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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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reich kommt, so soll er sehen, mit wem er es zu thun hat. Wenn Gott
irgendwo ist, so ist er sicher im schönen Frankreich; glaubt nicht, daß er sich
in Palästina unter den ihm verhaßten Ungläubigen aufhalten wird, in einem
Lande, wo es im Sommer nicht einmal genießbares Trinkwasser gibt." Diese
Stelle erinnert an das bekannte Bonmot Kaiser Friedrichs II. "wenn Gott
das Königreich Neapel gekannt hätte, würde er sich nicht die dürren Felsen
Judäas zum Aufenthaltsorte gewählt haben." Trotz all' der guten Gründe und
trotz der praktischen Lebensansichten, die der ä"Z8erviM entwickelt, läßt er
sich am Schlüsse des Gedichtes bestimmen, das Kreuz zu nehmen. Die Furcht
vor dem höllischen Feuer, womit der eroisiö ihm droht, und vor dem Sterben,
"gleich der Kuh auf ihrem Lager" pressen ihm das Geständnis? ab, daß der
Andre ihn "besiegt und matt gemacht" habe. Dieser Schluß läßt zur Genüge
durchblicken, daß es der Dichter selbst ist, der unter dem Namen oroi2i6
seine Ueberzeugung versieht. Wahrscheinlich hat er mit denselben Zweifeln
zu kämpfen gehabt wie der äeseroiüii^, sich aber endlich in die frommen und
uneigennützigen Ideen eingelebt, die er seinen Stellvertreter aussprechen läßt.
Auch hier dringt überall die Satire gegen den reichen, üppigen und unthä¬
tigen Clerus, sowie gegen das matt gewordene Ritterthum durch.

Doch die Troveors blieben nicht dabei stehn, die sociale Stellung und
das Privatleben der einzelnen Stände zu beobachten und zu kritisiren, sie
wagten sich auch, wie es schon in der Ässoutwons hervortritt, an die großen
Politischen Fragen der Zeit. Seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts begann
sich überall in Europa der Geist derselbe Opposition gegen die Uebergriffe der
Päpstlichen Gewalt zu regen, dessen Tendenz drei Jahrhunderte später in der
Reformation gipfelte. In Südfrankreich, auf provenzalischen Sprachgebiet,
kam es schon im Beginn des Jahrhunderts zum Waffenkampfe zwischen den
beiden gegenüberstehenden Prinzipien, der reformatorischen und der römisch¬
hierarchischen Partei. In den Albigenserkriegen gelang es der letzteren nach
Zwanzigjährigem Vernichtungskampfe, den Geist einer freieren Religions¬
richtung im Blute ihrer Bekenner zu ersticken. Das Feuer, welches im Süden
Frankreichs zu vernichtenden Brande aufloderte, glimmte auch im Norden
Frankreichs. Wenn es schon hier nicht zu kriegerischer Gewaltthat kam, so
sprach sich doch der oppositionelle Geist unverhohlen in den Schriften der er¬
leuchteten Köpfe des Zeitalters aus. Neben dem schweren Geschütz freisin¬
niger theologischer Werke, wie sie in großer Zahl von den Gelehrten der
pariser Universität ausgingen, erscheinen die Plänklertruppen der Troveors
wie den leichteren, aber darum nicht weniger empfindlich verwundenden
Waffen der Satire aus dem Kampfplatze, und zwar meistens in den Reihen
der Opposition gegen die Hierarchie. Betrachten wir die hierher gehörigen
Produktionen Rutebeuss, so finden wir, daß er, der mit ganzem Herzen der


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reich kommt, so soll er sehen, mit wem er es zu thun hat. Wenn Gott
irgendwo ist, so ist er sicher im schönen Frankreich; glaubt nicht, daß er sich
in Palästina unter den ihm verhaßten Ungläubigen aufhalten wird, in einem
Lande, wo es im Sommer nicht einmal genießbares Trinkwasser gibt." Diese
Stelle erinnert an das bekannte Bonmot Kaiser Friedrichs II. „wenn Gott
das Königreich Neapel gekannt hätte, würde er sich nicht die dürren Felsen
Judäas zum Aufenthaltsorte gewählt haben." Trotz all' der guten Gründe und
trotz der praktischen Lebensansichten, die der ä«Z8erviM entwickelt, läßt er
sich am Schlüsse des Gedichtes bestimmen, das Kreuz zu nehmen. Die Furcht
vor dem höllischen Feuer, womit der eroisiö ihm droht, und vor dem Sterben,
„gleich der Kuh auf ihrem Lager" pressen ihm das Geständnis? ab, daß der
Andre ihn „besiegt und matt gemacht" habe. Dieser Schluß läßt zur Genüge
durchblicken, daß es der Dichter selbst ist, der unter dem Namen oroi2i6
seine Ueberzeugung versieht. Wahrscheinlich hat er mit denselben Zweifeln
zu kämpfen gehabt wie der äeseroiüii^, sich aber endlich in die frommen und
uneigennützigen Ideen eingelebt, die er seinen Stellvertreter aussprechen läßt.
Auch hier dringt überall die Satire gegen den reichen, üppigen und unthä¬
tigen Clerus, sowie gegen das matt gewordene Ritterthum durch.

Doch die Troveors blieben nicht dabei stehn, die sociale Stellung und
das Privatleben der einzelnen Stände zu beobachten und zu kritisiren, sie
wagten sich auch, wie es schon in der Ässoutwons hervortritt, an die großen
Politischen Fragen der Zeit. Seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts begann
sich überall in Europa der Geist derselbe Opposition gegen die Uebergriffe der
Päpstlichen Gewalt zu regen, dessen Tendenz drei Jahrhunderte später in der
Reformation gipfelte. In Südfrankreich, auf provenzalischen Sprachgebiet,
kam es schon im Beginn des Jahrhunderts zum Waffenkampfe zwischen den
beiden gegenüberstehenden Prinzipien, der reformatorischen und der römisch¬
hierarchischen Partei. In den Albigenserkriegen gelang es der letzteren nach
Zwanzigjährigem Vernichtungskampfe, den Geist einer freieren Religions¬
richtung im Blute ihrer Bekenner zu ersticken. Das Feuer, welches im Süden
Frankreichs zu vernichtenden Brande aufloderte, glimmte auch im Norden
Frankreichs. Wenn es schon hier nicht zu kriegerischer Gewaltthat kam, so
sprach sich doch der oppositionelle Geist unverhohlen in den Schriften der er¬
leuchteten Köpfe des Zeitalters aus. Neben dem schweren Geschütz freisin¬
niger theologischer Werke, wie sie in großer Zahl von den Gelehrten der
pariser Universität ausgingen, erscheinen die Plänklertruppen der Troveors
wie den leichteren, aber darum nicht weniger empfindlich verwundenden
Waffen der Satire aus dem Kampfplatze, und zwar meistens in den Reihen
der Opposition gegen die Hierarchie. Betrachten wir die hierher gehörigen
Produktionen Rutebeuss, so finden wir, daß er, der mit ganzem Herzen der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/281>, abgerufen am 04.07.2024.