfrische in einen Park ich ein;
Voll Wonne streckt ich nieder mich auf dem grünen Nain,
Und sich', im Gras vergessen fand ich ein Büchlein klein.
Ich las es, und seine Lehren, die drangen in's Herz mir hinein:
Ich will's euch lesen, wollt ihr geneigtes Ohr mir leihn.
Es klagt die heil'ge Kirche in Angst und Nöthen schwer,
Der trotz'gen Feinde Waffen umdroh'n sie ringsumher;
All' ihre Söhne schlafen, und keiner greift zur Wehr;
Wenn Gott sie nicht errettet, ist keine Hilfe mehr.

Religion Christi zugethan ist, der mit zündenden Worten die Sache des
Kreuzes predigt, dennoch kühn gegen die Mißbräuche des hierarchischen Regi¬
ments zu Felde zieht. Er schont sogar seinen geliebten König Ludwig nicht,
da dieser dem Papste und seinen Dienern in seinem Lande einen übertriebenen
Einfluß zugesteht. „Der König übt keine Gerechtigkeit gegen den Ritter-
stand" ruft er aus „und anstatt mit Helden, umgibt er sich mit einer dop¬
pelten Leibgarde weißer und grauer Mönche." Er wundert sich darüber,
wie Könige so schwach sein können, sich vom Papste in ihren eigenen Lar.
dein Befehle vorschreiben zu lassen. Ludwig hatte auf Befehl des Papstes
Alexander IV. den Meister Guillaume de Se. Amour, einen verdienstvollen,
aber freisinnigen Gelehrten der pariser Universität, aus den königlichen Lan¬
den verbannt. Entrüstet ruft Rutebeuf aus: „Das sag' ich euch mit kurzen
Worten, wenn der Papst in Rom aus andern Ländern einen braven Mann
verbannen kann, so hat der Landesherr nichts mehr in seinem Gebiet zu
sagen." Ebenso findet er die Schenkungen von fremden Ländern lächerlich,
welche die Päpste oft aus eigener Machtvollkommenheit vornahmen. Bei
Gelegenheit der Schenkung des Königreichs Aragon an Karl von Valois,
einen Sohn Philipps des Kühnen, bemerkt unser bissiger Troveor: „Dreißig
Tage Ablaß wären dem Königssohne wohl lieber gewesen, als sothanes
Geschenk." Ja, er geht so weit, Rom als die Wurzel aller Uebel, an denen
seine Zeit krankte, hinzustellen. Das Gedicht, in welchem dieser Gedanke
besonders eingehend behandelt ist, „Ah Is. vie äou moines" zeugt von der
edelsten Begeisterung für Recht und Vaterland. Der feurige und energische
Ton, der darin herrscht, läßt Luthers reformatorische Lieder ahnen. Es ist
fast, als wenn die großen Gedanken, die den Dichter bei Abfassung dieses
Gedichtes beseelten, auch aus seine Sprache Einfluß geübt hätten. Es zeichnet
sich an mehreren Stellen durch Reinheit der Sprache, klingenden Versbau
und edlen , wirklich poetischen Ausdruck unter den zeitgenössischen Werken
vortheilhaft aus. Wir können uns nicht versagen, zum Schluß aus diesem
Gedichte, dem Schwanengesange Rutebeuf's, einiges mitzutheilen:


Des Frühlings Duft zu athmen im Mond der grünen Mai'n
Trat in der Morgenfrische in einen Park ich ein;
Voll Wonne streckt ich nieder mich auf dem grünen Nain,
Und sich', im Gras vergessen fand ich ein Büchlein klein.
Ich las es, und seine Lehren, die drangen in's Herz mir hinein:
Ich will's euch lesen, wollt ihr geneigtes Ohr mir leihn.
Es klagt die heil'ge Kirche in Angst und Nöthen schwer,
Der trotz'gen Feinde Waffen umdroh'n sie ringsumher;
All' ihre Söhne schlafen, und keiner greift zur Wehr;
Wenn Gott sie nicht errettet, ist keine Hilfe mehr.

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[0282] Religion Christi zugethan ist, der mit zündenden Worten die Sache des Kreuzes predigt, dennoch kühn gegen die Mißbräuche des hierarchischen Regi¬ ments zu Felde zieht. Er schont sogar seinen geliebten König Ludwig nicht, da dieser dem Papste und seinen Dienern in seinem Lande einen übertriebenen Einfluß zugesteht. „Der König übt keine Gerechtigkeit gegen den Ritter- stand" ruft er aus „und anstatt mit Helden, umgibt er sich mit einer dop¬ pelten Leibgarde weißer und grauer Mönche." Er wundert sich darüber, wie Könige so schwach sein können, sich vom Papste in ihren eigenen Lar. dein Befehle vorschreiben zu lassen. Ludwig hatte auf Befehl des Papstes Alexander IV. den Meister Guillaume de Se. Amour, einen verdienstvollen, aber freisinnigen Gelehrten der pariser Universität, aus den königlichen Lan¬ den verbannt. Entrüstet ruft Rutebeuf aus: „Das sag' ich euch mit kurzen Worten, wenn der Papst in Rom aus andern Ländern einen braven Mann verbannen kann, so hat der Landesherr nichts mehr in seinem Gebiet zu sagen." Ebenso findet er die Schenkungen von fremden Ländern lächerlich, welche die Päpste oft aus eigener Machtvollkommenheit vornahmen. Bei Gelegenheit der Schenkung des Königreichs Aragon an Karl von Valois, einen Sohn Philipps des Kühnen, bemerkt unser bissiger Troveor: „Dreißig Tage Ablaß wären dem Königssohne wohl lieber gewesen, als sothanes Geschenk." Ja, er geht so weit, Rom als die Wurzel aller Uebel, an denen seine Zeit krankte, hinzustellen. Das Gedicht, in welchem dieser Gedanke besonders eingehend behandelt ist, „Ah Is. vie äou moines" zeugt von der edelsten Begeisterung für Recht und Vaterland. Der feurige und energische Ton, der darin herrscht, läßt Luthers reformatorische Lieder ahnen. Es ist fast, als wenn die großen Gedanken, die den Dichter bei Abfassung dieses Gedichtes beseelten, auch aus seine Sprache Einfluß geübt hätten. Es zeichnet sich an mehreren Stellen durch Reinheit der Sprache, klingenden Versbau und edlen , wirklich poetischen Ausdruck unter den zeitgenössischen Werken vortheilhaft aus. Wir können uns nicht versagen, zum Schluß aus diesem Gedichte, dem Schwanengesange Rutebeuf's, einiges mitzutheilen: Des Frühlings Duft zu athmen im Mond der grünen Mai'n Trat in der Morgenfrische in einen Park ich ein; Voll Wonne streckt ich nieder mich auf dem grünen Nain, Und sich', im Gras vergessen fand ich ein Büchlein klein. Ich las es, und seine Lehren, die drangen in's Herz mir hinein: Ich will's euch lesen, wollt ihr geneigtes Ohr mir leihn. Es klagt die heil'ge Kirche in Angst und Nöthen schwer, Der trotz'gen Feinde Waffen umdroh'n sie ringsumher; All' ihre Söhne schlafen, und keiner greift zur Wehr; Wenn Gott sie nicht errettet, ist keine Hilfe mehr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/282>, abgerufen am 02.07.2024.