Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und die Zweckmäßigkeit der Betheiligung ein dem frommen Unternehmen
darzuthun. Er führt für seine Sache alle Ideen in's Feuer, welche die Prie¬
ster in ihren Kreuzpredigten, die Päpste in ihren Hirtenbriefen und die Für¬
sten in ihren Ausrufen an die Vasallen entwickelten, um sie zum Kreuzzuge zu
bewegen. Irdische Belohnungen und Vortheile kann er allerdings nicht ver¬
sprechen , dagegen wird die Erwartung des Himmelreiches durch Theilnahme
am Kreuzzuge ganz außer Frage gestellt. Demjenigen aber, der sich weigert,
dem Hilferuf zu folgen, der von jenseits des Meeres herübertönt, steht der
Aufenthalt im tiefsten Abgrunde der Hölle bevor, "denn glaubst du", sagt er,
"ohne jede Mühsal Gott durch ein anmuthiges Lächeln zu gewinnen? Dann
waren also die heiligen Märtyrer sammt und sonders Narren, welche mit
ihrem Blut die Erlösung erkauften." Er fordert den Freund auf, auf Frank¬
reichs König, Ludwig IX., zu blicken, der, um das Paradies zu erwerben,
Leib und Leben wagt, und auch seine Kinder den Gefahren des heiligen Krie¬
ges aussetzt, auf all die Tapfern, die über das Meer ziehen, während die
Trägen und Feigen in der Heimath zurückbleiben, und "wie die Kühe auf
ihrem Lager" sterben, unbeweint, aber selbst Thränen der Angst vergießend
über die schrecklichen Qualen, die ihnen im Jenseits bevorstehen. Der "Äss-
eroi?i6" widerspricht seinem Freunde mit sehr soliden, aus der Praxis des
täglichen Lebens geschöpften Gründen. "Ihr ermahnt mich, das Meinige
dem Hahn zu geben, der damit davonfliegt", sagt er unter Anderm; "man
sagt indeß: Was du hast, das halte fest, und dies ist ein gutes Wort aus guter
Schule. Ich will mich hüten, meine Besitzungen zu verpfänden, um für je
100 Morgen Landes bei meiner Rückkehr 40 zurückzuerhalten." Die Ritter
waren nämlich häufig genöthigt, bevor sie einen Kreuzzug antraten, ihre
Besitzungen zu verpfänden, um den entstehenden Aufwand zu decken; meistens
nahm die reiche Geistlichkeit unter der Maske christlicher Mildthätigkeit diese
Güter in Pfand, nur zu oft aber steckte der schamloseste Wucher hinter der
anscheinenden Opferfreudigkeit, mit der sie Summen für die Kosten des
heiligen Krieges vorschössen. "Ueberdies glaube ich" fährt der ljeseroi^i" fort,
daß man Gott ebensogut bei uns in Frankreich gewinnen kann, als jenseits
des Meeres; daher will ich lieber im Vaterlande bleiben und von meinem
Erbe leben. Wendet euch doch an die Priester und Prälaten; sie müßten von
Rechts wegen die Unbilde rächen, die Gott im heiligen Lande erduldet, denn
sie leben von Gottes Renten. Sie ziehen aber gutes Essen und Trinken
vor und sitzen am liebsten gegen Wind und Wetter geschützt; wenn sie auf diesem
Wege zu Gott gelangen, so wäre es Thorheit, einen anderen wählen zu wollen,
da jener doch ohne Zweifel von allen der angenehmste ist. Ihr geht über
das Meer. Sagt dem Sultan, daß ich mich nicht um ihn kümmere, so lange
er weit genug von mir entfernt bleibt. Wenn er aber hierher nach Frank-


und die Zweckmäßigkeit der Betheiligung ein dem frommen Unternehmen
darzuthun. Er führt für seine Sache alle Ideen in's Feuer, welche die Prie¬
ster in ihren Kreuzpredigten, die Päpste in ihren Hirtenbriefen und die Für¬
sten in ihren Ausrufen an die Vasallen entwickelten, um sie zum Kreuzzuge zu
bewegen. Irdische Belohnungen und Vortheile kann er allerdings nicht ver¬
sprechen , dagegen wird die Erwartung des Himmelreiches durch Theilnahme
am Kreuzzuge ganz außer Frage gestellt. Demjenigen aber, der sich weigert,
dem Hilferuf zu folgen, der von jenseits des Meeres herübertönt, steht der
Aufenthalt im tiefsten Abgrunde der Hölle bevor, „denn glaubst du", sagt er,
„ohne jede Mühsal Gott durch ein anmuthiges Lächeln zu gewinnen? Dann
waren also die heiligen Märtyrer sammt und sonders Narren, welche mit
ihrem Blut die Erlösung erkauften." Er fordert den Freund auf, auf Frank¬
reichs König, Ludwig IX., zu blicken, der, um das Paradies zu erwerben,
Leib und Leben wagt, und auch seine Kinder den Gefahren des heiligen Krie¬
ges aussetzt, auf all die Tapfern, die über das Meer ziehen, während die
Trägen und Feigen in der Heimath zurückbleiben, und „wie die Kühe auf
ihrem Lager" sterben, unbeweint, aber selbst Thränen der Angst vergießend
über die schrecklichen Qualen, die ihnen im Jenseits bevorstehen. Der „Äss-
eroi?i6" widerspricht seinem Freunde mit sehr soliden, aus der Praxis des
täglichen Lebens geschöpften Gründen. „Ihr ermahnt mich, das Meinige
dem Hahn zu geben, der damit davonfliegt", sagt er unter Anderm; „man
sagt indeß: Was du hast, das halte fest, und dies ist ein gutes Wort aus guter
Schule. Ich will mich hüten, meine Besitzungen zu verpfänden, um für je
100 Morgen Landes bei meiner Rückkehr 40 zurückzuerhalten." Die Ritter
waren nämlich häufig genöthigt, bevor sie einen Kreuzzug antraten, ihre
Besitzungen zu verpfänden, um den entstehenden Aufwand zu decken; meistens
nahm die reiche Geistlichkeit unter der Maske christlicher Mildthätigkeit diese
Güter in Pfand, nur zu oft aber steckte der schamloseste Wucher hinter der
anscheinenden Opferfreudigkeit, mit der sie Summen für die Kosten des
heiligen Krieges vorschössen. „Ueberdies glaube ich" fährt der ljeseroi^i« fort,
daß man Gott ebensogut bei uns in Frankreich gewinnen kann, als jenseits
des Meeres; daher will ich lieber im Vaterlande bleiben und von meinem
Erbe leben. Wendet euch doch an die Priester und Prälaten; sie müßten von
Rechts wegen die Unbilde rächen, die Gott im heiligen Lande erduldet, denn
sie leben von Gottes Renten. Sie ziehen aber gutes Essen und Trinken
vor und sitzen am liebsten gegen Wind und Wetter geschützt; wenn sie auf diesem
Wege zu Gott gelangen, so wäre es Thorheit, einen anderen wählen zu wollen,
da jener doch ohne Zweifel von allen der angenehmste ist. Ihr geht über
das Meer. Sagt dem Sultan, daß ich mich nicht um ihn kümmere, so lange
er weit genug von mir entfernt bleibt. Wenn er aber hierher nach Frank-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0280" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286992"/>
          <p xml:id="ID_727" prev="#ID_726" next="#ID_728"> und die Zweckmäßigkeit der Betheiligung ein dem frommen Unternehmen<lb/>
darzuthun. Er führt für seine Sache alle Ideen in's Feuer, welche die Prie¬<lb/>
ster in ihren Kreuzpredigten, die Päpste in ihren Hirtenbriefen und die Für¬<lb/>
sten in ihren Ausrufen an die Vasallen entwickelten, um sie zum Kreuzzuge zu<lb/>
bewegen. Irdische Belohnungen und Vortheile kann er allerdings nicht ver¬<lb/>
sprechen , dagegen wird die Erwartung des Himmelreiches durch Theilnahme<lb/>
am Kreuzzuge ganz außer Frage gestellt. Demjenigen aber, der sich weigert,<lb/>
dem Hilferuf zu folgen, der von jenseits des Meeres herübertönt, steht der<lb/>
Aufenthalt im tiefsten Abgrunde der Hölle bevor, &#x201E;denn glaubst du", sagt er,<lb/>
&#x201E;ohne jede Mühsal Gott durch ein anmuthiges Lächeln zu gewinnen? Dann<lb/>
waren also die heiligen Märtyrer sammt und sonders Narren, welche mit<lb/>
ihrem Blut die Erlösung erkauften." Er fordert den Freund auf, auf Frank¬<lb/>
reichs König, Ludwig IX., zu blicken, der, um das Paradies zu erwerben,<lb/>
Leib und Leben wagt, und auch seine Kinder den Gefahren des heiligen Krie¬<lb/>
ges aussetzt, auf all die Tapfern, die über das Meer ziehen, während die<lb/>
Trägen und Feigen in der Heimath zurückbleiben, und &#x201E;wie die Kühe auf<lb/>
ihrem Lager" sterben, unbeweint, aber selbst Thränen der Angst vergießend<lb/>
über die schrecklichen Qualen, die ihnen im Jenseits bevorstehen. Der &#x201E;Äss-<lb/>
eroi?i6" widerspricht seinem Freunde mit sehr soliden, aus der Praxis des<lb/>
täglichen Lebens geschöpften Gründen. &#x201E;Ihr ermahnt mich, das Meinige<lb/>
dem Hahn zu geben, der damit davonfliegt", sagt er unter Anderm; &#x201E;man<lb/>
sagt indeß: Was du hast, das halte fest, und dies ist ein gutes Wort aus guter<lb/>
Schule. Ich will mich hüten, meine Besitzungen zu verpfänden, um für je<lb/>
100 Morgen Landes bei meiner Rückkehr 40 zurückzuerhalten." Die Ritter<lb/>
waren nämlich häufig genöthigt, bevor sie einen Kreuzzug antraten, ihre<lb/>
Besitzungen zu verpfänden, um den entstehenden Aufwand zu decken; meistens<lb/>
nahm die reiche Geistlichkeit unter der Maske christlicher Mildthätigkeit diese<lb/>
Güter in Pfand, nur zu oft aber steckte der schamloseste Wucher hinter der<lb/>
anscheinenden Opferfreudigkeit, mit der sie Summen für die Kosten des<lb/>
heiligen Krieges vorschössen. &#x201E;Ueberdies glaube ich" fährt der ljeseroi^i« fort,<lb/>
daß man Gott ebensogut bei uns in Frankreich gewinnen kann, als jenseits<lb/>
des Meeres; daher will ich lieber im Vaterlande bleiben und von meinem<lb/>
Erbe leben. Wendet euch doch an die Priester und Prälaten; sie müßten von<lb/>
Rechts wegen die Unbilde rächen, die Gott im heiligen Lande erduldet, denn<lb/>
sie leben von Gottes Renten. Sie ziehen aber gutes Essen und Trinken<lb/>
vor und sitzen am liebsten gegen Wind und Wetter geschützt; wenn sie auf diesem<lb/>
Wege zu Gott gelangen, so wäre es Thorheit, einen anderen wählen zu wollen,<lb/>
da jener doch ohne Zweifel von allen der angenehmste ist. Ihr geht über<lb/>
das Meer. Sagt dem Sultan, daß ich mich nicht um ihn kümmere, so lange<lb/>
er weit genug von mir entfernt bleibt. Wenn er aber hierher nach Frank-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0280] und die Zweckmäßigkeit der Betheiligung ein dem frommen Unternehmen darzuthun. Er führt für seine Sache alle Ideen in's Feuer, welche die Prie¬ ster in ihren Kreuzpredigten, die Päpste in ihren Hirtenbriefen und die Für¬ sten in ihren Ausrufen an die Vasallen entwickelten, um sie zum Kreuzzuge zu bewegen. Irdische Belohnungen und Vortheile kann er allerdings nicht ver¬ sprechen , dagegen wird die Erwartung des Himmelreiches durch Theilnahme am Kreuzzuge ganz außer Frage gestellt. Demjenigen aber, der sich weigert, dem Hilferuf zu folgen, der von jenseits des Meeres herübertönt, steht der Aufenthalt im tiefsten Abgrunde der Hölle bevor, „denn glaubst du", sagt er, „ohne jede Mühsal Gott durch ein anmuthiges Lächeln zu gewinnen? Dann waren also die heiligen Märtyrer sammt und sonders Narren, welche mit ihrem Blut die Erlösung erkauften." Er fordert den Freund auf, auf Frank¬ reichs König, Ludwig IX., zu blicken, der, um das Paradies zu erwerben, Leib und Leben wagt, und auch seine Kinder den Gefahren des heiligen Krie¬ ges aussetzt, auf all die Tapfern, die über das Meer ziehen, während die Trägen und Feigen in der Heimath zurückbleiben, und „wie die Kühe auf ihrem Lager" sterben, unbeweint, aber selbst Thränen der Angst vergießend über die schrecklichen Qualen, die ihnen im Jenseits bevorstehen. Der „Äss- eroi?i6" widerspricht seinem Freunde mit sehr soliden, aus der Praxis des täglichen Lebens geschöpften Gründen. „Ihr ermahnt mich, das Meinige dem Hahn zu geben, der damit davonfliegt", sagt er unter Anderm; „man sagt indeß: Was du hast, das halte fest, und dies ist ein gutes Wort aus guter Schule. Ich will mich hüten, meine Besitzungen zu verpfänden, um für je 100 Morgen Landes bei meiner Rückkehr 40 zurückzuerhalten." Die Ritter waren nämlich häufig genöthigt, bevor sie einen Kreuzzug antraten, ihre Besitzungen zu verpfänden, um den entstehenden Aufwand zu decken; meistens nahm die reiche Geistlichkeit unter der Maske christlicher Mildthätigkeit diese Güter in Pfand, nur zu oft aber steckte der schamloseste Wucher hinter der anscheinenden Opferfreudigkeit, mit der sie Summen für die Kosten des heiligen Krieges vorschössen. „Ueberdies glaube ich" fährt der ljeseroi^i« fort, daß man Gott ebensogut bei uns in Frankreich gewinnen kann, als jenseits des Meeres; daher will ich lieber im Vaterlande bleiben und von meinem Erbe leben. Wendet euch doch an die Priester und Prälaten; sie müßten von Rechts wegen die Unbilde rächen, die Gott im heiligen Lande erduldet, denn sie leben von Gottes Renten. Sie ziehen aber gutes Essen und Trinken vor und sitzen am liebsten gegen Wind und Wetter geschützt; wenn sie auf diesem Wege zu Gott gelangen, so wäre es Thorheit, einen anderen wählen zu wollen, da jener doch ohne Zweifel von allen der angenehmste ist. Ihr geht über das Meer. Sagt dem Sultan, daß ich mich nicht um ihn kümmere, so lange er weit genug von mir entfernt bleibt. Wenn er aber hierher nach Frank-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/280
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/280>, abgerufen am 04.07.2024.